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Technik-Guru Witteveen: SBK-WM innovativer als MotoGP

Von Günther Wiesinger
Jan Witteveen spricht über MotoGP und Superbike-WM

Jan Witteveen spricht über MotoGP und Superbike-WM

Unter Jan Witteveen als Renndirektor blühte Aprilia zu einer Macht im GP-Sport auf, später engagierte sich der Belgier in der Superbike-WM. Was der 72-Jährige heute über die beiden Weltmeisterschaften denkt.

Dem ehemaligen Aprilia-Renndirektor Jan Witteveen gefällt die technische Innovation in der SBK. Aber er bewundert, wie ausgeglichen und erfolgreich die MotoGP heute ist.
Jan Witteveen, der Aprilia-Renndirektor von 1989 bis 2005, beobachtet bei seinen heutigen Besuchen im GP-Fahrerlager einen Wandel. «Die MotoGP-Klassen sind zu einer Fahrer-Weltmeisterschaft geworden», meint der Niederländer. «Früher haben die Werke die WM in erster Linie bestritten, um im Rennsport neue Technologien zu entwickeln. Zu meiner Zeit konnte man technisch und motorisch so starke Unterschiede zur Konkurrenz herstellen, dass das Motorrad überlegen war. Das Ziel musste sein, ein deutlich besseres Rennmotorrad als die Gegner auf die Piste zu bringen. Das ist heute nicht mehr möglich.»

Witteveen entschied sich deshalb immer für technische Konzepte, die sich von denen der Japaner unterschieden. Er baute Zweitakter mit Drehschieber-Motoren, als die Japaner 250er-Motoren mit Membran-Einlässen einsetzten. Er brachte in der 500er-WM einen Twin mit anfangs 410 ccm gegen die Vierzylinder von Honda, Yamaha und Suzuki. Er vertraute in der MotoGP-WM von 2002 bis 2004 als einziger Hersteller auf ein 990-ccm-Dreizylinder-Konzept und trat in der Superbike-WM anfangs jahrelang mit einem 1000-ccm-Twin (1998 bis 2002) an.

«Wenn du gegen die Japaner kämpfst und sie nur kopierst, kannst du im besten Fall gleich stark sein, aber sie nie besiegen», lautete die Doktrin von Jan Witteveen. Er rüstete in der 125er und 250er-WM zeitweise jeweils bis zu 18 Fahrer aus, und dank der Überlegenheit seiner Fahrzeuge konnte er Stars wie Biaggi, Capirossi, Harada und Rossi verpflichten und in beiden Klassen einen Titel nach dem andern gewinnen.

Vor seiner Aprilia-Ära hatte Witteveen bei Cagiva und Gilera gearbeitet und beispielsweise die aufsehenerregende 125-ccm-Zweizylinder-Cross-Maschine für Michele Rinaldi (2. WM-Rang 1980) entwickelt.

«Als Techniker gefällt mir momentan die Superbike-WM besser», beteuert Witteveen. «Denn dort werden momentan technische Lösungen verwendet, die im GP-Sport verboten sind. Ducati fährt in der Superbike-WM mit Verkleidungen, die in der MotoGP verboten wären. Auch bei den Motoren sieht man in der SBK viel Innovation; sie haben zum Beispiel ein variables Timing bei den Einlasskanälen. Die Superbikes müssen damit experimentieren, um die Abgasqualität zu verbessern und den Verbrauch zu senken. Auch die Lärmvorschriften in der EU werden für die Straßenmotorräder immer strenger… Deshalb ist die technische Entwicklung der Produkte, die im Verkauf angeboten werden, immer wichtiger. Dieser Aspekt fehlt in der MotoGP komplett.»

Witteveen (72) bewundert jedoch, wie geschickt Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta die MotoGP-WM attraktiver und ausgeglichener gestaltet hat. Bei diesen Bemühungen halfen Ideen wie die Einheitsreifen und die Einheits-Elektronik tatkräftig mit. So wurden die Kosten reduziert und die Einstiegsbarrieren für Werke wie Suzuki, KTM und Aprilia gesenkt.

Für die Werke sind die MotoGP-Kosten überschaubar im Vergleich zum Imagegewinn und der Erhöhung des Bekanntheitsgrads. «Wir sind in die MotoGP eingestiegen, weil unsere Moto3-Erfolge weltweit kaum wahrgenommen wurden», sagt KTM-Vorstand Hubert Trunkenpolz.

Die Dorna zahlt den MotoGP-Teams momentan ca. 6,5 Mio Euro für zwei Fahrer, davon gehen pro Fahrer bis zu 2,2 Millionen an die Werke für die Leasingpakete, nur bei Sturzschäden und bei technischen Upgrades müssen die namhaften Teams noch einmal tief in die Tasche greifen. Diese 6,5 Mio beinhalten auch die Zahlungen für TV, Reisekosten, Preisgeld und Antrittsgeld.

Übrigens: Ein Testmotor für den Winter kostet bei HRC bis zu 250.000 Euro. Und eine Karbonschwinge bei Ducati zum Beispiel 35.000 Euro.

Dazu haben fünf MotoGP-Werke (Honda, Yamaha, Suzuki, Ducati und KTM) Verträge mit der Dorna, die recht einträglich sind. Im Gegensatz zur Formel 1, wo Ferrari einen finanziellen Sonderstatus genießt, erhält jedes MotoGP-Werk die gleiche Summe. Dazu wird jeder Hersteller von der Dorna für je ein Kundenteam mit zwei Fahrern mit 2 Millionen Euro extra belohnt. Dieser Betrag gilt aber nur für ein Kundenteam pro Hersteller. Ducati kassiert also für Pramac, für Martinez und Avintia gibt und gab es keine Extra-Zuschüsse, bei Honda für Marc VDS auch nicht. Aber Ducati hat jahrelang bis zu zwei Jahre alte Desmosedici eingesetzt (es waren bis zu acht Ducati auf dem Grid) und dadurch die Entwicklungskosten verteilt und gesenkt.

Aprilia bekommt als Werk von der Dorna keinen Zuschuss, weil sie die Plätze von Privatteambesitzer Fausto Gresini innehaben. Der Italiener wird wohl einen happigen Teil seines 6,5 Mio-Zuschusses an Aprilia weiterreichen müssen – als Leasingkosten für die Bikes.

Dorna schüttet im Jahr total ca. 60 bis 70 Millionen Euro an die Teams in den drei Klassen aus.

In der Formel 1 wird in anderen Dimensionen gerechnet. Liberty Media reicht jährlich 950 Millionen US-Dollar an die Teams weiter.

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