Ducati Ride Height Device: Die Schwächen des Systems
Seit dem Sepang-Test Anfang Februar wird heftig über den neuen Front Ride Height Adjuster von Ducati Corse diskutiert, der bis zum Mandalika-GP auf allen GP22-Maschinen von Bagnaia, Miller, Zarco, Martin und Marini installiert und in der Lage war, die Front der Bikes während der Fahrt beim Beschleunigen abzusenken. Beim Indonesien-GP fiel bereits im FP1 auf, dass das System deaktiviert wurde, weil es sich beim Katar-GP nicht bewährt hat. Die beste GP22 mit Zarco landete dort auf Platz 8.
Doch SPEEDWEEK.com hat beim Indonesien-GP vielfältige Nachforschungen betrieben und sich mit einigen Ingenieuren und Experten unterhalten, die sich mit solchen Devices beschäftigt und die neueste Innovation von Ducati-Konstrukteur Gigi Dall’Igna aufmerksam unter die Lupe genommen haben.
Das FRHD war auch in Lombok zu bewundern. Denn Johann Zarco setzte eine modifizierte, weiterentwickelte Version ein. Es ist zu erwarten, dass in Argentinien (1. bis 3. April) wieder mehr GP22-Bikes mit diesem Device ausgestattet werden. Denn Dall’Igna ist von den Vorzügen des neuen umstrittenen Systems überzeugt. Und da es nach der Saison 2022 verboten sein wird, will er aus seiner Investition zumindest bei den restlichen Grands Prix 2022 Kapital schlagen.
Natürlich weiß kein Ingenieur aus einem Konkurrenz-Team mit Sicherheit, wie das neue Right Height Device von Ducati aufgebaut ist.
Aber es zeichnet sich ab, dass Dall‘Igna wieder einmal Anleihen bei seinen Kollegen in der Formel 1 (vermutlich bei Ferrari) genommen hat, wo die Autos bei abnehmender Spritmenge ausbalanciert werden.
Einzelnen Spionen gelang es inzwischen, das Cockpit der Miller-Ducati oder der Pramac-Ducati von Johann Zarco zu fotografieren.
Inzwischen wurde bei Ducati ein sogenannter «Accumulator» ausfindig gemacht, wie er in der Vergangenheit bei Ducati schon ohne FRHD zu sehen war, erstmals bereits vor 2021. Das beweisen Crashfotos von 2020 und 2021, bei denen die Verkleidung abhanden gekommen ist.
Was verstehen die Techniker unter einen Accumulator? Der Begriff deutet eigentlich darauf hin, dass damit etwas gespeichert wird, also könnte man den Begriff eigentlich als «Sammler» übersetzen.
Aber nach Einschätzung der von uns befragten MotoGP-Techniker wird mit dem Accumulator nicht nur gesammelt oder gespeichert, sondern primär geregelt.
Vielleicht sprechen die Engländer von einem «Accumulator», weil er das Ausgleichsreservoir beinhaltet, das die Hydraulikflüssigkeit für den RHD speichert. Eigentlich sind Reservoir und das Steuergerät zwei Bauteile, bei Ducati wurden sie anscheinend zusammengefasst. Deshalb ist auch von einem (hydro-)mechanischen Steuergerät die Rede.
Unbestritten ist, dass alle RHD-Systeme als extrem komplex zu bezeichnen sind. Ducati hat das Rear Device mit Pramac-Pilot Jack Miller erstmals in Motegi 2019 eingesetzt, inzwischen haben alle anderen fünf Hersteller eigene Systeme konstruiert. Aber nur für das Heck.
Inzwischen gehört es zum Allgemeinwissen der MotoGP-Ingenieure, dass alle RHD-Systeme über einen hydraulischen und einen rein mechanischen Teil verfügen. Je nach Design variiert der Anteil zwischen Hydraulik und Mechanik. Aber letztlich ist meist ein hydraulisches Glied am Ende nötig, um die notwendigen Kräfte und Steifigkeiten zu erzeugen, während der Input vom Fahrer laut Reglement «mechanisch» erfolgen muss.
Mehr Regen oder mehr Traufe?
