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Nürburgring 1966: ZDF sendet aus dem Renncockpit

Kolumne von Rainer Braun
?Die Helmkamera von Fernando Alonso in Spa-Francorchamps und von George Russell in Monza lässt die Fans schwärmen. Die ersten Gehversuche des ZDF in Sachen Bordkamera 1966 waren Pionierarbeit.

Am dritten September-Wochenende startet auf der Nordschleife des Nürburgrings das historische 1000-km-Rennen als Revival jener grandiosen Jahre des Sportwagen-Klassikers. Eine gute Gelegenheit, um auf eine richtungsweisende Premiere bei diesem Rennen zu verweisen. Denn 1966 riskierte das ZDF erstmals die drahtlose Übertragung von Rennbildern aus einem Porsche 904 GTS mit der Cockpit-Besatzung Paul Frère und der ZDF-Allzweckwaffe Rainer Günzler.

Im Zuge einer ZDF-Planungskonferenz für die TV-Berichterstattung vom 1000-km-Rennen 1966 überraschte Günzler die Redakteurs-Runde mit dem Vorschlag, doch mal eine Live-Reportage aus dem Cockpit eines fahrenden Rennautos in Betracht zu ziehen. Regisseur Kurt Meinicke, der zur ZDF-Gründungsmannschaft gehörte, erinnerte sich: «Erst haben sich alle ziemlich ratlos angeguckt, dann kam langsam eine Diskussion über die technischen Möglichkeiten und der Kosten in Gang.»

Sportchef Willi Krämer (Vater des späteren DTM-Regisseurs Bernd Krämer) gab schließlich grünes Licht für ein Projekt, das zum Meilenstein der mobilen Live-Reportage werden sollte. Kurt Meinicke: «Wir standen vor der Aufgabe, erstmals Ton und Bild aus einem geschlossenen Sportwagen als qualitativ akzeptables Endprodukt auf den Sender und die Bildschirme zu bringen.»

Ärger bei der Technischen Abnahme

Als nächstes bemühten sich das ZDF und Günzler dank guter Kontakte zu Porsche um ein als Kamerawagen geeignetes, konkurrenzfähiges Auto. Porsche-Rennleiter Huschke von Hanstein offerierte einen rennfertigen 904 GTS aus Werksbestand. Natürlich gab’s ein so hochkarätiges Auto nicht umsonst – die TV-Anstalt, damals noch in Wiesbaden beheimatet, musste einen angemessenen Mietpreis entrichten.

Als Piloten akzeptierte Porsche neben dem rennerfahrenen ZDF-Mann Günzler (39) dessen belgisches Pendant Paul Frère (49), der wie sein deutscher Kollege fürs Fernsehen arbeitete und fast als Vollblut-Rennfahrer galt. Damit gehörte die deutsch-belgische Fahrerpaarung gewiss nicht zur langsamen Sorte und war zugleich Garant dafür, dass der teure Porsche samt Equipment nicht schon nach der ersten Runde irgendwo im Buschwerk der Nordschleife versenkt wurde.

Im Cockpit des 904 GTS sah es ziemlich abenteuerlich aus. Ein mächtiger Unterbau für die überdimensionale Kamera, ein notdürftig angeketteter Alukoffer mit allerlei Technik, weitere Kästen und Behältnisse und jede Menge Kabelgewirr plus Stab-Antenne. Alles zusammen ergab einen Ballst von gut 70 Kilogramm.

Prompt legte sich die Technische Abnahme am Ring quer und verweigerte den Stempel in der Abnahmekarte. Moniert wurden die Befestigungen der Sendeantenne auf dem Dach sowie der fest verbauten Kamera, dazu die mit Elektronik zugestopfte Beifahrerseite. «Hier ist eindeutig der Fluchtweg versperrt», argumentierte der TK, «wenn der Fahrer einen Unfall hat und aus dem brennenden Auto durch die Beifahrertüre fliehen muss, hat er keine Chance auf Rettung.»

Porsche-Diplomat Huschke glättete die Wogen auf Funktionärs-Ebene und wenig später war das Problem gelöst. «Aber wirklich geändert haben wir eigentlich nichts», feixten die Porsche-Werksmonteure und pappten noch schnell ein Mainzelmännchen auf den Kotflügel.

Weil man für eine drahtlose Übertragung auch einen Helikopter als fliegende Relais-Station benötigte, fragten die ZDF-Leute kurzerhand bei der der Bundeswehr an und bekamen tatsächlich, was sie brauchten: einen Transport-Heli vom Typ «Vertol H-21», knapp 1300 PS, 210 km/h Topspeed, Zuladung eine Tonne oder wahlweise 21 Soldaten.

