Alles-easy-Attitüde: Marc Marquez nervt Pecco Bagnaia
MotoGP-Vizeweltmeister Franceso «Pecco» Bagnaia muss derzeit miterleben, wie schnell sich das Blatt in der Königsklasse wenden kann. Bis zum MotoGP-Finale 2024, das Bagnaia mit einem klaren Doppelsieg abschloss, war dem GP-Fahrerlager klar: In Sachen Speed führt kein Weg an dem etablierten Ducati-Werksfahrer aus Italien vorbei.
Zwar war der Titel aufgrund einer unstrittigen Fehlerkette verloren gegangen, die Statistik ließ keinen Zweifel an der überragenden Pace Bagnaias aufkommen. Kein anderer Pilot gewann in den letzten drei Jahren mehr Rennen als der Turiner. Fast unglaublich, dass Bagnaia bei der Siegesbilanz von 11 zu 3 GP-Siegen (18 zu 10 insgesamt) den Titel überhaupt verspielte.
Von Marc Marquez war dagegen noch gar keine Rede. Zwar hielt auch der Altmeister tapfer an den Ambitionen für WM-Rang 3 fest – aus dem WM-Kampf hielt sich Marc Marquez aber heraus, auch weil ihm schnell klar wurde, dass sich ein übertriebener Ehrgeiz auf der GP23 gar nicht auszahlen würde.
Vier Monate später sind die Karten neu gemischt. Nach nur bedingt aussagekräftigen Wintertests, die Ducati mit einer Art technischen Selbstfindung zubrachte und die alle sechs Desmosedici-Reiter auf nahezu identischem Material in die Saison starten ließen, begann die Marquez-Show. Vier Siege in vier Rennen. Autsch. Noch mehr schmerzt den Vize-Champion, dass auch Platz 2 zuletzt nicht in Reichweite lag. Ein auf einmal souverän konstanter Alex Marquez interpretierte sein neues Arbeitsgerät schon ab dem ersten Testtag in Barcelona goldrichtig. Seitdem schmettert «AM73» an der Spitze und versetzt die spanischen Ducati-Fans mit Bruder Marc in eine nie dagewesene Manie.
Dass der große Siegfahrer der letzten drei MotoGP-Kampagnen viermal in Folge geschlagen wurde, fügt dem Italiener schon aus sportlicher Sicht großen Schaden zu. Noch ist die Saison 2025 jung – aber 31 Punkte Rückstand auf die Tabellenspitze schmerzen. Interessant dennoch: Bagnaia sammelte 2025 in den ersten vier Wettfahrten mehr Zähler als beim vergangenen Saisonstart – beim zweiten Event 2024 lagen Marc Marquez und Pecco Bagnaia gemeinsam im Dreck von Portugal.
Bagnaia macht damit zwar seine Ansage wahr, weniger Fehler in seine Ausritte einzubauen, doch der Speed für Platz 1 ist verlorengegangen. Als wäre diese Erkenntnis nicht schon hart genug, wird der Champion der Jahre 2022 und 2023 von den beiden Spaniern an der Spitze mental auf eine ganz harte Probe gestellt.
Zum einen ist es das Spiel mit den Ambitionen um die WM-Krone. Noch vor dem ersten Training in Thailand schob Marc Marquez seinem neuen Kollegen auch von sich aus die Chefkarte zu. «Pecco ist der klare Favorit, keiner kennt das Bike und das Team so gut wie er. Niemand hat mehr Erfolge mit der Desmosedici erreicht. Er bleibt die Referenz», so der «Lehrjunge» Marc bei der Ankunft in Buriram.
Ein schlauer Zug, denn damit bestätigte Marquez nur die Mission, die sich Pecco Bagnaia noch am Tag seines Titelverlusts selbst auferlegt hatte. Wann immer ein Aufnahmegerät vor dem Gesicht auftauchte, wiederholte Pecco Bagnaia: «Es geht um nichts anderes, als den WM-Titel zurückzuholen.»
Selbstredend, alles andere würde einem Profisportler nicht gut zu Gesicht stehen. Doch Marc Marquez spielt vom ersten Wettkampftag des Jahres mit dem Druck des Kollegen mit der #63 und lebt die Lässigkeit in vollen Zügen. Wie ein Surfer auf Hawaii schaut Marc Marquez der nächsten großen Welle entgegen. «Hab Spaß, sei locker, wenn ich morgen nicht gewinne, dann ist es mir auch egal», so die bewusst kommunizierte Botschaft der Lebensfreude der #93 an die MotoGP-Community. Während Marc Marquez im Parc Fermé wie ein bekiffter MotoGP-Hippie tanzt, beißt sich der Liebling der Italiener auf die Unterlippe und schaut dabei aus wie ein Stürmer von Juventus Turin, der vor voller Hütte zuhause einen Elfer aus dem Stadion gehämmert hat.
Als Extraeinlage hat Marc Marquez die Favoritenkarte selbst in die Hand genommen und ab sofort seinen Bruder zum härtesten Konkurrenten und Mitfavoriten erklärt. Der Lehrbub heißt nun Pecco Bagnaia. Der von allen Seiten erwartete Zweikampf zwischen Marc Marquez und Pecco Bagnaia findet statt – allerdings derweil noch nicht auf der Ideallinie, sondern auf der Ebene der Rennsport-Psychologie. Sollten dem Italiener die richtigen Worte ausgehen, helfen nur noch Antworten auf der Strecke, um der Nerverei des achtfachen Weltmeisters zu entgehen.