Jeder Hersteller wählt seine eigene Bauweise. Es müssen jedoch Kompromisse gemacht werden, denn das Verlegen von hydraulischen Leitungen quer durch das Motorrad gilt als sehr servicefeindlich und kann unzuverlässige Nebenwirkungen erzeugen wie Undichtigkeit und Entlüften, besonders wenn Teile getauscht werden! Bei Undichtigkeit kann Hydraulikflüssigkeit auf heiße Teile geraten, während bei mechanischen Leitungen wie zum Beispiel Bowdenzügen Nachteile wie variierende Reibung oder Spiel auftreten können, was die Funktion beeinträchtigen kann.
«Man hat also die Wahl zwischen mehr Regen oder mehr Traufe», seufzte ein Ingenieur. «Je nachdem, ob man die Verlässlichkeit des Systems oder die Verlässlichkeit gegen Totalausfall des Fahrzeugs priorisiert.»
Aber die Frage, ob ein Bowdenzug gegenüber der Hydraulik zu bevorzugen ist, ist wohl nachrangig.
Das Problem liegt tiefer: Denn selbst die extremsten Konfigurationen haben gemeinsam, dass mechanische Signale vom Fahrer Richtung der vorderen und der hinteren Federung mit einer komplexen, mechanischen Logik verbunden werden müssen. Das ist die eigentliche «Steinzeit-Technologie» dahinter.
Es spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, ob das System hydraulisch, per Bowdenzug, Kardan, per Zahnrad oder sonst wie betätigt wird.
Zeitgemäßer und auch für die Serienprodukte relevanter und sicherer wäre nach Meinung der meisten MotoGP-Hersteller eine elektronische Koppelung. Das würde die Zuverlässigkeit erhöhen und gleichzeitig die Ablenkung für den Fahrer reduzieren, der ohnedies schon bis zu elf Knöpfe und dann noch zwei mechanische Ride Height-Systeme bedienen muss.
Aber genau diese «electronic suspension» wird vom MotoGP-Reglement schon seit vielen Jahren verboten.
Die sechs in der MSMA vertretenen Hersteller (Honda, Yamaha, Suzuki, Ducati, KTM und Aprilia) befürworten dieses Verbot, weil man die übliche Fahrdynamik beibehalten und «echtes Racing» demonstrieren will. Die Elektronik hat ja mit der Launch Control, der «corner by corner»-Traction Control und dem Holeshot-Device schon genug Aufgaben übernommen, die früher von der Gashand allein erledigt werden mussten.
Vorschriften lassen zuviel Spielraum
Ein mechanisches RHD passt den Werken im Zeitalter der Elektronik nicht so recht ins Bild.
Doch das technische Reglement war lückenhaft, wie schon so oft in der Vergangenheit.
Seit vielen Jahren erleben wir immer wieder, dass auch überarbeitete Regularien viel Interpretations-Spielraum lassen und die Findigkeit und Manpower der Werke und ihrer hochbezahlten Ingenieure größer ist als die der Technik-Funktionäre von Dorna, IRTA und FIM.
MotoGP Technical Director Danny Aldridge und Corrado Cecchinelli, Director of Technology bei der Dorna, haben als Einzelkämpfer einen schweren Stand gegen die Übermacht von ca. 500 Ingenieuren bei den Werken, deren Job es ist, jede Grauzone im Reglement (wegen ungenauer Formulierung oder praktischer Unkontrollierbarkeit) auszunutzen.
Auch in der Formel 1 haben aus ähnlichen Gründen immer wieder Tricksereien mit Wassertanks, dem Brabham-Staubsauger, den absenkbaren Seitenschürzen und so weiter zu Diskussionen geführt. Man erinnere sich zum Beispiel an den Doppel-Diffusor von 2009, über den damals zum Saisonstart nur die Teams BrawnGP, Williams und Toyota verfügten und der dann von anderen Rennställen hastig kopiert werden musste.
Deshalb machen die fünf gegnerischen Werke Ducati jetzt auch keinen Vorwurf. Niemand wollte und will 2022 gegen das Front Device der Desmosedici protestieren. Aber fünf der sechs MSMA-Mitglieder wollten es aus Gründen der Sicherheit und wegen der hohen Kosten so rasch wie möglich verbieten, also nach 2022. Diesem Ansinnen hat die Grand Prix Commission als oberstes MotoGP-Gremium jetzt stattgegeben.
