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Vor 60 Jahren: Die Katastrophe von Paris Montlhéry

Kolumne von Rainer Braun
Vor 60 Jahren starben beim 1000 km-Rennen von Paris die beiden Top-Rennfahrer Peter Lindner und Franco Patria sowie drei Boxen-Kommissare. Wir erinnern uns an die Tragödie.

Der 11. Oktober 1964 ist der letzte Tag im Leben von Peter Lindner aus Wiesbaden, des Italieners Franco Patria sowie drei französischen Sport-Kommissaren.

Zusammen mit dem Düsseldorfer Peter Nöcker startete Lindner mit seinem Leichtmetall-Jaguar E Type beim 1000 km von Paris in Montlhéry. Der silbergraue, rechtsgelenkte E-Type mit Startnummer 16 stand in Reihe 5 auf Position 9, davor ein Iso-Rivolta, daneben ein Ferrari 250 LM, dahinter ein Maserati und ein Porsche 904.

Fast die gesamte Weltelite der Sportwagen-Piloten ist da: Scarfiotti, Rodriguez, Vaccarella, Mairesse, Patria, Pon, Linge, Mitter. Graham Hill und Joakim Bonnier im Ferrari 330 P haben sich die Pole gesichert.

Es läuft zunächst gut für die deutsche Jaguar-Besatzung. Etwa eineinhalb Stunden vor Schluss, in Runde 100, nimmt das Unheil seinen Lauf. Was dann an der Boxenausfahrt passiert, schilderte Augenzeuge Klaus Steinmetz, für Abarth als Technischer Leiter seinerzeit vor Ort, später so: «Lindners Jaguar kam, offensichtlich wegen einer gebrochenen Felge, was später auch offiziell bestätigt wurde, quer zur Fahrbahn angeflogen, überschlug sich mehrfach über den Boxenvorplatz und krachte seitlich in den auf Freigabe wartenden, gerade abgefertigten Werks-Abarth 2000 GT von Franco Patria.»

Steinmetz weiter: «Die Unfallstelle war ein einziges Bild des Grauens. Die drei für die Boxenausfahrt zuständigen Kommissare, die nur durch Strohballen abgesichert waren, lagen leblos am Boden. Franco saß tot in seinem zusammengequetschten Abarth-Cockpit. Und auch Lindner starb wenige Minuten später ebenfalls noch in seinem Jaguar. Fünf Tote vor meinen Augen – es war das Schlimmste, was ich in diesem Sport jemals gesehen habe.»

Peter Lindner wurde nur 34 Jahre alt, sein Abarth-Kollege Franco Patria gar nur 21. Mit Frankreich, Italien und Deutschland trauerten gleich drei Nationen um die Opfer. Die Franzosen um ihre drei toten Sportkommissare, die Italiener um ihr Supertalent Franco Patria und Deutschland um den populären Jaguar-Piloten Peter Lindner.

Vor allem Patrias Tod löste einen Schock aus, denn der 21-Jährige galt als Italiens neuer Superstar, den sich Ferrari bereits für 1965 als Werksfahrer für sein Sportwagen- und Formel-1-Programm gesichert hatte.

Im Laufe der Saison 1964, als sein Stern gerade so richtig zu leuchten begann, hatte Patria das deutsche Publikum noch mit faszinierenden Rennen im Abarth 2000 GT begeistert. So siegte er über die Porsche- und Ferrari-Konkurrenz in Mainz-Finthen, Wunstorf, auf dem Norisring und auf dem Nürburgring.

Sein letztes großes Rennen fuhr Patria eine Woche vor seinem Tod auf dem Flugplatz Innsbruck gegen Abarth-Teamkollege Kurt Ahrens und die gesamte Porsche 904 GTS-Armada.

Peter Lindner, vom Typ her eine Art deutscher James Dean, galt gerade bei den Rennen am Nürburgring als Publikums-Liebling. Wie kaum ein anderer Rennfahrer verstand er, Rennsport und Show miteinander zu verquicken.

Gern ließ er, hübsch frisiert, mit einem Schuss Arroganz und Zigarette im Mund, Fotosessions über sich ergehen – wohl wissend, dass er damit gerade bei den jungen Racing-Fans gut ankommt. Er war wohl der größte Racing-Showman seiner Zeit.

Mehrere Siege im Jaguar 3.8 MK II bei den 12- und 6-Stunden-Rennen am Ring, dazu auch mehrmals Deutscher Tourenwagen-Champion. Und mit dem silbergrauen Leichtmetall-Jaguar E Type war er oft genug für Porsche, Ferrari und Abarth bei den Sportwagen-WM-Läufen eine Art Schreckgespenst.

Am 19. Oktober 1964 wurde Peter Lindner auf dem Wiesbadener Nordfriedhof beigesetzt. Ich war damals als Berichterstatter für den «Wiesbadener Kurier» unter den Trauergästen vor Ort. Eine unübersehbare Menschenmenge begleitete Lindner auf seinem letzten Weg. Es schien, als stünde das hektische Leben in der hessischen Landeshauptstadt für einige Stunden still.

Wiesbaden hatte mit Peter Lindner seinen größten Sportler verloren – und die motorsportbegeisterte Jugend der Stadt ihr Idol. Oft genug drückten sich die Buben an dessen überdimensionalen Showroom-Scheiben von Lindners Jaguar-Niederlassung regelmäßig die Nasen platt und standen stundenlang für ein Autogramm vor dem Gebäude.

AvD-Präsident und FIA-Vize Fürst Paul Alfons von Metternich hielt für die nationalen und internationalen Motorsportverbände die Grabrede und würdigte nochmals den Menschen und Rennfahrer Peter Lindner. Die Landeshauptstadt Wiesbaden trauerte um einen ihrer größten Sportler und berühmtesten Sohn.

Nachdem Linders langjähriger Cockpit-Partner Peter Nöcker, mit dem er nahezu alle großen Langstrecken-Rennen und WM-Läufe bestritt, den Tod seines Freundes einigermaßen verkraftet hatte, nahm er zwar für 1965 noch ein Porsche-Angebot als Werksfahrer an, empfand aber nach eigener Aussage «keine richtige Freude mehr am Rennsport».

So fuhr Nöcker 1966 seine letzte Saison, zog sich danach komplett aus dem Motorsport ins Privatleben zurück und widmete sich stattdessen verstärkt seinem zweiten Hobby, der Fliegerei.

Anfang Oktober 2007 ist auch der zweite Peter des einstmals so stolzen Jaguar-Dream-Teams Lindner/Nöcker im Alter von 79 Jahren in seiner Heimatstadt Düsseldorf verstorben.

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