Martin Whitmarsh (Ex-McLaren): Gier kontra Anstand
Martin Whitmarsh
Vertreter von 113 nationalen Sportverbänden aus der ganzen Welt treffen sich derzeit in Turin zur grossen Sportkonferenz des Autoverbands FIA. Sie tauschen sich mit Rennorganisatoren, Teamvertretern, Fahrern, Pistenbesitzern, Herstellern und Lieferanten aus. Es geht neben der Kontaktpflege grundsätzlich darum, wo der Motorsport steht und wo er hin soll.
Anlässlich der Konferenz in Norditalien spricht auch Martin Whitmarsh (58), von 2005 an Geschäftsleiter von McLaren, ab 2009 Teamchef, Ende 2013 von Rennstallmitbesitzer Ron Dennis wegen anhaltender Erfolglosigkeit des Traditionsteams verabschiedet.
Seither war Whitmarsh auf Tauchstation, es war lediglich bekannt geworden, dass ihn Ben Ainslie als Geschäftsleiter ins America’s-Cup-Team geholt hat. Whitmarsh gab so gut wie keine Interviews, schon gar nicht äusserte er sich über Motorsport.
In Turin sagt der Engländer: «Als ich in ein anderes Umfeld kam, spürte ich Demut darüber, wie aufgeregt die Leute waren, etwas aus der Formel 1 erfahren zu können. Diese Bescheidenheit, auch aus anderen Bereichen etwas mitnehmen zu können, fehlt im Motorsport bisweilen. Ich war auch berührt über viele Gespräche, in welchen es um die Integrität des Rennsports ging und darüber, wie das ganze Gezeter um Geld dem Anstand im Sport schadet.»
«Racing ist noch immer ein phantastischer Sport. Ich schätze mich glücklich, in dieser Branche 25 Jahre meines Lebens verbracht zu haben. Ich habe fast jede Minute geliebt. Rennsport ist ein so pulsierendes Umfeld. Aber das schliesst nicht aus, dass wir aus anderen Bereichen etwas lernen können. Etwas mehr Bescheidenheit würde der Branche ganz gut zu Gesicht stehen – um ein wenig mehr über die Rechtschaffenheit des Sports nachzudenken.»
Martin Whitmarsh weiter: «Ein dominierendes Thema des Sports ist der Speed. Geschwindigkeit ist in allen erdenklichen Formen der Industrie wichtig und ist ein dominanter Teil unseres täglichen Lebens. Aber ohne Effizienz erreichst du keinen Speed, und das wird oft übersehen. Aus meiner Sicht gerät ein wenig in Vergessenheit, wie effizient die modernen GP-Renner sind; in der Art und Weise, wie sie Leistung erzeugen, wie sie Bodenhaftung erzeugen; daher finde ich den Rennsport einen guten Spiegel für alle möglichen Lebenssituationen und Herausforderungen. Effizienz ist für mich wichtiger als Geschwindigkeit.»
Zu Parallelen zwischen Formel 1 und Segelsport meint der Engländer: «Ich bin kein Segler, also war mein Wechsel in diese Sparte eine interessante Aufgabe. Der Rennsport hat sich so entwickelt, dass wir hochgestochene Werkzeuge für Analyse und Simulation entwickelt haben, welche uns schnelle Umsetzungen und Fortschritte erlauben. Die Entwicklung von Booten rein auf dem Wasser ist weder schnell noch am zielführendsten. Ich glaube daher, Abläufe aus dem Rennsport lassen sich durchaus auf den Yachtsport umsetzen. Aus diesem Grund bin ich überzeugt, dass ich in meiner neuen Aufgabe etwas beisteuern kann.»