Enzo Osella ist tot: Seriensieger mit Sportwagen
Traurige Nachricht aus Italien: Wie erst jetzt bekanntgeworden ist, ist am 27. September der in Cambiano (Piemont) geborene Enzo Osella verstorben. Der Rennwagenbauer wurde 86 Jahre alt und schloss in Turin für immer die Augen. Seine Rennwagen gewannen Dutzende Titel in Europameisterschaften und nationalen Meisterschaften.
Osella Engineering (früher Osella Corse) wurde von Vincenzo (Enzo) Osella gegründet und trat in der Formel 2 und in der Königsklasse als Osella Squadra Corse an.
Während Piloten mit Osella-Sportwagen die Konkurrenz auf Rund- und Bergstrecke jahrelang in Grund und Boden fuhren, war der Ausflug in die Formel 1 von weniger Erfolg gekrönt: Von Südafrika 1980 bis Australien 1990 weist die Statistik 132 GP-Starts aus, mit einem vierten Platz als bestem Ergebnis (Jean-Pierre Jarier 1982 in Imola), mit WM-Rang 12 als Top-Resultat im Konstrukteurs-Pokal (1984). Bester Startplatz eines Osella-Piloten in der Formel 1: Rang 8 von Olivier Grouillard in Phoenix 1990.
Osella-Rennwagen galten jahrelang als unelegant und übergewichtig, als unterfinanziert und nicht konkurrenzfähig. Aber mit seinem Engagement weit über die Formel 1 hinaus hat Enzo Osella nicht nur in Italien Renngeschichte geschrieben.
Die Leidenschaft für Motoren wurde bei Enzo Osella von seinem Vater vermittelt, der eine Werkstatt im Zentrum von Turin besass. Dort sammelte er erste Erfahrungen im Rallyesport, zunächst als Beifahrer, dann als Fahrer.
Als Auto-Tuner und -Hersteller Carlo Abarth einen Kurs anbot für potenzielle Händler, nahm der junge Enzo daran teil. Diese Kooperation veränderte das Leben von Osella.
1971 übernahm Osella die Rennabteilung von Abarth, als die Marke von Fiat einverleibt wurde. In einer Halle bei Volpiano (Vorort von Turin) entstand auf diese Weise der Rennwagenhersteller Osella Corse.
Nach den ersten Saisons in der Formel Ford, Formel 3 und Formel 2 kam der grosse Sprung, das Debüt in der Formel 1, 1980 mit Eddie Cheever am Steuer. Zwei Jahre später erzielte das Team das beste Ergebnis seiner Geschichte: den vierten Platz von Jean-Pierre Jarier beim Grossen Preis von San Marino in Imola.
Das Team blieb bis 1990 in der Formel 1 und wurde dann 1992 vom Hauptfinanzier Gabriele Rumi übernommen, der unter dem Namen Fondmetal antrat (Felgen). Das Abenteuer im Zirkus endete aufgrund finanzieller Schwierigkeiten, aber Osella Corse baute weiterhin Rennwagen.
Die Zentrale des Unternehmens musste Anfang der 1990er Jahre von Turin nach Atella in der süditalienischen Provinz Potenza verlegt werden. Grund: In den späten 80er Jahren hatte Osella von der Europäischen Union Fördermittel erhalten, die für den Aufbau von Industrieunternehmen in strukturschwachen Regionen bestimmt waren. Die EU bestand auch nach Aufgabe von Osellas eigenem Formel-1-Programm auf einer zweckgerechten Verwendung der Mittel, sodass Osella in Atella ein modernes Werk mit kleinem Windkanal und Fahrsimulator baute, in dem ab Mitte der 1990er Jahre zahlreiche erfolgreiche Sportwagen der Marke Osella entwickelt und hergestellt wurden.
Zu Beginn des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts firmierte das Unternehmen in Osella Engineering um und kehrte ins Piemont zurück. Osella eröffnete Werksanlagen in der im Turiner Umland gelegenen Gemeinde Verolengo.
Sportwagenrennen waren und sind das zentrale Standbein von Osella Corse. Die Wagen wurden vom Werksteam und von privaten Kunden in diversen Klassen eingesetzt, vor allem in der Sportwagen-Europameisterschaft und in italienischen und europäischen Bergrennen.
In den 80er Jahren dominierten Osella-Rennwagen die Berg- und Sportwagen-Szene: Die Bergrenn-Legende Mauro Nesti alleine eroberte sechsmal in Folge den Berg-EM-Titel. Fahrer mit Osella-Rennwagen siegten bei mehreren hundert Rennen, Dutzende Titel wurden eingefahren.
