Formel 1: Seltsame Erklärung für Crash

Zum 40. Todestag Stefan Bellof: Brief ins Jenseits

Kolumne von Rainer Braun
​Im August/September 1985 verlor die Motorsport-Gemeinde innerhalb weniger Wochen die charismatischen Vollgas-Artisten Manfred Winkelhock und Stefan Bellof.

Lieber Stefan,
heute am 1. September 2025 jährt sich zum 40. Mal dieser verdammte Tag, an dem du in Spa gestorben bist und damit die deutsche Motorsport-Nation und die Fans in aller Welt in tiefe Trauer gestürzt hast.

Deine außerirdischen Darbietungen nicht mehr zu sehen und zu genießen, dein herzliches Lachen nicht mehr zu hören, deine unbekümmerte Fröhlichkeit nicht mehr in den Fahrerlagern erleben zu können – alles vorbei. Es ist so traurig.

Erst der Manfred Winkelhock und drei Wochen später du, was für eine grausame Duplizität der Ereignisse. Unsere beiden Besten auf einen Schlag nicht mehr da – das war nicht nur für mich einfach unvorstellbar. Aber wir alle mussten damit klar kommen in diesen schrecklichen drei Wochen und in der Zeit danach. Es war eine Art Schockstarre, alles fühlte sich so leer an, so unwirklich.

So bleiben nur die Erinnerungen an dich, an deinen kometenhaften Aufstieg ins Oberhaus des Rennsports.

Niemals werde ich vergessen, wie du an einem grauen November-Tag 1980 unangemeldet in mein Büro geplatzt bist. Fröhlich und bester Laune hast du dich vor mir aufgebaut und zur Begrüßung gesagt: «Ich bin der Bellof aus Gießen, der Walter Lechner schickt mich, Sie sollen mir helfen.»

«Wobei denn?» habe ich habe dich eher belustigt gefragt. Deine Antwort: «Ich will in die Formel 1, so schnell wie möglich.» – «Hat der Herr sonst noch Wünsche?» hab’ ich noch etwas süffisant nachgeschoben.

Ja, der gute Walter Lechner, auch er ist nicht mehr unter uns. Mit einer mehr oder weniger kostenlosen Formel Ford-Saison hat er den Grundstein für deine kometenhafte Karriere gelegt. Walter war dein eigentlicher Entdecker, er hat von Anfang an dich geglaubt. Sieg um Sieg folgte in der Formel Ford. Doch du wolltest mehr, es konnte dir gar nicht flott genug gehen.

Als du so erwartungsvoll und gleichzeitig fragend vor mir gestanden bist, habe ich dir vorgeschlagen, erst mal mit kleinen Schritten das große Ziel anzugehen und auf die Möglichkeit eines neu zu besetzendes BMW M1-Cockpits verwiesen.

Deine Antwort, spontan und fast empört: «Nee, niemals, ich setze mich in kein Auto mit Dach.» Sieh mal an, hab’ ich mir im Stillen gedacht, Sonderwünsche hat er auch noch.

Im Frühjahr 1981 haben wir dann ersatzweise einen Null-Tarif-Deal für die Formel 3 für zunächst zwei oder drei Starts mit dem BSR-Team von Bertram Schäfer vereinbart.

Dein erster Start in Wunstorf kam einem Donnerschlag gleich. Nicht nur mir war ab diesem Tag klar, dass mit dir was ganz Großes, was ganz Besonderes heranwächst. Genauso gings auch weiter bei deinem Formel 2-Debüt ein Jahr später oder der furiosen Sportwagen-Premiere im Porsche-Werksteam.

Womit du dich ja dann doch noch in ein Auto mit Dach gesetzt hast und mit Porsche Sportwagen-Weltmeister wurdest. Du warst sogar das schnellste Wesen, das bis dahin jemals einen Porsche 956 oder 962 im Grenzbereich bewegt hat.

«Einer vom anderen Stern», schrieb die Fachpresse, als du mit 6:11,13 min deine Traum-Rekordrunde auf der Nordschleife mal eben so aus dem Nichts hingeknallt hast.

Schon zuvor hattest du in der Formel 3-DM und in der Formel 2-EM mit deinen Gegnern gleich im jeweils ersten Jahr kurzen Prozess gemacht. Auch hier nur Attacke und immer am äußersten Limit.

Während der Zeit als Porsche-Werksfahrer rückte dein Wunschziel Formel 1 immer mehr in den Fokus. Im März 1984 war es so weit. Bei Tyrrell hast du von Beginn an grandiose Rennen abgeliefert und auch hier die Herzen der Fans sofort erobert.

Dann kam jener verfluchte 1. September 1985 in Spa und das Prestige-Duell mit Lokalheld Jacky Ickx.

Die Rivalität zwischen euch beiden schwelte ja schon während ihr im Werksteam Kollegen wart. Und sie endeten keineswegs, als du deinen Wechsel ins private Porsche-Team von Walter Brun vollzogen hast. Die Atmosphäre zwischen euch galt vorsichtig formuliert als angespannt. In der Eau Rouge-Senke endete diese Rivalität für dich mit dem Tod.

