Formel 1: Günther Steiner rechnet ab

Luca Marini: Er war schon vor 20 Jahren für Repsol

Von Günther Wiesinger
Bisher fehlt noch die offizielle Bestätigung. Aber laut Ducati wird Luca Marini zu «99 Prozent» zu Honda wechseln. Was treibt ihn dorthin?

Die meisten Experten im Fahrerlager reagierten letzte Woche mit Verwunderung, als sich abzeichnete, dass Valentino Rossis Bruder Luca Marini von Mooney VR46-Ducati für zwei Jahre zu Repsol-Honda gehen wird. Denn wer hat schon das Privileg, im MotoGP-Team seines Bruders fahren zu können und dadurch einen recht sicheren Arbeitsplatz zu haben?

Aber dazu muss man zuerst einmal festhalten: Luca Marini hat im Sky-Team 2020 beinahe die Moto2-WM gewonnen. Nach 15 Rennen in der Covid-Saison fehlten ihm nach drei Siegen und drei zweiten Plätzen nur 9 Punkte auf Weltmeister Enea Bastianini (Italtrans Racing). Und in seiner ersten MotoGP-Saison 2021 bei Esponsorama Avintia (er verdrängte im Team von Raúl Romero den zahlungskräftigen Tito Rabat) stand er mit einer Ducati Desmosedici GP20 einmal in der ersten Startreihe. Teamkollege bei Avintia war übrigens sein Landsmann Bastianini, der dann 2022 bei Gresini aufblühte – vier MotoGP-Siege, dritter WM-Rang.

Von 2014 bis 2020 hat Rossi sieben Jahre lang Sky-GP-Teams in der Moto3 und Moto2 betrieben. Für 2021 übernahm Rossis VR46-Team die beiden MotoGP-Slots von Avintia. Luca «Maro» Marini und Marco Bezzecchi wurden als Fahrer verpflichtet; mit Ducati wurde ein Deal für drei Jahre bis Ende 2024 vereinbart.

Marini erhielt für seine zweite Saison eine aktuelle GP22-Werks-Ducati (wie das Pramac-Duo), Bezzecchi musste als Rookie mit einer GP21 vorliebnehmen.

Vermutlich sprengten die Kosten für das Leasing der GP22 das Mooney-Teambudget, denn die Bestellung wurde in Borgo Panigale aufgegeben, als Rossi und Teamdirektor Uccio Salucci noch hofften, es würden die Millionen des saudi-arabischen Ölmultis Aramco sprudeln. Aber Aramco steckte das Geld lieber in die Formel 1.

Nachher wurde innerhalb von drei Wochen der Deal mit Mooney eingefädelt.

Jedenfalls musste Marini 2023 wieder mit einer GP22 fahren. Auch für 2024 bestand für ihn und den dreifachen MotoGP-Sieger Bezzzecchi bei VR46 nie die Aussicht auf neuestes Werksmaterial.

Außerdem konnte sich Luca ausmalen, dass er nach der Ankunft von Marc Márquez bei Ducati 2024 bestenfalls die Nummer 7 hinter Bagnaia, Bastianini, Morbidelli, Martin, Bezzecchi und Marc Márquez sein würde.

Als nach den Absagen von Acosta, Viñales, Oliveira, Aleix Espargaró und Pol Espargaró der Lockruf von Repsol-Honda kam, wusste der 26-jährige Italiener: Es wird vielleicht die erste und letzte Chance in seinem Leben auf einen Platz in einem Factory Team sein.

Immerhin hat sein Manager Francesco Secchiaroli die Notlage von HRC genutzt und für die Nummer 10 einen Zwei-Jahres-Vertrag ausgehandelt.

Marini liegt momentan auf dem achten WM-Rang, wenn Honda die erhofften Concessions erhöht, wird auch 2024 ein Top-Ten-Ergebnis möglich sein. Und im schlimmsten Fall kann sich Luca mit einer mutmasslichen Jahresgage von 3 Millionen Euro trösten.

Am 28. November wird Marini vermutlich erstmals auf der Repsol-Honda RC213V sitzen. In ein Repsol-Leader kleidete er sich aber schon vor 20 Jahren, als Valentino 2001 bis 2003 für das Honda-Werksteam fuhr – und seinem kleinen Bruder einen passenden Rennanzug spendierte.

Die Geschichte wiederholt sich: Denn Valentino Rossi wollte nach seinem ersten 250-ccm-Titelgewinn mit Aprilia eigentlich eine zweite Viertelliter-Saison bestreiten. Aber als ihm das Honda-500-Werksteam den Platz des fünffachen Weltmeisters Mick Doohan samt dessen kompletter Technikcrew mit Jeremy Burgess anbot, wechselte er bereits für 2000 in die Königsklasse. Im ersten Jahr trat er für das Nastro-Azzurro-Honda-500-Team an, dann für Repsol.
Das heisst: Rossi folgte Doohan nach, Marini tritt in die Fußstapfen von Marc Márquez.

Der intelligente Luca Marini hat zum richtigen Zeitpunkt die Flucht nach vorne angetreten.

Denn Valentino Rossi steckt als Teambesitzer und Betreiber der VR46 Riders Academy in einem Zwiespalt. Einerseits soll er mit seinen Firmen die Interessen der Teamsponsoren vertreten, anderseits die besten Deals bezüglich Material und Gage für seine Fahrer sicherstellen.

Eine Gratwanderung.

Das zeigte sich im vergangenen Sommer, als Ducati dem Titelanwärter Bezzecchi statt Zarco einen Platz bei Pramac Ducati mit GP24-Bikes und Werksvertrag anbot.

Rossi überredete «Bez» zu einem weiteren Jahr bei Mooney VR46.
Morbidelli, in den letzten drei Jahren nie auf dem Podest, bekam schließlich den lukrativen Pramac-Vertrag.

Vielleicht hatte die VR46-Mannschaft bei «Bez» den Plan im Hinterkopf, bei den Verhandlungen mit KTM, Aprilia, Yamaha und Ducati für 2025 mit Bezzecchi einen Titelanwärter im Handgepäck anbieten zu können.

Wäre aus Sicht des Teams eine legitime Überlegung, für Bezzecchi aber kaum die optimale Lösung.

Bezzecchi wird es 2024 mit vier Ducati GP24 zu tun kriegen, mit einem siegeshungrigen Marc Márquez, mit vier Werks-KTM, zwei Werks-Aprilia, zwei Werks-Yamaha und zwei Werks-Honda samt deftigen Concessions.

Wer weiß, ob er jemals wieder die Chance auf einen Werksvertrag beim erfolgreichsten Hersteller bekommt.

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