Formel 1: So geht es mit Sergio Perez weiter

Fans genervt: Pay-Driver Sergey Sirotkin im Williams

Kolumne von Mathias Brunner
​Wenn sich der 22jährige Russe Sergey Sirotkin bei Williams einnistet und GP-Veteran Robert Kubica rausdrückt, dann regen sich viele Fans auf: Wieder ein Bezahlfahrer, braucht die Formel 1 das wirklich?

Der Engländer Ross Brawn ist für «Formula One Management» für die Entwicklung von Technik und Sport zuständig. Was dem 63jährigen Wegbegleiter von Michael Schumacher bei Benetton und Ferrari ein Dorn im Auge ist: «Max Verstappen ist ein überaus aufregendes Element der Formel 1. Mein Traum wäre es, in den kommenden Jahren mehr Piloten von seinem Schlag zu haben. Wir sollen wieder in eine Lage kommen, dass nur die Besten in der Formel 1 fahren. Damit wir uns jetzt nicht falsch verstehen – das fahrerische Niveau in der Formel 1 ist heute sehr hoch. Aber wir haben auch wirtschaftliche Sachzwänge, was gewisse Rennställe angeht. Diese Sachzwänge drängen sie zu entsprechenden Fahrerentscheidungen. Könnten wir das aus der Welt schaffen, hätten wir die Chance, den Standard noch höher zu schrauben.»

In solch einer Situation befindet sich der Williams-Rennstall. Denn die wirtschaftliche Realität im Rennwagenwerk von Grove sieht so aus: Würde der Kanader Lawrence Stroll (Vermögen gemäss Forbes: 2,5 Milliarden Dollar) sein Geld für Sprössling Lance Stroll abziehen, stünde Williams am Abgrund.

Mit rund 17 Millionen Euro Mitgift schlüpft der 22jährige Moskauer Sergey Sirotkin in den zweiten Williams-Renner, und viele Fans reagieren genervt. Tenor: Toll, noch ein Bezahlfahrer in der Formel 1, statt eines Naturtalents wie Robert Kubica, brauchen wir das?

Ich gestehe: Mich hätte die Rückkehr von Kubica wahnsinnig gefreut. Weil ich Robert (bei aller Neutralität) mag, weil ich ihn für ein verlorenes Talent der Formel 1 halte und weil diese Comeback-Story genau aus dem Stoff gewoben ist, welcher Sport so faszinierend macht.

Auch Ex-GP-Pilot Martin Brundle findet: «Es ist enttäuschend zu sehen, dass talentierte Fahrer ausgebootet werden und andere Piloten nur deshalb im Wagen sitzen, weil sie Geld mitbringen. Das finde ich unbehaglich.»

Aber Brundle differenziert: «Es kommen immer mehr Bezahlfahrer und arbeiten sich nach vorne. Sie sind trotzdem gute Rennfahrer.»

Klar rümpften vor einem Jahr viele Formel-1-Freunde die Nase: Lance Stroll, noch ein Bezahlfahrer, na prima. Aber in Wahrheit hat Stroll immer Leistung gebracht – italienischer Formel-4-Titel 2014, Gewinner der Winterserie Toyota Racing Series 2015, F3-Champion 2016. Das alles brachte ihm vor dem Hintergrund des Nachwuchsfahrer-Punktesystems der FIA genügend Zähler ein, um den Formel-1-Führerschein namens Superlizenz zu verdienen.

Auch nicht zu verachten: Nur einmal schaffte es 2017 ein Fahrer aufs Podest, der nicht von Mercedes, Ferrari und Red Bull Racing kam. Sein Name: Lance Stroll (Dritter in Baku).

Der junge Kanadier findet: «Geld hat Türen geöffnet, keine Frage. Wir reden hier von einem extrem teuren Sport. Es gibt unzählige Piloten, welchen diese Chance verwehrt bleiben, Fahrer, die sehr talentiert sind, aber wegen Geldmangels irgendwann stranden. Ich bin mir dessen sehr wohl bewusst. Ich finde das schade, aber das ist nun mal so. Ich habe für den Schritt in die Formel 1 hart gearbeitet, und ohne meine Siege und Titel wäre ich jetzt nicht bei Williams.»

Die Förderung seines Sohnes vom Kart bis in den Formel-1-Williams soll den Unternehmer Schätzungen zufolge rund 30 Millionen Dollar gekostet haben, samt Privattests seines Sohnes in einem 2014er Williams-Renner auf verschiedenen Rennstrecken rund um die Welt.

Stroll weiter: «Aus meiner Sicht funktioniert das so – zunächst brauchst du jemanden, der dich unterstützt. Die Familie oder ein Sponsor. Das hilft für den Schritt vom Kart in den Rennwagen oder von Kanada nach Europa. Aber dann bist du auf dich alleine gestellt. Geld kauft keine Siege. Egal wie viel Unterstützung du hast, am Lenkrad drehst du selber. Und wenn du das zu wenig gut machst, dann reicht es nicht. Geld eröffnet Gelegenheiten, einen Sitz in der Formel 4, im Go-Kart, in der Formel 3. Aber du brauchst Ergebnisse, um die Superlizenz zu erlangen. Nur dann darfst du in die Formel 1. Und diese Punkte habe ich mir erkämpft.»