Das Klima zwischen Ducati und den fünf gegnerischen Werken ist seit drei Jahren gestört.
Denn damals tauchte Ducati beim Saisonstart in Doha mit dem umstrittenen Hinterradspoiler auf, der nachweislich Downforce für das Hinterrad erzeugte und nach Ansicht von vier Werken (Honda, Suzuki, KTM und Aprilia) illegal war.
Ducati-Corse General-Manager Gigi Dall‘Igna überzeugte die FIM-Richter aber davon, dass dieser «Spoon» (Löffel) nur zum Kühlen des Hinterreifens diene.
Seltsamerweise wurde dieser segensreiche Kühl-Spoiler bei Ducati aber am Wochenende in Mandalika trotz 65 Grad Asphalttemperatur nicht verwendet.
Die Ducati-Gegner wünschen sich von den Roten, dass manchmal nicht nur die Grauzonen ausgeforscht werden, sondern auch der eigentliche «Spirit» oder der Geist des Gesetzes in den Vordergrund gestellt wird.
Suzuki und Joan Mir haben 2020 bewiesen, dass man auch ohne Tricksereien und ohne Jahresgagen von 12,5 Millionen Euro (Lorenzo erhielt bei Ducati 2017 und 2018 nicht weniger als 25 Mio.) Weltmeister werden kann.
Ergebnisse MotoGP Mandalika/IND:
1. Miguel Oliveira, KTM, 20 Runden in 33:27,223 min
2. Fabio Quartararo, Yamaha, +2,205 sec
3. Johann Zarco, Ducati, +3,158
4. Jack Miller, Ducati, +5,663
5. Alex Rins, Suzuki, +7,044
6. Joan Mir, Suzuki, +7,832
7. Franco Morbidelli, Yamaha, +21,115
8. Brad Binder, KTM, +32,413
9. Aleix Espargaró, Aprilia, +32,586
10. Darryn Binder, Yamaha, +32,901
11. Enea Bastianini, Ducati, +33,116
12. Pol Espargaró, Honda, +33,599
13. Alex Márquez, Honda, +33,735
14. Luca Marini, Ducati, +34,991
15. Pecco Bagnaia, Ducati, +35,763
16. Maverick Viñales, Aprilia, +37,397
17. Raúl Fernández, KTM, +41,975
18. Fabio Di Giannantonio, Ducati, +47,915
19. Takaaki Nakagami, Honda, +49,471
20. Marco Bezzecchi, Ducati, +49,473
21. Remy Gardner, KTM, +55,964
– Jorge Martin, Ducati
– Andrea Dovizioso, Yamaha
WM-Stand nach 2 von 21 Grands Prix:
1. Bastianini, 30 Punkte. 2. Brad Binder 28. 3. Quartararo 27. 4. Oliveira 25. 5. Zarco 24. 6. Pol Espargaró 20. 7. Aleix Espargaró 20. 8. Rins 20. 9. Mir 20. 10. Morbidelli 14. 11. Miller 13. 12. Marc Márquez 11. 13. Darryn Binder 6. 14. Nakagami 6. 15. Marini 5. 16. Viñales 4. 17. Alex Márquez 3. 18. Dovizioso 2. 19. Gardner 1. 20. Bagnaia 1.
Konstrukteurs-WM:
1. KTM 45 Punkte. 2. Ducati 41. 3. Yamaha 27. 4. Suzuki 21. 5. Honda 20. 6. Aprilia 20.
Team-WM:
1. Red Bull KTM Factory 53 Punkte. 2. Monster Energy Yamaha 41. 3. Suzuki Ecstar 40. 4. Repsol Honda 31. 5. Gresini Racing 30. 6. Pramac Racing 24. 7. Aprilia Racing 24. 8. Ducati Lenovo 14. 9. LCR Honda 9. 10. WithU Yamaha RNF 8. 11. Mooney VR46 Racing 5. 12. Tech3 KTM Factory 1.