Formel 1: So geht es mit Sergio Perez weiter

Neue Strecken wie Vietnam: Schlechte Vorbilder

Kolumne von Mathias Brunner
​​​Formel-1-Grossaktionär Liberty Media will das GP-Programm auf bis 25 Rennen ausbauen, 2020 kommt Vietnam. Mit Ländern wie Saudi-Arabien wird verhandelt. Die Vergangenheit zeigt: Vorsicht ist geboten.

Ich war immer beeindruckt davon, wie der frühere BMW-Rennchef Dr. Mario Theissen das auf den Punkt gebracht hat: «Ich finde, in der Formel 1 muss die Mischung stimmen – traditionelle Strecken, welche die DNA des GP-Sports verkörpern, wie Monza oder Silverstone oder Monaco, gepaart mit neuen, aufregenden Orten, wie Singapur oder Abu Dhabi.»

Formel-1-CEO Chase Carey hat festgehalten: «Wir wollen den Fans eine gute Show garantieren, frühere Veranstaltungen waren oft fad. Wir sind der Überzeugung, dass in den vergangenen Jahren zu wenig investiert worden ist. Da ist zu sehr auf die Kosten geachtet worden und zu wenig auf Wachstum. Die Formel 1 ist ein Premiumprodukt von Weltklasse-Format. Aber das müssen wir mehr unterstreichen. Wir werden einige heutige Rennen aussortieren, mit welchen wir unattraktive Arrangements geerbt haben. Wir werden sie durch neue WM-Läufe oder bessere Verträge ersetzen, durch Veranstaltungen, welche für den Sport besser sind, durch Abkommen welche für uns mehr Wert bieten.»

Neu kommt 2020 ein Grosser Preis von Vietnam, die Formel 1 kehrt nach Zandvoort zurück, mit Ländern wie Saudi-Arabien laufen Verhandlungen, um einen WM-Lauf auszutragen. Aber nicht alles, was neu ist, muss auch gut sein. Carey und Co. müssen sich nur ansehen, wie die Formel 1 in den vergangenen Jahren vorgegangen ist – dann erkennt er schnell, was funktioniert hat und was nicht. Denn nicht alle neuen Austragungsorte zeugten von einer glücklichen Hand. Eher von tiefen Taschen der früheren Formel-1-Führung.

Wenn wir uns neuen Standorte anschauen – wer sich etabliert hat, wer kämpft, wer zum Scheitern verurteilt war – dann zunächst ein Hinweis: Natürlich haben wir den herrlich gelegenen Red Bull Ring in der Steiermark nicht vergessen und auch nicht die verrückten Mexikaner am Autódromo Hermanos Rodríguez. Beide Strecken wurden jedoch umgebaut und sind damit strenggenommen Rückkehrer, keine Neulinge. Das Gleiche gilt für Le Castellet und den Dünenkurs von Zandvoort. Österreich und Mexiko sind willkommene Bereicherungen im Formel-1-Programm; die Steiermark, weil der Sport mehr Visionäre wie Didi Mateschitz und mehr europäischen Pisten braucht, und Mexiko, weil die Stimmung entlang der Stadtrennstrecke mit dem wohligen Wahnsinn von Monza oder Interlagos zu vergleichen ist. Natürlich brauchte Frankreich seit Jahren wieder einen WM-Lauf. Und die niederländischen Fans von Max Verstappen werden Zandvoort in ein Tollhaus verwandeln. Aber das sind nicht Strecken, die ich als neu einstufe. Daher lasse ich sie hier aussen vor.

Schauen wir uns die neuen Strecken der vergangenen fünfzehn Jahre mal im Detail an.

Bahrain: Üppig finanziert
Bahrain hat sich seit 2004 etabliert. Wir könnten nicht behaupten, dass die Fans die arabische Insel vor Begeisterung überrennen. Aber alles deutet darauf hin, dass der Bahrain-GP bleibt, von der Königsfamilie üppig finanziert. Die Umstellung auf ein Nachtrennen 2014 hat mehr Fans zur Rennstrecke gelockt, die Rennen sind erheblich interessanter geworden, die Autos sind unter künstlichem Licht attraktiver als in gleissender Nachmittagssonne.
Note: gut.

