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Überholen in der Formel 1: Das Problem, die Lösungen

Von Mathias Brunner
Das wollen die Fans sehen – packende Zweikämpfe wie hier von Sebastian Vettel mit Lewis Hamilton

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​Gemäss Daten von Formel-1-Alleinausrüster Pirelli ist die Zahl an Überholmanövern 2017 gemessen an 2016 dramatisch gesunken, um 47 Prozent. Wir sagen, was das Problem ist und zeigen Lösungswege.

Diese Zahlen erschrecken: Die Reifenspezialisten von Pirelli haben erreichnet – die Fans erlebten in der Formel-1-Saison 2017 47 Prozent weniger Überholmanöver als im Jahr zuvor. Insgesamt zählte Pirelli 435 Überholmanöver oder im Schnitt 21,75 pro Grand Prix. 2016 waren es noch 866 Überholmanöver (bei einem Rennen mehr), mit einem Schnitt von 41,23 pro Grand Prix. 2015 besagten die Zahlen bei 19 Rennen 509 Manöver, mit einem Schnitt von 26,79 pro WM-Lauf.

Für diese 47 Prozent weniger gibt es zwei gravierende Gründe. Erstens haben die Reifenspezialisten aus Mailand zugegeben, beim Schritt in die neue, schnellere Formel 1 von 2017 ein wenig konservativ gewesen zu sein. Will heissen: Die Reifen waren zu hart. Die Walzen erwiesen sich als haltbarer, bauten weniger ab, wir sahen weniger Boxenstopps.

Die Autos mit breiteren Reifen und mehr Abtrieb erzeugen zudem mehr «dirty air», also verwirbelte Luft hinter dem Wagen. Das erschwert es dem Gegner, sich in den Windschatten zu arbeiten.
Lewis Hamilton: «Es ist ein wenig streckenspezifisch. Aber wenn dein Auto nicht um mindestens eine Sekunde schneller ist, dann wird das Überholen schwierig.»

Nicht alle lassen diese Einwände gelten. Dem 158fachen GP-Teilnehmer Martin Brundle, Formel-1-Fachmann der britischen Sky, fiel auf: «Die Fahrer müssen umdenken. Früher hast du darauf gewartet, dass ein Gegner wegen Reifenproblemen langsamer wird oder ohnehin zur Box abbiegt. Oder du hast dich auf deinen verstellbaren Heckflügel verlassen, das so genannte DRS, drag reduction system. Dann erkannten wir schon beim zweiten Saisonrennen in China auf der langen Gegengeraden – selbst mit flach gestelltem Flügel ist es nicht so einfach, sich in den Windschatten des Gegners zu arbeiten. Also müssen sich die Piloten etwas einfallen lassen. Du musst dir den Gegner an einer gewissen Stelle zurechtlegen oder ihn mit einem Angriff überrumpeln. Mir war klar, wir würden weniger Manöver als früher sehen, aber jene Attacken, die wir erlebten, das waren richtige Angriffe, keine künstlichen, die nur wegen des Heckflügels zustande kamen.»

Am meisten Überholmanöver 2017 waren in Baku zu sehen: nämlich 42. Der erfolgreichste Überholer: Daniel Ricciardo, mit 43, 13 davon alleine bei seinem Rennen in Silverstone.

Die besten Verteidiger: Max Verstappen und Lewis Hamilton. Sie wurden in der ganzen Saison nur zwei Mal überholt!

Pirelli rechnete übrigens nur auf Basis fliegender Runden (die Runde 1 eines Rennens zählt damit nicht), es wurden nur Manöver gezählt, die bis zum Schluss der betreffenden Runde Bestand hatten, auch Überrundungen oder Überholmanöver aufgrund eines technischen Problems des Gegners zählten nicht.

Lösungswege auf drei Ebenen

Der Engländer Ross Brawn ist bei Formula One Management (FOM) für die Entwicklung von Technik und Sport zuständig. Er hat die Überholprobleme längst erkannt. Eines wird sich aus seiner Sicht von selber lösen – Pirelli bringt 2018 weichere Reifen zu den Rennen.

Brawn denkt darüber nach, wie die verschiedenen DRS-Zonen verlängert werden könnten. Generell aber ist der Rosenzüchter kein Freund dieser Überholkrücke: «Ich würde es bevorzugen, wenn ein Platzgewinn durch einen normalen Überholvorgang erreicht wird anstatt durch etwas Künstliches wie DRS», sagte Brawn.

Rückendeckung gab es von Weltmeister Lewis Hamilton: «Wir sollten in der Lage sein, dass wir in der Formel 1 echten Rennsport zeigen dürfen, und nichts Künstliches wie DRS brauchen.»

Indy-500- und GP-Sieger Juan Pablo Montoya fand einen hervorragenden Vergleich: «Die Fans erhalten mehr Überholmanöver zu sehen. Das ist gut. Ich aber sehe das Überholen als Kunstform. DRS, das ist doch, wie wenn du einem Picasso damals Photoshop gegeben hättest.»

Wer nun aber hoffte, dass das Thema künstliche Überholhilfe schnell abgehakt werden kann, der irrt. «Wir werden das DRS nicht überstürzt abschaffen», sagte Brawn: «Ich würde aber gerne eine langfristige Lösung beim Fahrzeugdesign finden, damit DRS nicht mehr nötig sein wird.» Brawn forscht mit seinen Kollegen nach Autos, die aerodynamisch weniger sensibel sind.

Neben Reifen und Autos gibt es noch eine dritte Baustelle: die Rennstrecken.

Brawn und seine Kollegen stellen derzeit ein Dossier zusammen: Auf welchen Pisten ist das Überholen besonders schwierig? Und wieso? Welche geringfügungen Änderungen an einer Strecke würden die Situation verbessern?

Die FOM sucht nach Masse statt Klasse. Die Mischung muss stimmen. Keine Prozession wie in Abu Dhabi, aber auch kein unübersichtliches Durcheinander dank viel zu leichter Überholmanöver mit DRS.

Es ist kein Zufall, dass gerade Kurve 1 in Austin viele tolle Manöver erzeugt: Denn diese Kurve erlaubt verschiedene Linien, die Fahrer können experimentieren und sich einen Gegner zurechtlegen.

Einfach gesagt: Eine Haarnadel auf einer engen Bahn funktioniert nicht, weil es dort nur eine Linie gibt, die Ideallinie eben. Bei einer Haarnadel auf extrem breiter Bahn sieht das schon wieder ganz anders aus. Hier können die Piloten etwas aushecken, um den Gegner in der Kurve darauf zu übertölpeln.

Ebenfalls Gegenstand der FOM-Analyse sind die Pistenoberflächen. Hier gilt die Faustregel: Strecken mit glatter Oberfläche erzeugen fade Rennen – weil die Reifen kaum abbauen.

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