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Barry Sheene: Erinnerungen an den Superstar

Kolumne von Günther Wiesinger
Der erste Popstar auf zwei Rädern: Barry Sheene

Der erste Popstar auf zwei Rädern: Barry Sheene

Heute vor zehn Jahren starb der zweifache Weltmeister Barry Sheene mit 52 Jahren. Günther Wiesinger erinnert sich in einem offenen Brief.

Lieber Barry,

Ich werde den Anruf meines australischen Mitarbeiters Colin Young vor zehn Jahren um 7 Uhr früh nie vergessen, in dem er mir mitteilte, dass du nicht mehr am Leben bist. Innerhalb weniger Minuten rief ich mir damals viele Geschichten in Erinnerung, die wir gemeinsam erlebt hatten und die ein paar dicke Bücher füllen würden.   

 

Vielleicht ist heute ein guter Anlass, um noch einmal auf ein paar denkwürdige Begebenheiten zurückzublicken.

Du warst der erste Popstar des Motorradsports. Du hast nicht nur die Sportseiten gefüllt, sondern auch Material für die Klatschspalten geliefert. Mit James Hunt hattest du in der Formel 1 einen gleichgesinnten, lebenlustigen Kumpel.

Wo soll ich überhaupt anfangen? Soll ich erzählen, dass du als erster Motorradfahrer ein buntes Leder trugst? Dass das bildhübsche Model Stephanie McLean, immerhin «Pet of The Year» des Penthouse-Magazins, irgendwann kess in dein Leder schlüpfte, mit weit offenem Reissverschluss, und du nackt daneben posiert hast; über dein Fortpflanzungsorgan hast du züchtig deinen Sturzhelm gestülpt.

Wenig später liess «Steph» ihren Ehemann stehen und zog in dein Haus in Putney ein. Als ich dich dort im Januar 1977 besuchte und dich fragte, wie sich Steph in dich verliebt habe, hast du kühn entgegnet: «Sie hat hinter den Sturzhelm geschaut.»

Ach, Barry, ich darf ja manches nicht erzählen. Aber du hast gern provoziert. 1982 habe ich beim Formel-1-GP in Rio den berühmten englischen Posträuber Ronald Biggs getroffen; er hat mir ein T-Shirt mit der Aufschrift «I went to Rio and met the honest Ronald Biggs» verkauft. Das habe ich dir eine Woche später beim Argentinien-GP geschenkt, du hast dich damit fotografieren lassen – und in England ist ein Sturm der Entrüstung entbrannt, weil du für diesen Staatsfeind Werbung gemacht hast.

Politisch korrekt war damals vieles nicht

Naja, der Begriff «political correctness» war damals noch gar nicht erfunden. So bist du auch mit einem blauen Auge und ein paar Titelseiten in Australien weggekommen, als du gemeinsam mit einem österreichischen Formel-1-Rennfahrer in einer Damentoilette einer hübschen Verkäuferin an die Wäsche gegangen bist, was diese bei der Polizei als sexuelle Belästigung darstellte.

Barry, du hast das Establishment durcheinander gewirbelt. Mit dem ersten Geld hast du dir einen Rolls Royce gekauft und ihn mit dem Kennzeichen «4BSR» bestückt. Das hiess: For Barry Sheene Racing. T-Shirts, enge Jeans und filterlose Gauloises waren dein Markenzeichen. Dein agv-Helm hatte vorn am Kinn ein Loch für den Glimmstengel, damit du am Startplatz noch schnell eine Gauloises paffen konntest.

Dein Suzuki-Teamkollege Steve «Stavros» Parrish war ein kongenialer Partner für jeden Schabernack. Du bist beim Silverstone-GP einmal ausgefallen und hast Stavros ein Schild mit der Aufschrift «Gas it, wanker» (Gib Gas, du Wixer) über die Boxenmauer gehalten. Der arme Stavros ist in der letzten Runde vor lauter Lachen gestürzt. Er war in Führung, es wäre sein einziger GP-Sieg gewesen.

Du warst der Vorreiter einer Ära, in der die Stars noch nicht sinnentleerte Sprechblasen absonderten und alle Asse von Wichtigtuern und PR-Heinis abgeschirmt wurden. In Anderstorp 1976 hast du gesagt: «Günther, du bist neben John Brown und Giancarlo Galavotti der einzige Journalist, der mich auch um 4 Uhr früh anrufen kann.»