Shanghai: Aufwärtstrend
Shanghai hat seit 2004 eine seltsame Entwicklung genommen: Bei der ersten Ausgabe kamen sehr viele Neugierige, dann verflachte das Interesse. In den vergangenen Jahren jedoch haben die chinesischen Organisatoren erheblich mehr Werbung für ihr Rennen gemacht, und das wirkt sich positiv aus. Die Zuschauerzahlen steigen, auch dank des Bahnhofs direkt an der Rennstrecke, der in den ersten Jahren gar nicht in Betrieb war.
Note: genügend.

Türkei: So nicht
Die Formel 1 in der Türkei ist da Prachtbeispiel einer verpassten Chance. Das ist sehr bedauerlich, denn der 2005 erstmals genutzte Rennkurs war anspruchsvoll und bei den Piloten beliebt. Leider war die Strecke zu weit von der tollen Stadt Istanbul entfernt. Den meisten Türken schien es völlig schnuppe zu sein, dass in ihrem Land ein Autorennen stattfindet. Nach 2011 war Schluss.
Note: schlecht.

Valencia: Falsches Timing
Valencia ist am Timing gescheitert: Spanien im Allgemeinen und Valencia im Besonderen schlitterten in enorme wirtschaftliche Probleme, da waren 30 Millionen Euro Antrittsgebühr für die Formel 1 zu einem obszönen Luxus. Die Strecke am Meer war hübsch anzusehen, aber die Piloten fanden sie einfallslos, die Fans gähnten sich in den meisten Rennen der Zielflagge entgegen. Die Zuschauerzahlen? Im ersten Jahr 2008 ordentlich, danach im freien Fall. Das Rennen beschäftigt wegen zweifelhafter Geldflüsse bis heute die Gerichte.
Note: mangelhaft.

Singapur: Ein sofortiger Klassiker
Singapur hat ab 2008 das Kunststück geschafft, in kürzester Zeit ein Klassiker zu werden: Die Atmosphäre beim ersten reinen Nacht-GP ist einmalig und elektrisierend und die Piste der Hammer, eine ganze Stadt liegt im Formel-1-Fieber. Die Fahrer lieben die Herausforderungen der Buckelpiste, gepaart mit Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit. Die Veranstalter verwöhnen die Fans mit Weltklasse-Konzerten – so geht das heute! Das Rennen ist jedes Mal ausgebucht.
Note: sehr gut.

Abu Dhabi: Geld spielt keine Rolle
Abu Dhabi debütierte 2009. Die komplette Anlage ist angeblich die teuerste der Welt, mit allem Drum und Dran steckt wohl eine Milliarde Dollar in diesem Traum aus 1001 Nacht. Das Rennen mit Start bei Sonnenuntergang hat sein eigenes Flair, der Rahmen mit dem atemraubenden Yas-Hotel und den Yachten glamourös und exotisch. Die Zuschauerzahlen bewegen sich ungefähr auf dem Niveau von Bahrain, aber das ist den Arabern egal. Die Rennstrecke ist für sie die Chance, Abu Dhabi weltweit in die Auslage zu stellen. Nur das zählt.
Note: gut.

