1995 starb Kieth Odor: Tod eines Gentlemans
Es war der 10. September 1995, der siebte und vorletzte Lauf zum Super-Tourenwagen-Cup stand an, auf der Berliner Avus. Rund 35.000 Zuschauer hatten sich auf die Tribünen am 2,6 Kilometer langen Autobahn-Kurs verteilt. Sie sollten spannende Kämpfe um die Meisterschaft erleben – und einen ganz bösen Unfall.
Ein Fahrer hatte sich an diesem Wochenende besonders hervorgetan: der Brite Kieth Odor (33), Sohn des Ungarn Janos Odor, der in England ein eigenes Rennteam gegründet hatte – Janspeed.
Doch Kieth startete diesmal nicht bei seinem Vater, sondern hatte sich nach einigen erfolgreichen Jahren in der Britischen Tourenwagen-Meisterschaft, alle auf dem bekannt blau lackierten Nissan Primera eGT, für die Scuderia Italia entschieden.
Und er befand sich in einem illustren Kollegenkreis, denn auch der Italiener Ivan Capelli und der Deutsche Sascha Maaßen fuhren für das japanische Fabrikat.
Noch am Morgen des Rennens war die Stimmung dort super. Denn Nissan hatte mit Kieth Odor nicht nur den ersten Sieg in einer deutschen Rennserie geholt, mein Presse-Kollege von Nissan, Marc de Jong, zeigte sich daher stolz mit Sektglas im Fahrerlager. Denn auch in Spanien hatte seine Marke gerade zwei Läufe zum dortigen Tourenwagen-Championat gewonnen, alles schien in Butter zu sein.
Selbst Odors heftiger Crash vom Rennen zuvor, als er sein Auto auf dem Salzburgring aufs Dach gelegt hatte, schien mittlerweile vergessen und verarbeitet – nun stand ein neues Rennen an.
BMW-Pilot Joachim Winkelhock, in Startreihe eins neben Odor, hatte seinem Konkurrenten noch versichert, dass er sich in Kurve 1 fair verhalten und ihn nicht behindern würde. Dann fiel die Startflagge, die Hatz auf der schnellen Strecke begann.
In Runde 24 passierte es: Odors Auto brach in der berüchtigten, weil kaum einzusehenden Nordkurve beim Anbremsen aus, schlug links gegen die Begrenzungsmauer und prallte von dort aus in die Fahrbahnmitte zurück.
Nun geschah etwas, was nicht nur mir als Augenzeuge, sondern auch vielen anderen Kollegen, die im Infield dieser Kurve standen, wohl nie aus dem Kopf gehen wird – Geräusche von scharfem Bremsen, danach ein harter, metallischer Knall.
Einige Fahrer konnten gerade noch dem dort stehenden Auto ausweichen, nicht jedoch Tabellenführer Frank Biela auf Audi A4. Mit geschätzt 160 km/h prallte er genau in die Fahrertür des Nissan.
Odor, der auf der rechten Seite im Auto saß – es war eine britische Version – hatte keine Chance, diesen Unfall zu überleben.
Zwar wurde er sofort ins Krankenhaus Steglitz-Zehlendorf gebracht, starb dort aber einen Tag später an Gehirnblutung.
Frank Biela: zwei gebrochene Rippen, eine Leberprellung, aber eben auch das schlechte Gefühl, vielleicht nicht richtig reagiert zu haben.
Doch selbst seine Konkurrenten bestätigten ihm, dass in dieser unglücklichen Situation wohl kaum jemand hätte anders handeln können.
Ein völlig schockierter Joachim Winkelhock: «Du siehst ein stehendes Auto erst viel zu spät, wenn du hier mit deutlich über 200 km/h ankommst, selbst mit ABS wäre ein Ausweichen dann nicht mehr möglich gewesen.»
Winkelhock hattedas nach dem Unfall sofort abgebrochene Rennen gewonnen, konnte sich aber über diesen Sieg nicht freuen.
Über die Ursachen des plötzlich ausbrechenden Nissan gab es danach viele Spekulationen.
Manche Techniker führten diese Reaktion zurück auf eventuell brechende Teile in der Aufhängung, zurückzuführen auf das extreme Räubern über die Randsteine der Schikane. Andere glaubten, an der Unfallstelle Öl gesehen zu haben, was auch Nissan-Sportchef Han Tjan als Ursache vermutete.
Mit Kieth Odor verlor das Championat nicht nur einen guten Fahrer, sondern auch einen typischen Briten, der bekannt war als seriöser und korrekter Gentleman.
So mancher wird sich an Szenen mit ihm erinnern, in denen er, abends im Nissan-Zelt, seinen satirischen Humor aufzeigte, immer in der Obhut seines Nissan-Begleiters Han Tjan. Er hatte den Briten schon als kleines Kind kennen gelernt und sprach wohl vielen aus dem Herzen, als er meinte: «Kieth wird uns allen fehlen.»