Formel 1: Günther Steiner rechnet ab

Analyse von Marc Surer: Kaltenborn, Alonso, Vettel

Von Mathias Brunner
​Der Schweizer Marc Surer, Formel-1-Experte der deutschen Sky, über die heissen Themen im Baku-Fahrerlager: Trennung Sauber–Kaltenborn, die Probleme von Ferrari, das Rätsel Fernando Alonso.
Marc, kam für dich die Trennung von Sauber und Monisha Kaltenborn überraschend?

Ja, und ich glaube, das würden die meisten Experten im Fahrerlager sagen. Klar habe auch ich bemerkt, dass es Reibereien gab zwischen der Technikabteilung und ihr, aber dass die Situation in so kurzer Zeit eskalieren würde, das hätte ich nicht erwartet.

Was hat sie den Kopf gekostet?

Ich habe den Eindruck, es gab einen Machtkampf zwischen ihr und der Technikabteilung. Es war davon die Rede, dass sie zu viel Einfluss bei der Technik nehmen wollte, und kein Techniker will das.

Vieles deutet darauf hin, dass der Franzose Frédéric Vasseur Nachfolger von Frau Kaltenborn wird. Wäre das eine gute Wahl?

Auf jeden Fall. Das ist ein absoluter Renn-Insider mit wirklich eindrucksvollen Erfolgen. Sauber braucht nun jemanden, der das Team vorwärts treibt, keinen Politiker, sondern einen Racing-bezogenen Fachmann, und genau so schätze ich Vasseur ein.

War denn ein Teil des Problems Kaltenborn, dass sie als Anwältin halt eher der kühle Rechner ist und nicht der leidenschaftliche Racer mit Benzin im Blut?

Nein, das finde ich nicht. Ich hatte schon den Eindruck, dass sie den Sport liebt.

Reden wir vom Baku-Qualifying. Der Ferrari gilt als Allzweckwaffe, auf jeder Art von Rennstrecke und bei allen Bedingungen schnell. Aber Mercedes hatte hier im Abschlusstraining die Nase deutlich vorn. Wieso?

Da gibt es mehrere Gründe. Wir erwarten ja immer von Sebastian Vettel, dass er noch etwas ganz Besonderes aus dem Helm zaubert. Das ist nicht passiert. Kimi Räikkönen zeigt mit solidem Speed fast jedes Mal, wo Ferrari steht, doch Vettel kann da in der Regel immer noch ein paar Zehntel rausquetschen. Sebastian hatte aber kein gutes Wochenende, er war mehrere Male im Notausgang. Und, nicht vergessen, bei ihm musste ein anderer Motor eingebaut werden, das ist nach meinem Verständnis das Melbourne-Aggregat, und das ist halt schon ein wenig müde. Das macht sich auf einer Power-Strecke gewiss bemerkbar. Die Ferrari-Piloten hatten ferner Mühe mit den Reifen, auch das spielte eine Rolle.

Erlebst du die Baku-Strecke anders als vor einem Jahr?

Die Strecke nicht, aber ich erkenne, dass die Fahrer mit den breiteren Autos mehr Mühe haben. Wir erleben viele Mauerküsse, jedenfalls deutlich mehr als 2016. Das ist für mich erstaunlich, denn in Monte Carlo war davon nichts zu sehen.

Eine Veränderung gibt es doch, der Randstein in der engen Kurve 8, wo es zur Altstadt hochgeht, wurde nach innen verlegt. War das die richtige Entscheidung?

Ich hätte ihn sogar ganz weggelassen. Die erste Version des Randsteins war so gelegt, dass du bei einem Ausrutscher in stumpfem Winkel auf die Pistenbegrenzung geprallt bist. Lässt du den Randstein weg, dann ist der Speed in der Kurve zwar höher, aber der Winkel ist derart anders, dass du später und in flachem Winkel anhängen würdest, das ist weniger gefährlich. Das war ein witziger Zufall: Ich sass eben mit Pistenarchitekt Hermann Tilke beim Abendessen, als Formel-1-Rennchef Charlie Whiting angerufen und um ein Treffen in Kurve 8 gebeten hat. Das war am Freitagabend, so um neun. Nun liegt der Randstein weiter innen und ist auch flacher. Da kannst du ihn auch gleich weglassen.

Ich finde, Fernando Alonso sendet an diesem Wochenende verwirrende Signale. Da hat McLaren-Honda eine desaströse Baku-Zwischenbilanz, und der Spanier sagt, für ihn laufe es bislang super. Er redet auch davon, dass er 2018 Rennen gewinnen werde. Was weiss er, was uns verborgen ist?

Das ist ganz schwer zu sagen. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt – Fernando lässt oft solche Versuchsballone steigen. Hin und wieder will er damit andeuten, wo sich etwas hinentwickeln kann, er sendet quasi versteckte Mitteilungen. Es gibt aber auch Situationen, bei welchen ich den Eindruck gewinne, er will nur ein wenig provozieren, oder er flieht in Ironie. Im Grunde können wir nur spekulieren, was seine Situation angeht.

Was passiert heute im Aserbaidschan-GP?

Hoffentlich mehr als 2016! Vor einem Jahr war ich sehr enttäuscht. Wir hatten von der GP2 einen wahren Hitchcock-Thriller serviert bekommen, und im Grand Prix passiert so gut wie nichts. Die vielen Ausrutscher im Training geben Anlass zur Hoffnung, dass wir eine Safety-Car-Phase erleben werden, die alles ein wenig durchmischt.

Siehst du die drei Top-Teams auf Augenhöhe?

Im Renntrimm schon. Im Qualifying hat sich die Extra-Power ausgewirkt, die Mercedes in einem Abschlusstraining abrufen kann. Und der müde Ferrari-Motor von Vettel spielte wie gesagt auch eine Rolle.

Aus dem Bauch heraus – wer gewinnt?

Unter normalen Umständen würde ich sagen: Start/Ziel-Sieg von Lewis Hamilton. Aber ich würde mir halt eben keinen normalen Rennverlauf wünschen.

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