Südkorea: Komplette Schnapsidee
Südkorea war die Schnapsidee eines Staatschefs, der seiner Heimatregion etwas Gutes tun wollte. Eine Formel-1-Rennbahn 300 Kilometer von der Weltstadt Seoul entfernt im Nichts – wie sollte das bitteschön gutgehen? Die Mittel fehlten, um die Piste in Schuss zu halten. Die geplante Stadt um die Strecke herum blieb der feuchte Traum von Computergrafikern. Unvergessen wie die Teams 2011, ein Jahr nach der Premiere, in den Kühlschränken die Essensreste vom Vorjahr vorfanden! Am Fusse des Siegerpodests lag ein Korken von der Siegesfeier zwölf Monate zuvor. Kurios, wie die meisten Angehörigen des GP-Zirkus in Stundenhotels untergebracht wurden, die üblichen Mieterinnen eine Woche vor dem Grand Prix in Busladungen ausser Reichweite gekarrt. Die Südkoreaner pokerten mit Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone um eine niedrigere Antrittsgebühr. Der strich daraufhin gnadenlos das Rennen. Die Piste zerbröselt als Bauruine.
Note: schlecht.

Indien: Keiner will zurück
Nur drei Mal gab es einen Indien-GP, und kaum einer im Fahrerlager weint dem Rennen auch nur eine Träne nach: Jämmerliche Bausubstanz, Steuerstreit, unfassbare Zustände im Grossraum Delhi. Die frühere Formel-1-Führung stolperte halb blind dem Wachstumsmarkt Indien hinterher, aber das Zuschauerinteresse liess nach ordentlichem Besuch im ersten Jahr schlagartig nach. Die Piste liegt zu weit weg vom Zentrum Delhis, und die meisten Inder setzen ihre Prioritäten völlig richtig – lieber einen Monat lang zu essen als eine GP-Eintrittskarte.
Note: schlecht.

Texas: Ein Zuhause in den USA
Die Texaner haben der Formel 1 endlich ein passendes Zuhause gebaut. Eine tolle Rennstrecke mit ganz besonderem Flair ausserhalb einer sympathisch-dynamischen Stadt. Der Formel-1-Tross fühlt sich hier seit 2012 willkommen und wohl.
Note: sehr gut.

Sotschi: Mehr Pfeffer, bitte
Grundsätzlich sieht die Rennstrecke um die Bauwerke der Olympischen Winterspiele 2014 aufregend und ungewöhnlich aus. Aber vor Ort wirkt die Anlage merkwürdig seelenlos. Das Premierenrennen war zum Davonlaufen, die Zweitausgabe 2015 hingegen spannend – was am ungewöhnlichen Training lag. Wegen Regens konnten die Rennställe kaum Erfahrungen sammeln, das Rennen war ein Schritt ins Unbekannte. Das ergibt in der Regel unterhaltsame Grands Prix. 2016 versuchten die Russen nach zwei Herbst-GP etwas Anderes, das Rennen wurde in den Frühling versetzt. Prompt stiegen die Zuschauerzahlen. Die Tendenz stimmt.
Note: genügend.

Baku: Versprechen gehalten
Die Formel 1 in Aserbaidschan, da wurden 2016 Fans und Fachleute nicht eben von Begeisterung übermannt: Die Motorsporttradition im ölreichen Land ist überschaubar. Bernie Ecclestone und Flavio Briatore hatten den Weg zum Strassenrennen in Aserbaidschan geebnet, für 50 Millionen Dollar im Jahr tritt dort unser Wanderzirkus an. «The speed is higher in the land of fire», versprachen die Organisatoren des Stadtrennens von Baku, und sie hielten Wort: Valtteri Bottas fuhr 2016 auf der Geraden 378 Sachen! Die Fahrer schwärmten von der haarigen Fahrt durch die Altstadt. Im zweiten Jahr wurde das Rennen zum wahren Drama, mit Unfällen hüben und drüben und einem Sebastian Vettel, dem die Tassen im Schrank ein wenig durcheinander gerieten: Rammstoss gegen Lewis Hamilton. Das 2018er Rennen verlief ähnlich turbulent. Schnell und spektakulär, dazu eine reizvolle Kulisse, Baku würde eine bessere Note verdienen – wenn wir nur mehr Zuschauer hätten! 30.000 Fans sind für die schnellste Formel 1 aller Zeiten eine unwürdige Kulisse. 2019 folgte ein eher zahmes Rennen.
Note: gut.

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