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Stefan Bradl: «Dann bist du der Sündenbock»

Von Günther Wiesinger
Stefan Bradl hat besonders in den letzten zwei Jahren die Erwartungen in der MotoGP-Klasse nicht immer erfüllt. Er spricht offen über die Fehler in der LCR-Honda-Zeit, die spanische Übermacht und die verpassten Chancen.

Stefan Bradl (27) wusste vor der Saison 2016, dass beim Aprilia Racing Team Gresini für 2017 nur ein Platz frei sein würde, denn einer war für Moto2-Aufsteiger Sam Lowes reserviert. Nach dem Mugello-GP zeichnete sch ab, dass Aleix Espargaró für 2017 zu Aprilia wechseln und dort sowohl Bradl als auch Bautista gehen müssen. Der Bayer unterschrieb dann einen Vertrag für die Superbike-WM bei Honda Motor Europe.

Zu diesem Zeitpunkt war nämlich kaum noch ein lukrativer Platz für die MotoGP-WM 2017 verfügbar, nur Avintia-Ducati zeigte Interesse – und bot eine 2016-Maschine an.

Doch Bradl hat sich jetzt zwei Jahre lang in der Königsklasse mit zweitklassigem Material abgemüht und weiss, dass er angesichts von sechs Werksteams sowie einiger starker Kundenteams von Honda, Yamaha und Ducati im Qualifying nächstes Jahr im besten Fall um Platz 15 fighten zu können, zumal Honda drei 2017-Kunden-Honda aufmarschieren lässt und auch Ducati eine dritte 2017-Werksmaschine (für Petrucci) einsetzt.

Bradl wurde von Aprilia zu lange hingehalten, die Italiener hatten für 2017 eine Option auf ihn. Bradl konnte sich also vor der Entscheidung von Aprilia nirgends aktiv anbieten.

Als WM-16. mit sechs Top-Ten-Plätzen hat der siebenfache GP-Sieger trotz des unausgereiften Materials auch 2016 gezeigt, dass er sich hinter Fahrern wie Redding und Smith nicht zu verstecken braucht, auch Crutchlow lag in der WM-Tabelle bis zum Sommer hinter ihm.

Stefan, du hast dich gewundert, als Crutchlow im Frühjahr bereits einen neuen Vertrag in der Tasche hatte, obwohl er bei den ersten fünf WM-Rennen viermal gestürzt ist.

Ich weiß nicht, was da im Hintergrund alles passiert... Aber wenn ich die heurige Saison von Crutchlow verfolgt habe... Er hat zwar dann zweimal gewonnen und zwei zweite Plätze geholt, also insgesamt vier Podestplätze hingelegt. Er hat also mit Sicherheit eine super Saison geschafft. Aber man darf nicht vergessen, dass er auch einige Male runtergeflogen ist.
Wenn ich seine LCR-Saison 2015 betrachte, dann war sie ähnlich wie meine LCR-Saison 2014.

Du hast in den fünf MotoGP-Jahren viel gelernt. Du bist vor allem in den ersten zwei LCR-Jahren oft zu ungeduldig gewesen und hast manchmal Topergebnisse durch frühe Stürze verloren. Ich denke nur an Valencia 2012, als du Platz 2 vor Augen gehabt hast. War das Ungeduld? Oder war es der Druck?

Der Druck hat mitgespielt. Und ich hatte Angst oder Bedenken, dass mir die Spitzenleute vorne davon fahren, dass der Zug vorne abfährt, ich hatte Muffe davor, dass ich dann nicht mehr hinkomme und das Podest verpasse.
Im Endeffekt war ich oft in der Anfangsphase schon zu übermütig. 
In der Saison 2016 habe ich damit besser umgehen können, ich habe mehr Geduld aufgebracht. Ich wusste seit Misano, wir haben bei Aprilia ein gutes Paket fürs Rennen, ich habe dann in der Schlussphase manchmal einige Platzierungen aufgeholt.
Das habe ich bei LCR auf alle Fälle oft verkehrt gemacht, dass ich in der Anfangsphase grundlos gestürzt bin.
Wenn ich mir das Rennen nachher noch einmal angeschaut habe, habe ich mir gedacht: «Scheiße, warum ich habe das Motorrad eigentlich weggeschmissen?» Es wäre nachher um einiges leichter geworden, als ich es mir eigentlich vorgestellt hatte. Ich habe mir im Rennen immer gedacht: «Fuck, ich muss jetzt da vorn dran bleiben.» Doch am Ende wäre es gar nicht so schwer gewesen, das Tempo zu halten.