Das Fluggerät samt Besatzung kam vom Eifel-Flugplatz Niedermendig zum Ring. In einer Pressemitteilung kündigte das ZDF eine «Revolution in der Fernseh-Sportübertragung» an. Im zweiseitigen Text heißt es unter anderem: «Der Aufwand ist gewaltig, seit Wochen bereiten 65 Fernseh-Techniker und 60 Mitarbeiter der Bundespost das Großereignis auf dem 22,8 km langen Nürburgring vor. In 10.000 Arbeitsstunden müssen 13 Funkfelder aufgebaut werden. Die Bilder aus dem fahrenden Auto kommen auf 13 Kontrollbildschirmen in der Zentralregie unterhalb der Nürburg an. Acht Kilometer Kabel werden verlegt und etwa 100 Spezialfahrzeuge der Post und des ZDF sind im Einsatz.»

«Natürlich haben wir auch getrickst»

Obwohl die beiden Chauffeure von Porsche und vom ZDF zu «schonender und äußerst vorsichtiger Gangart» verdonnert wurden, gaben die Renn-Journalisten schon im Training tüchtig Gas. Frère war erwartungsgemäß der Schnellere, aber auch Günzlers Zeiten konnten sich sehen lassen.

Trotz deftiger Zuladung stand der Kamera-904 mit der Startnummer 66 nach dem Abschlusstraining in Reihe 13 auf Startplatz 26. Davor und dahinter berühmte Namen in noch berühmteren Autos. Insgesamt 77 Sport- und GT-Wagen waren für das 1000 km-Rennen 1966 qualifiziert.

Wie sich die Premiere für die ZDF-Crew gestaltete, wusste Kurt «Kutte» Meinicke zu Lebzeiten noch am besten zu erzählen. Er war damals am Ring Regisseur und begleite sogar noch die 3sat-Übertragungen der alten DTM bis 1994 als Koordinator. Er erinnerte sich wie folgt:

«Das 1000-km-Rennen 1966 war Teil mehrerer Einblendungen in einer Sport-Extra-Sendung über 90 Minuten. Wir haben das alles komplett alleine gestemmt, ohne die heute üblichen externen Dienstleister. Ich hatte die Bild-Regie, Willi Krämer war der verantwortliche Leiter der Sendung.»

«Weil ein normaler Ü-Wagen noch nicht so viele Signale empfangen konnte wie am Ring benötigt wurden, haben wir aus einem unserer Ü-Wagen die gesamte Technik ausgebaut, um die fehlenden Komponenten erweitert und alles in einen angemieteten, leeren Möbelwagen implantiert. Der Möbeltransporter war damit Ü-Wagen und Schaltzentrale in einem. Natürlich haben wir auch ein bisschen getrickst. Als uns bei den Probeläufen klar wurde, dass auf der Gefällstrecke hinunter nach Breidscheid das Bild komplett ausfällt, haben wir diesen Streckenteil schon im Training manuell aus dem Auto abfilmen lassen und später bei der Live-Übertragung immer dann als MAZ eingespielt, wenn unser Rennwagen gerade da runterfuhr. Danach ging’s wieder nahtlos live weiter – und kein Mensch hat’s gemerkt.»

«Die Sendung kam beim Zuschauer sehr gut an, wir haben sehr viele positive Rückmeldungen erhalten. In der noch jungen Geschichte der Motorsport-Übertragungen war das ein echter Meilenstein, aber das Experiment hat für damalige Verhältnisse richtig viel Geld gekostet. Die ZDF-Buchhalter haben ganz schön aufgejault.»

Das Rennen endete mit dem geschichtsträchtigen Sieg des erstmals in Deutschland gestarteten amerikanischen Chaparral (5,3 Liter Chevy V8, Getriebeautomatik) des Texaners Jim Hall, der als Piloten Phil Hill und Joakim Bonnier verpflichtet hatte.

Der ZDF-Porsche 904 GTS wurde übrigens nicht klassiert, weil wegen sehr langer Boxen-Standzeiten mit Interviews und Kamera-Nachjustierungen nur 18 von 44 Runden absolviert wurden.

Huschke von Hanstein zeigte sich dennoch höchst angetan – nicht nur, weil er den 904 GTS am Stück und ohne einen Kratzer zurückbekam: «Ohne die langen Unterbrechungen hätte es von den Rundenzeiten her locker für die beiden locker zu einem Platz unter den ersten 15 gereicht.»

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