Sergey Sirotkin hat in seinen zwei Jahren GP2 (heute Formel 2) immerhin dreizehn Podestränge erkämpft und drei Mal gewonnen, er wurde 2015 und 2016 Gesamtdritter, bevor ihn Renault für 2017 zum offiziellen Test- und Ersatzfahrer gemacht hat.

Gewiss, der Moskauer kommt mit finanzieller Hilfe daher, aber er war bei den Abu-Dhabi-Tests auch schneller als Robert Kubica. Und das Geld hat nicht geholfen, das Gaspedal runterzudrücken.

Formel 1 ohne Bezahlfahrer: Wirtschaftlich untragbar

Ex-GP-Star Mark Webber (41) hat seine erfrischende Offenheit behalten. Politische Korrektheit ist dem neunfachen Grand-Prix-Sieger fremd, wenn er unverblümt festhält: «Von allen Piloten, mit welchen ich die Rennstrecke geteilt habe, war Pastor Maldonado der schlechteste. Er ist wirklich fehl am Platz und sollte einfach nicht in der Formel 1 sein. Er füllte das Feld, mehr nicht.»
Bis kurz vor der Saison 2016 Maldonados Geldquelle «Petróleos de Venezuela S.A. (kurz PDVSA) versiegte – und Pastor bei Renault durch den Dänen Kevin Magnussen ersetzt wurde.

Webber weiter: «Wir brauchen wieder mehr hochqualifizierte Fahrer in der Formel 1. Von den Top-Ten rede ich nicht, hier fahren Ausnahmekönner wie zu meiner Zeit. Nein, ich spreche von mangelnder Tiefe, da ist das Startfeld schwächer denn je. Wenn du über die ersten Zehn hinausguckst, dann findest du da bald nur noch Bezahlfahrer. Das ist nicht gut.»

Der langjährige Red Bull Racing-Pilot und dreimalige WM-Dritte (2010, 2011 und 2013) findet: «Damit wir uns richtig verstehen – ich weiss natürlich auch, dass Fahrer mit Mitgift immer schon Teil des Sports waren. Aber ich finde einfach, als ich in die Formel 1 kam, also 2002, aber selbst einige Jahre vorher und nachher, da hatten junge Piloten noch eine bessere Chance, durch gute Leistungen in Nachwuchskategorien auf sich aufmerksam zu machen. Sie erkämpften sich ein Renncockpit durch ihre Ergebnisse.»

«Ich vermisse bei einigen Fahrern einfach den Hunger. Wir wollen doch die Besten am Werk sehen, die Fahrer, die sich emporgearbeitet und durch Siege in unteren Klassen verdient gemacht haben; Piloten, die zielorientiert sind, durch und durch professionell, die nach Erfolg gieren, für die der Sport alles bedeutet. Solche Piloten will ich in der Formel 1 sehen.»

Nur: Schon die Wurzeln des Motorsports gründen nicht auf Talentförderung, sondern auf Herrenfahrer, die sich die schnellsten Autos der Welt leisten konnten und damit auf die Strecke gingen. Im Grunde waren sie nichts anderes als Bezahlfahrer im wörtlichsten Sinne.

Und jetzt einmal tief durchatmen, Freunde, denn nun sprechen wir von den ganz Grossen der Branche: Wer bezahlte Reise und Fahrzeug, als Juan Manuel Fangio in den 40er Jahren nach Europa kam? Der Staat Argentinien.

Wer trug das Risiko, als sich Niki Lauda mit vollem Risiko in die Formel 1 ellbögelte? Eine Bank.

Wer hielt Michael Schumacher den Steigbügel zum ersten Grand-Prix-Einsatz? Mercedes-Benz.

Wer hätte das gedacht: Fangio, Lauda, Schumacher, alles Bezahlfahrer. Dennoch haben sie sich in der Folge recht achtbar aus der Affäre gezogen …

Ja, ich finde auch, in der Formel 1 sollten die besten Rennfahrer der Welt antreten. Doch jetzt mal ehrlich – die Besten sind es ohnehin nie: Denn einige weitere sind in anderen Kategorien zu finden, ohne je Grand Prix zu fahren – Rallye, Langstreckensport, USA. Viele Talente, grösser als heutige GP-Sieger, haben aus vielschichtigen Gründen nie den Weg in die Formel 1 gefunden.

Ich fürchte, es gehört zu einer romantischen Verklärung, wenn wir Zeiten herausbeschwören wollen, in welchen nur Piloten antreten, die nach herausragendsten Ergebnissen ihren Platz erhalten haben. Das entspricht einfach nicht der wirtschaftlichen Realität.

Auch wenn ich das selber bedaure.

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