Schuld oder Unschuld – es ist müßig, darüber zu reden. Zu einem so gearteten Super-Gau gehören immer zwei Akteure. Ich würde es mal so formulieren: Das kann dabei rauskommen, wenn sich zwei Alpha-Tiere an einer so heiklen Stelle wie der Eau Rouge treffen. Und ausgerechnet hier die Prestigefrage klären wollen, wer der alte oder der neue Chef ist …

Lieber Stefan, dein tragisches Ende hat uns auch des Traums beraubt, ein Zukunfts-Duell mit dir und Ayrton Senna in der Formel 1 zu erleben. Mir ist in diesem Zusammenhang ein Bild in die Hände gefallen, dass euch beide 1985 im Umfeld eines Grand Prix einträchtig in bester Laune und völlig entspannt zeigt. Du als Tyrrell-, Senna als Lotus-Pilot.

Dieses Motiv mag symbolisch als Sinnbild für meine persönliche Überzeugung stehen, dass euch beiden die nächsten Jahre der Formel 1 gehört hätten. Es wäre wohl ein Duell um die Nummer 1 in der Welt geworden. Wer sich durchgesetzt hätte, wage ich nicht zu sagen – damals nicht und auch heute nicht.

Aber es wäre wohl ein gnadenloses Duell geworden und ihr hättet den Kampf um die Nummer 1 dennoch fair und mit gegenseitigem Respekt ausgetragen. Vielleicht hätte sieben Jahre später auch noch Michael Schumacher für einen Dreikampf gesorgt. Stattdessen hat F1-Blitzstarter Schumi die Sehnsucht nach einem neuen deutschen Formel 1-Helden zunächst alleine erfüllt und gleichzeitig auch eine neue, ganz große F1-Euphorie hierzulande ausgelöst.

Für mich warst und bleibst du eine Ausnahme-Erscheinung. Wir hatten zuvor niemanden wie dich und wir werden so schnell auch niemanden wie dich mehr bekommen. Keinen, der so spät bremst und so spielerisch leicht am Limit fährt und dabei auch noch fair bleibt. Keinen, der sogar im ärgsten Rennstress so herzlich und laut lachen konnte wie du.

Lieber Stefan, in den Jahren, die ich mit dir erleben durfte, warst du menschlich und beruflich die größte Bereicherung, die ich in meiner langjährigen Reporter- und Journalistenlaufbahn erfahren durfte. Du warst eine Art Booster für Motivation und Arbeitsfreude am Mikrofon und beim Schreiben.

Und auch auf privater Ebene hatten wir so viel Spaß miteinander. Wenn ich nur daran denke, wie du 1983 im Herbst zu meiner Richtfest-Party angerückt bist. Im weißen Porsche 928-Dienstwagen hast du Donuts auf der Kreuzung vorm Haus gezirkelt. Die schwarzen Striche erinnerten noch wochenlang an deinen Besuch, bevor der Regen sie langsam verblassen ließ.

Damals gab es entsetzte Gesichter und naserümpfende Reaktionen meiner neuen Nachbarn in der ländlich-friedlichen Berg-Gemeinde. Und du? Schallendes Gelächter beim Aussteigen, was sonst.

Deine rauchgeschwängerte Darbietung haben die alteingessenen Leute in meinem neuen Umfeld mich übrigens auch in den Jahren danach immer wieder spüren lassen. Etwa nach dem Motto «was für einen Umgang hat der Neue in unserer Straße da bloß».

Auf diesen Umgang bin ich bis heute stolz und werde es immer bleiben. Danke für all die unvergesslichen Erlebnisse mit dir. Und wenn es nur jener Tag im Frühjahr 1981 war in der Anfangszeit unserer Bekanntschaft. Strahlend hast du wieder mal vor meiner Haustür gestanden und voller Freude vermeldet: «Stell dir vor, heut hab‘ ich die Strecke von Gießen zu dir sogar in 45 Minuten geschafft.»

Das ist mal eben eine Distanz von 130 km von Tür zu Tür, Normal-Fahrzeit laut Google Maps etwa 95 Min. Den Wahnsinns-Schnitt kann sich jeder selbst ausrechnen. Für deine wilden Ritte musste anfangs ja noch dein privater Alfasud TI mit knapp 100 PS herhalten.

Eigentlich kannst du ja von Glück reden, dass dich deine Angelika im Straßenverkehr und bei anderen Gelegenheiten immer wieder geerdet und zur Vernunft angehalten hat. Ohne sie wäre wohl so einiges schiefgelaufen.

Deine ständige Begleiterin und Lebensgefährtin Angelika habe ich als eine Art Langzeit-Erziehungsberechtigte in Erinnerung. Im positivsten Sinne für dich und sicher nur zu deinem Besten. Wer weiß, was du sonst noch so alles angestellt hättest. Heikel genug war es ja eh oft schon, gell.

Lieber Stefan, wir haben dich zwar verloren, aber vergessen werden wir dich niemals. Weder ich noch deine Freunde und Fans. Von hier unten aus rufe ich dir wieder mal zu: «Stibbich», du fehlst uns und diesem Sport so sehr, heute mehr denn je.

Herzlichst

Dein alter Freund Rainer


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