Formel 1: So geht es mit Sergio Perez weiter

Neuer Force India VJM10: Von Renault abgeschrieben

Von Mathias Brunner
In der Formel-1-WM 2016 gelang Force India das beste Team-Ergebnis seiner Geschichte: Schlussrang 4. 2017 will Mitbesitzer Vijay Mallya nun keck die Top-Teams herausfordern.

Typisches Silverstone-Wetter heute an der britischen Traditionsrennstrecke: Nieselregen aus bleiernden Wolkenbergen, dann wieder Regen, der Wind frischt auf. Aber für Force India scheint heute die Sonne: Unweit vom Firmensitz Silverstone zeigen sie ihren 2017er Rennwagen vom Typ VJM10 (steht für Vijay Mallya und das zehnte Modell der Teamgeschichte).

Viele Formel-1-Insider glauben: Mehr als Rang 4, das liegt für ein Mittelfeldteam wie Force India nicht drin. Um noch besser abzuschneiden als in der bislang besten Saison 2016 müsste der Rennstall von Mitbesitzer Vijay Mallya an einem der drei Top-Teams vorbei – Mercedes-Benz, Red Bull Racing oder Ferrari. Wie soll das gehen mit einem Budget, das nur einen Bruchteil der besten drei GP-Rennställe hoch ist?

Der Grund für die eindruckvollen Leistungen jenes Rennstalls, der aus dem einstigen Jordan-Team hervorgegangen ist: Force India setzt seine Ressourcen effizienter als jedes andere GP-Team ein und schaffte es damit, 2016 Rennställe wie Renault und McLaren-Honda hinter sich zu lassen. Der langjährige Force-India-Fahrer Nico Hülkenberg weiss: «Sehr oft ist einfach auch gut. Einige grosse Teams verfügen über fabelhafte Mittel, und doch verlieren sie sich manchmal in der Komplexität des Sports und der Technik. Force Indias Stärke besteht darin, die Dinge möglichst simpel zu halten und sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Mit dieser Strategie lief es ziemlich gut.»

Aber Einige haben bedenken, ob Force India 2017 mithalten kann. Renault-Sport-Geschäftsleiter Cyril Abiteboul bei der Präsentation des neuen Rennwagens der Franzosen: «Wir reden hier von einem gewaltigen Entwicklungswettlauf 2017. Ich bezweifle, ob ein Team wie Force India da mithalten kann. Der grösste Teil ds Budgets wird schon für die Entwicklung des neuen Rennwagens draufgegangen sein. Mit den Ressourcen, die wir haben, sollten wir Rennställe wie Haas oder Force India leicht hinter uns lassen.» Diese Worte lassen aufhorchen. Denn auch in der Formel 1 kommt Hochmut vor dem Fall, und Force India hat ein ums andere Mal bewiesen, wie vermeintlich potenteren Teams ein Bein gestellt werden kann.

Aber die Force-India-Truppe lässt sich nicht so schnell bange machen. Im Gegenteil: Mallya schoss bei der Präsentation zurück in Richtung Renault. «Wir gelten als Weltmeister der Effizienz. Das sagt alles über die Qualität unserer Mitarbeiter im Werk. Und wir sind noch lange nicht am Ende! Wir wollen uns weiter verbessern, und das wird sich 2017 zeigen. Wenn wir es uns nicht erlauben würden, in grossen Dimensionen zu träumen, dann wären wir 2016 nicht Gesamtvierte geworden. Unser Ziel: Wir wollen unser die ersten Drei. Ich habe die Zitate von Cyril Abiteboul gelesen – ich wünsche ihm viel Glück. Es geht nicht darum, wie viele Waffen jemand hat, sondern ob die gut funktionieren.»

Mallya weiter: «Sergio hat den Wagen gesehen und mir gesagt, er sei noch nie so aufgeregt gewesen, als er einen neuen Formel-1-Renner sah. Von Esteban Ocon erwarten wir uns eine Menge. Wir haben uns gut überlegt, wer Nachfolger von Nico Hüllenberg werden soll. Ocon hatte für uns getestet und einen tollen Job gemacht, dann hat er uns im Simulator tief beeindruckt. Wir glauben, wir haben einen guten Schachzug getan.»

«2017 ist ein Neuanfang für alle. Keiner von uns kennt die neue Hackordnung. Aber ich weiss, dass wir rasant entwickeln müssen, um vorne mitmischen zu können. Wir haben das geplant. Wir sind bereit», so Mallya.

«Das war der intensivste Winter, den ich je hatte», sagte Esteban Ocon. «Ich habe fünf Kilo zugelegt, ich wollte körperlich bereit sein für diese 2017er Biester. Ich stehe vor meiner ersten kompletten Saison. Ich habe eine tolle Chance hier, um vom Team und von Sergio zu lernen. Das lasse ich mir nicht entgehen. Das Ziel ist dann: Vom ersten Rennwochenende lang auf Tempo zu sein.»

Auch für Sergio Pérez war es «kein einfacher Winter, diese Autos sind so viel schneller, wie von einem GP2-Renner zu einem Formel-1-Boliden. Also habe ich geschuftet, um mich für diese Rennwagen fit zu machen. Du brauchst alles als Pilot – Kraft, Ausdauer, Reaktion. Ich habe das Training des Nackens verstärkt. Ich bin jetzt vier Jahre da. Kein Team ist so organisiert wie Force India. Das gibt mir die Zuversicht, dass wir noch mehr können als wir 2016 gezeigt haben. Ich vertraue dieser Truppe durch und durch. Ich erwarte ein fabelhaftes Jahr. Esteban wird uns dabei helfen, weil er ein tolles Talent ist, das mich antreiben wird.»

