Valentino Rossi sucht das Glück

Drei Wochen Russland: Horrorgeschichten sind Märchen

Kolumne von Jan Sievers
Dass Russland eine andere Welt ist, steht außer Frage. Die in Europa kursierenden Geschichten, vor allem in Bezug auf Eisspeedway, sind aber blanker Unsinn. Wer das Land versteht, kommt auch zurecht.

Am Moskauer Flughafen Scheremetjewo am frühen Morgen ankommend, stand ich ratlos vor dem Terminal und wartete auf mein Taxi. Tuner Steffen Höppner wollte mich abholen, jedoch war außer nervenden Taxi-Fahrern keiner da, der auf mich wartete. Ein kurzer Anruf bei ihm brachte Gewissheit. Bei allem Stress bei der Vorbereitung hatte ich vergessen ihm mitzuteilen wann ich lande. «Wann fliegst du los?», fragte er mich. Er war verdutzt, dass ich bereits zum Training da war.

Da das Training in Krasnogorsk vier Stunden später beginnen sollte, nahm ich die Sache selbst in die Hand. Wäre ich Krösus, hätte ich mir einen Mietwagen nehmen können. Als Berliner, der quasi in der U-Bahn aufgewachsen ist, konnte es nur einen Plan geben: Mit der Moskauer Metro fahren. Alles ganz easy, wer zumindest kyrillische Buchstaben entziffern kann, auf Russisch nach dem Weg fragen und Dinge wie «was kostet» sagen kann.

Es ging also ab in den Shuttle-Bus, ein Ford Transit mit neun Sitzplätzen und 15 Insassen samt Koffern, auf den Weg zur 30 Minuten entfernt gelegenen Metro-Station. Dort kurz den Metro-Plan fotografiert, für umgerechnet gut 50 Cent ein Ticket gekauft und los ging’s. Mit zweimal Umsteigen im Gedränge des Moskauer Untergrunds war ich eine gute Stunde später in Mitino. Von dort sind es noch mal 20 Minuten Fahrt mit dem Taxi bis zum Sorki-Stadion. Als ich samt Rollkoffer im Fahrerlager aufkreuzte, waren selbst eingefleischte Russland-Kenner erstaunt, dass man als Westler in der Moskauer Metro ohne vorherige Planung zurechtkommt. Als SPEEDWEEK-Reporter ist man flexibel.

Auf die harte Tour

Nach dem Rennen ging es nach Togliatti, wo in der Woche darauf der nächste GP stattfand. Um dort hinzukommen gibt es zwei Möglichkeiten: Weicheier nehmen ein Flugzeug, die Teams nehmen das Auto, um 1000 km weiter gen Osten zu fahren.

Ich schloss mich dem Team von Hans Weber an, doch bevor wir los konnten, kam Nikolai Krasnikov zu uns. Der Rekord-Weltmeister hatte gerade den Moskau-GP gewonnen und als Sondergeschenk einen schicken Rennanhänger. Da außer Weber und Franz Zorn keiner eine Anhängerkupplung am Auto hatte, bat er uns, ihn mitzunehmen.

Zu unserer Verwunderung stellten wir fest, dass der Hänger kein Nummernschild hatte und der Stecker auch nicht in die Dose passte. Kein Problem, sagte Krasnikov, Fahren ohne Licht am Hänger kostet maximal 500 Rubel Strafe (7 Euro) und ein Nummernschild braucht man zur Überführung von Fahrzeugen in Russland sowieso nicht.

So richtig Lust hatte niemand durch einen russischen Schneesturm bei Nacht ohne Licht zu fahren. Zum Glück trafen wir beim Essen Franz Zorn, der uns seinen Adapter auslieh. Bis kurz hinter Moskau war das Wetter in Ordnung, dann folgte ein Schneesturm, durch den wir 800 km lang gefahren sind. Mit Hänger, ohne Nummernschild, dafür aber mit Licht, musste man glauben, wenn man die Horrorgeschichten bei uns hört, dass wir im Knast landen.

Gespannt wartete ich auf die Polizeikontrollen, eigentlich hätten wir verhaftet werden müssen. Klar sah man außerordentlich viel Polizei rumstehen, aber tatsächlich angehalten wurden wir nur einmal. Webers Tuner Steffen Höppner, der fließend Russisch spricht, war mit an Bord und meisterte unsere einzige Kontrolle in 20 Sekunden. Nach der Beantwortung wo wir hin wollen und wo wir her kommen, hatte der Wachtmeister uns schon durchgewinkt.

Was wir an Unfällen im russischen Schneesturm auf dem Weg nach Togliatti unterwegs sahen, entsprach genau dem, was man aus dem Fernsehen kennt: Aggressive Fahrweise im Schneesturm verursacht nun mal schwere Unfälle.

Kein Vorurteil bestätigt

Ich war bereits im Dezember in Russland zur nationalen Meisterschaft und bereits damals enttäuscht: Weltmeister Daniil Ivanov und sein Bruder Ivan holten uns am Flughafen ab, nach kurzer Zeit der erste Zwischenfall: Die Polizei bat uns lautstark per Lautsprecher anzuhalten. Ivanov hatte einen Füßgänger am Zebrastreifen übersehen und nicht angehalten.

Klar dachte ich, jetzt schnell einen Schein rüberschieben und die Sache ist geritzt. Doch im Gegenteil, es dauerte sehr lange. Die Polizisten mussten Ivanov belehren, er 1500 Rubel Strafe zahlen und wir noch 20 Minuten warten. Der Revierpolizist hatte per GPS gesehen, dass seine Kollegen zum Stehen kamen und wir mussten warten, bis er an Ort und Stelle war. Er selbst kontrollierte seine Kollegen, ob sie den Weltmeister richtig belehrt und die Quittung richtig ausgefüllt haben – wie langweilig.

Die Gastfreundschaft der Russen fasziniert immer wieder. Im Gegensatz zu den Amerikanern, die «nice to meet you» sagen, meinen die Russen es auch so. Für alle, die ein schlechtes Bild von Russland haben, sind die Worte von Ivan Ivanov richtungsweisend: Vanja sagt, in Russland sei kein schlechtes System bezugnehmend darauf, wie alles funktioniert. Es ist nur ein anderes als bei uns. Wer es verstanden hat, wird lernen es zu mögen und immer wieder gerne nach Russland fahren.

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