Du hast viele Rennfahrerleben gerettet

Du hast vier Sprachen fliessend gesprochen und dir nie ein Blatt vor den Mund genommen. Du hast dich einen Dreck darum geschert, dass es in deiner Ära für jeden Engländer verpönt war, über die Gefahren der Tourist Trophy zu lästern. Du hast es getan und nie einen Fuss auf die Insel gesetzt. Du hast in den 1970er-Jahren deine Popularität und deinen Einfluss genützt, um alle lebensgefährlichen Rennstrecken aus dem Kalender zu verbannen, von Opatija über den Masarykring in Brünn bis zu Imatra und den alten Nürburging. Damit hast du viele Rennfahrerleben gerettet. Und nach dem Salzburgring-GP 1977 (Braun, Cecotto, Fernandez und Uncini verletzt, Stadelmann tot) haben wir gemeinsam in einer zielstrebigen Kampagne gegen den hochmütgen ARBÖ Salzburg vernünftige Sicherheitsvorkehrungen für den Österreich-GP 1978 durchgesetzt.

Barry, ich habe dir viele einzigartige Storys zu verdanken. Damals waren nur drei GP-Reporter bei den Rennen; du hast uns pausenlos mit News gefüttert. Mitte der 1970er-Jahre hast du mich in Le Castellet zum Abendessen mit Ex-Beatle George Harrison mitgenommen. Dafür habe ich dir später in der Schweiz einen Investmentberater vorgestellt, der deine Ersparnisse um 40 Prozent im Jahr vermehrt hat.

Deine Auftritte auf der Rennstrecke liessen die Fans oft sprachlos zurück, sie haben dich verehrt wie kaum einen Rennfahrer zuvor. Auch wenn dich Kenny Roberts nach den zwei Titelgewinnen 1976 und 1977 ein bisschen entzaubert hat. Aber immerhin: Du hast noch 1981 in Schweden für den letzten englischen GP-Sieg in der Königsklasse gesorgt.

Beim Donington-GP im Juli 2002 haben wir am Freitag gemeinsam Mittag gegessen. Kurz zuvor hast du in Zürich einen neuen MV Agusta-Helikopter gekauft. Du warst 51 Jahre alt und hast mir von leichten Schmerzen beim Schlucken erzählt, aber an diesem GP-Wochenende noch zwei Classic-Rennen gewonnen. Zwei Wochen später kam die Hammer-Diagnose: Speiseröhrenkrebs.

Du hast jeden chirurgischen Eingriff abgelehnt und wolltest dich nicht zerschnipseln lassen. Deine Einstellung war eindrucksvoll und todesmutig: «Ich bin mit einem kompletten Körper geboren worden, und ich werde mit einem vollständigen Körper sterben.» Im Oktober 2002 bist du mit dem Helikopter noch zum Phillip-Island-GP geflogen; nachher hat sich dein Zustand rasant verschlechtert. Als es dir richtig dreckig ging, hast du dich sogar geweigert, deinen Kumpel Steve Parrish zu empfangen. Er sollte dich nicht in diesem elenden Zustand zu Gesicht bekommen.

Barry, die Gedanken an diese Phase rühren mich heute noch zu Tränen. Du hast deine tödliche Krankheit heldenhaft ertragen. Das war tapferer als jede Aktion, die du auf der Rennstrecke vollführt hast. Ein Spiegelbild deines Charakters. Ein Mann, ein Wort.

Ich weiss noch, wie du als armer Schlucker 1970 in Barcelona mit der 125er Zweiter geworden bist. Und wie du 1971 in Hockenheim nicht wusstest, wie du den Diesel für den Ford Transit für die Weiterfahrt nach Salzburg zahlen solltest. Du hast im Transit geschlafen und bist jeden Tag ins Hotel Motodrom zum Frühstück gegangen. Der Bedienung hast du jeden Tag irgendeine Phantasie-Zimmernummer erzählt.

Lieber Barry, ich höre jetzt auf. Ich könnte ewig weiterschreiben. Du warst ein grandioser Rennfahrer und hast die Nr. 7 unvergesslich gemacht. Du hast in Daytona und Silverstone die fürchterlichsten Unfälle und unzählige Knochenbrüche weggesteckt, du warst ein einmaliger Typ, ein schlagfertiger Sprücheklopfer, dem eine vorlaute Aussage genau so wichtig war wie eine schnelle Rundenzeit; du warst ein grossartiger Freund, immer ansprechbar, du hast auf deinen Autogrammen für mich meinen Vornamen oft mit «Gunt» abgekürzt und das G gern wie ein C ausschauen lassen, es stand dann «For the Cunt» zu lesen, eine liebenswerte kleine Frechheit, die wir jetzt lieber nicht übersetzen.

Aber nimm’s mir nicht übel, wenn ich dir jetzt gestehe: Was mir am besten an dir gefallen hat, war trotzdem Stephanie.

 

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