Vor dem Hintergrund des neuen Reglements erfinden alle Teams das Rad ständig neu. Zu Beginn eines neuen Reglements ist es normal, dass wir verblüffend verschiedene Lösungen der Techniker finden – bei den Flügeln oder der Form der Seitenkästen, bei der Form der Nase, beim Verlauf der Luftleit-Elemente. Force India folgt gängigen Trends, also mit kompakten Lufteinlässen, überaus komplexen Flügeln, stark eingezogenen Seitenkästen, um die Saugnapfwirkung es Unterbodens nicht zu stören, mit der stehenden Finne am oberen Ende der Airbox. Technikchef Andrew Green und seine Truppe sind aber auch zu eigenwilligen Lösungen gekommen, wie sich nach dem Enthüllen des Autos zeigt. Die lange Nase kaschiert Einlässe für zwei Schächte, welche Luft unter den Wagen schaufeln, das Auto hat an der Airbox die grösste Finne aller bisher gezeigter Rennwagen. Hier dominiert Funktion die Eleganz.

Wie zuvor die Renner von Sauber und Renault wirkt auch der Force India verblüffend wuchtig, Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton hatte die neue Rennwagengeneration mit einem Boot verglichen.

Aber es ist zu vermuten: Wenn wir uns vor Jahren nach kurzer Zeit an die hässlichen Fahrzeugnasen gewöhnt haben, dann werden wir nach kurzer Zeit auch nicht mehr finden, dass die 2017er Autos massig sind. «Der Wagen wird schon in Australien wieder anders aussehen, die Entwicklung wird rasant sein», kündigte Mallya an.

Die beiden Effizienz-Garantien

Die Effizienz ist auch beim Leitwolf im Team zu spüren, beim Mexikaner Sergio Pérez. Er hat sich einen Ruf als Reifenflüsterer gemacht, und er hat in den letzten Jahren die ganzen Podestränge von Force India erobert – dritte Ränge in Bahrain 2014, Russland 2015, Monaco und Baku 2016.

Effizient ist der Mexikaner auch mit seinem Vertrag: Er hat nur bis Ende 2017 unterzeichnet, um im kommenden Sommer in einer guten Verhandlungsposition zu sein, falls sich bei einem Top-Team ein Türchen öffnet.

Erfolgs-Garantie Andrew Green

Der Mann hinter der eindrucksvollen Effizienz der Rennwagen von Force India heisst Andrew Green. Der Engländer studierte Mechanik, nach Abschluss seines Studiums führte ihn sein erster Job in die Formel-1-Sprungbrettklasse Formel 3000 (heute GP2). Der junge Green arbeitete an der Seite von Rennurgestein Gary Anderson. Als Eddie Jordan seinen langjährigen Kumpel Anderson für sein Formel-1-Projekt abwarb, nahm Gary kurzerhand Green mit nach Silverstone, Anfang der 90er Jahre.

Nachdem Green eine Weile in der Designabteilung gearbeitet hatte, versuchte er sich als Renningenieur und arbeitete unter anderen mit Rubens Barrichello und Ralf Schumacher. Als Green ein Angebot von BAR (British American Racing) als Designer erhielt, nahm Green die Offerte, wurde aber entlassen, nachdem die Autos erfolglos blieben. BAR-Designer Adrian Reynard hatte allen Ernstes davon gesprochen, die alte Tradition aufrecht zu erhalten, wonach ein Renner aus seiner Feder gleich das erste Rennen gewinnt. In der Formel 1 herrschte freilich ein anderer Wind. BAR holte um genau zu sein im ersten Jahr keinen einzigen WM-Punkt. Es rollten Köpfe, darunter jener von Andy Green.

Daraufhin gründete Andy Green eine Beraterfirma und arbeitete dabei auch für Jaguar, aus dem Ende 2004 Red Bull Racing wurde. Mitte 2010 wechselte Green zu Force India, wo er zu Beginn der Saison 2011 zum technischen Direktor befördert wurde, nachdem sein Vorgänger Mark Smith zu Lotus abgewandert war.

Andy Green gilt als Meister darin, die beschränkten finanziellen Mittel überaus effizient einzusetzen. Die Force-India-Renner sind seit Jahren ein verlässlicher Wert in der Formel 1, und der Rennstall aus Silverstone konnte sich stetig steigern – vom zehnten WM-Rang 2008, über die Ränge 9 (2009), 7 (2010), 6 (2011), 7 (2012), erneut 6 (2013 und 2014) auf Rang 5 2015 und dann, als bisherigen Krönung, WM-Schlussrang 4 in der Saison 2016. Hut ab vor dieser Truppe. «Gemessen mit früheren Jahren ist das wirklich ein zu 95 Prozent neues Auto. Wir verfolgen eine ähnliche Philosophie wie bei den früheren Autos, aber die Grundlage ist das neue Reglement», sagte Green.

Force-India-Geschäftsleiter Otmar Szafnauer lobt: «Andy gilt nicht als grosser Name in der Branche, aber er kennt unser Team bis zum letzten Mitarbeiter und bis zur letzten Schraube, er hat einen soliden Hintergrund als Designer und Renningenieur. Er ist der ideale Mann für uns, und ich hoffe, er bleibt noch viele Jahre.»

Szafnauer zum neuen Auto: «Wir wussten, wir müssen mit der Arbeit sehr früh beginnen, ab Mai 2016 haben wir aufgehört, den letztjährigen Wagen zu entwickeln, um uns auf 2017 zu konzentrieren. Wir hoffen, das gibt uns einen Vorsprung auf die Gegner. Wir sind mit unserer Arbeit sehr zufrieden.»

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