Du hast 2014 auch in Misano ein Topergebnis weggeworfen. Du hast damals auch Aleix Espargaró zweimal abgeschossen, in Indy und Phillip Island, weil du beim Überholen zu ungeduldig warst. So hast du in Australien nicht ernten können, als die Gegner vor dir selber gepurzelt sind. Bradley Smith wurde Dritter... Und 2015 schaffte in Misano im Regen sogar Loris Baz einen vierten Platz, das Aprilia-Team ging bei diesem flag-to-flag-Rennen unter.

Ja, bei den flag-to-flag-Rennen waren wir manchmal bei der Strategie zu konservativ. 

Nur beim Sachsenring-GP 2014 nicht. Dort hat LCR dein Motorrad auf dem Startplatz umgebaut, alle Gegner fuhren aus der Boxengasse gleich mit dem Trocken-Set-up los.

Ja, die Crew konnte die Gabel nicht mehr auf das «dry set up» umbauen, weil die Zeit nicht reichte... Ich fiel immer weiter zurück, als die Piste trocken wurde.

Du musst jetzt mitansehen, wie deine alten Rivalen Márquez, Pol und Aleix Espargaró, Smith, Iannone und Co. mit Werksverträgen weiter in der MotoGP dabei sind, Redding hat eine Pramac-Ducati, der in den kleinen Klassen nie ein ernsthafter Gegner für dich war. Was geht dir durch den Kopf, wenn du diese Situation betrachtest?

Jeder muss ein bisserl schauen, wie er seinen eigenen Weg geht. Die Italiener und Spanier tun sich einfach ein bisschen leichter in diesem Business. 2017 fahren zehn Spanier in der MotoGP, aus Deutschland kommt nur ein Fahrer.
Das hat vielleicht auch mit der Kultur, mit der Mentalität, mit der Sprache zu tun.
Als Engländer ist das wieder etwas anderes. 2016 waren vier Briten in der MotoGP, auch 2017 sind wieder vier dabei – Crutchlow, Smith, Redding und Lowes.

Tun sich die Spanier wirklich in jeder Hinsicht leichter? Für Barbera, Bautista und Co. ist es nicht einfach, sie stehen im Schatten von Márquez, Lorenzo und Viñales. Sie müssen sich also doppelt anstrengen, um ins Fernsehen zu kommen und ein Team und Sponsoren zu finden. Oder nicht?

Dass in Spanien der landes-interne Kampf stärker ist, ist keine Frage, weil das Aufgebot grösser ist. Ich bezweifle auch nicht, dass sie sich dadurch gegenseitig stärker anspornen.
In der Zeit, als ich die 125er-WM und die Moto2-WM gefahren bin, habe ich auch geschaut, dass ich immer der beste Deutsche bin. Auch wenn manche Fahrer dieses Ziel nach außen hin nicht zugeben, aber es ist einfach so: Du willst landes-intern immer der Beste sein, der Landsmann ist der erste Referenzpunkt. Du willst der populärste GP-Fahrer in deinem Land sein.
Das ist der Ansporn, den du hast.
Ich bin in der MotoGP-WM fünf Jahre lang der einzige Deutsche gewesen. Ich habe also schon mal den Druck nicht gehabt, dass mir landes-intern einer den Rang abläuft.
Wenn es gut läuft, fühlst du dich wie Gott, weil dann alle Medien und Schulterklopfer auf deiner Seite sind. Aber wenn es nicht so gut läuft, bist zu ruck-zuck der Sündenbock.
Das bin ich dann in gewisser Regelmäßigkeit gewesen.

(Wird fortgesetzt)

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