Montreal 1982: Die schwärzeste Stunde
Enzo Osella legte grössten Wert auf die von ihm konstruierten Rennwagen. Dennoch konnte niemand die schwärzeste Stunde von Montreal 1982 verhindern, die ich damals miterlebt habe.
Montreal ist für mich kein Rennen wie jedes andere: In der kanadischen Stadt sah ich meinen ersten Formel-1-Grand Prix. Es war eine traurige Premiere, denn Kanada 1982 war jenes Rennen, in welchem der junge Osella-Fahrer Riccardo Paletti ums Leben kam. Der Mailänder Unternehmers-Sohn wurde nicht einmal 24 Jahre alt.
Als Formel-1-Debütant in Montreal dachte ich: Gut, wo stelle ich mich beim Start hin? Hm, vielleicht kurz nach dem Start links an der Leitschiene, dann kann ich zusehen, wie die Fahrer Positionskämpfe zeigen, auf dem Weg zur ersten Kurve.
Unglaublich: Niemand hat einen damals daran gehindert, sich unmittelbar neben der Piste zu positionieren. Das wäre heute undenkbar. Zumal nur eine kniehohe Leitschiene vor den heranschiessenden Rennwagen schützte.
Was dann passierte: Didier Pironi blieb mit dem Ferrari auf der Pole-Position wie angeklebt stehen, der junge Riccardo Paletti war so auf die richtigen Schaltzeitpunkte konzentriert, dass er auf seinen Drehzahlmesser hinunterstarrte statt auf die Bahn vor sich und prompt Pironi ins Heck knallte.
Der Osella des Italieners kam wenige Meter vor mir zum Stehen, der Italiener hing leblos in den Gurten.
Dann brach Feuer aus.
Die Streckenposten hüllten den Wagen in Löschstaub. Aber das Feuer loderte mehrfach erneut hoch. Eine schwarze Rauchsäule bildete sich.
Inzwischen näherte sich die Mutter von Paletti, es war wie in einer italienischen Oper, nur eben grauenvolle Realität, «Riccardo! Riccardo!» schrie sie und traf Anstalten, über die niedrige Leitschiene zu steigen und sich in die Flammen zu stürzen.
Teamchef Enzo Osella musste sie davonzerren.
Paletti verblutete vor unseren Augen, seine Aorta war gerissen, wie die Ärzte später feststellten. Dazu hatte er sich schwere Beinbrüche zugezogen.
Wie in Trance ging ich danach mit Piloten sprechen, bis der Start erneut freigegeben wurde. Es war das Rennen, als in der Dämmerung Nelson Piquet den ersten Sieg für Brabham-BMW errang.
Als ich am Abend in meinen Mini-Van zurückkehrte (Geld für ein Hotelzimmer hatte ich nicht), dachte ich: «Also wenn das die Formel 1 ist, dann weiss ich nicht, ob ich das aushalte.»
Was mich beim Verlust von Riccardo Paletti immer besonders berührt hat: Eigentlich wollte der Mailänder 1982 überhaupt nicht in der Formel 1 antreten.
Paletti stammte aus einer wohlhabenden Familie: Immobilien, Bau-Unternehmen, sein Vater Arietto war auch italienischer Importeur der japanischen Unterhaltungs-Elektronikfirma Pioneer.
An Geld mangelte es Paletti nie, der übrigens ein überaus begabter Allround-Sportler war: italienischer Karate-Jugendmeister, Mitglied der italienischen Ski-Nationalmannschaft.
In Sachen Motorsport war Paletti ein Spätzünder, der von einem erfolgreichen Vater vorangetrieben wurde: Debüt 1978 in der Formel Ford, Formel 3 im Jahre 1979, 1980 und 1981 Formel 2 (Rang 3 in Thruxton/England) als Highlight, dann kam Paletti mit Pioneer-Geld bei Enzo Osella in der Formel 1 unter.
Die Formel 1 stand unter Schock, denn nur etwas mehr als einen Monat davor war Ferrari-Star Gilles Villeneuve in Zolder (Belgien) ums Leben gekommen. Heute heisst die Rennstrecke in Montreal ihm zu Ehren «Circuit Gilles Villeneuve».
Und auch Riccardo Paletti wurde auf diese Weise geehrt: Seit 1983 heisst das Autodromo von Varano in der Provinz Parma «Autodromo Riccardo Paletti».