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Rasergesetz: Schweizer Parlament kuscht vor RoadCross

Von Rolf Lüthi
Das Schweizer Parlament wollte mehr Ermessensspielraum der Richter bei Raserdelikten - und kuscht nun kleinlaut vor der Stiftung Roadcross

Das Schweizer Parlament wollte mehr Ermessensspielraum der Richter bei Raserdelikten - und kuscht nun kleinlaut vor der Stiftung Roadcross

Übertriebene Mindeststrafen für Schnellfahrer werden doch nicht abgeschafft, dafür das antiquierte Rundstreckenverbot. Die Stiftung RoadCross erzwingt einen Kompromiss, mit dem niemand glücklich ist

Im Jahr 2013 wurden in der Schweiz nach einer politisch fragwürdigen Hauruck-Aktion drakonische Strafen für Schnellfahrer eingeführt. Bereits 2017 verlangten die Verkehrskommissionen beider Parlamentskammern und danach auch die Schweizer Regierung die Rückkehr zur Vernunft.

Wovor Verkehrsexperten gewarnt hatten, traf ein. Neben ein paar wenigen kriminellen Schnellfahrern wurden die drakonischen Strafen vor allem gegen sonst unauffällige Bürger verhängt. Und nach Geschwindigkeitsübertretungen ausserorts fanden sich überdurchschnittlich viele Motorradfahrer vor dem Richter wieder, behandelt wie Schwerverbrecher. Kein Wunder: Ab 140 km/h gilt man in der Schweiz als Raser, der mit einer Tatwaffe hantiert und dabei den Tod Unschuldiger in Kauf nimmt.

Konkret fällt unter den Raserartikel, wer in einer 30er Zone 70 km/h schnell ist, wer innerorts statt mit 50 mit 100 km/h oder ausserorts statt mit 80 mit 140 km/h daherkommt. Auf der Autobahn gilt man ab 200 km/h als Raser.

Dass so klare Geschwindigkeitsübertretungen geahndet werden müssen, wird von niemandem bestritten. Kritisiert wird jedoch, dass die Richter für solche Vergehen ungeachtet aller Umstände mindestens ein Jahr Gefängnis und zwei Jahre Führerscheinentzug verhängen müssen.

In den meisten Fällen sprechen die Richter diese Mindeststrafen aus und erlassen die Gefängnisstrafe bedingt. Darüber hinaus kommen enorme Kosten auf einen so genannten Raser zu: Bussen werden abhängig vom Einkommen verhängt. Inklusive aller Gebühren fallen Kosten ab 20.000 Franken an. Je nach Situation ist der Angeklagte nach so einem Urteil finanziell und beruflich ruiniert.

Der Bundesrat (Schweizer Regierung) schlug darum vor, dass die Richter auch weniger als ein Jahr Gefängnis oder auch nur eine Geldstrafe verhängen können und dass der Führerschein-Mindestentzug von zwei auf ein Jahr herabgesetzt wird.

Der Nationalrat (grosse Kammer) und der Ständerat (kleine Kammer, Vertretung der Kantone) stimmten im Herbst 2021 diesem Vorschlag zu. Beide Kammern bestätigten im Rahmen der Ausarbeitung dieses Gesetzes im März und im Mai 2022 die Abschaffung dieser Mindeststrafen.

Was nun folgte, ist eine Demütigung des Schweizer Parlaments, der wichtigsten gesetzgeberischen Institution des Landes: Am 12. September und am 28. November 2022 kuschten der National- und der Ständerat vor der Stiftung RoadCross und machten ihre Entscheide kleinlaut rückgängig, der Nationalrat gar im verkürzten Verfahren ohne Abstimmung im Rat.

Zur Erklärung: Die Stiftung RoadCross wurde 1989 gegründet als Interessenvertretung von Opfern von Verkehrsunfällen und ihrer Angehörigen. Diese Stiftung war klar die treibende Kraft hinter der Einführung des Raserartikels im Jahre 2013.

Nur schon die Drohung von RoadCross, man werde gegen diese Gesetzesänderung das Referendum ergreifen, liess das Parlament nun einknicken. Der Begriff Referendum bedeutet, dass im politischen System der Schweiz jedermann für ein vom Schweizer Parlament beschlossenes Gesetz eine Volksabstimmung verlangen kann, indem er innerhalb von 100 Tagen 50.000 Unterschriften sammelt.

Dass RoadCross diese 50.000 Unterschriften zusammengekriegt hätte, steht ausser Zweifel. Bereits war auch absehbar, dass die beiden grössten Schweizer Medienunternehmen Ringier (mit der linken Boulevard-Zeitung «Blick») und TX Group (mit der ebenfalls linken Tageszeitung «Tages-Anzeiger») das Referendum mit emotionalen Kampagnen unterstützen würden, ebenso das staatliche Radio und Fernsehen SRF, ungeachtet dessen Verpflichtung zu Ausgewogenheit und Neutralität. Vor diesem Hintergrund erpresste RoadCross das Schweizer Parlament, die bereits beschlossenen Änderungen im Raserartikel rückgängig zu machen und als Gegenleistung auf das Referendum zu verzichten.

Der Hintergrund des Deals: Die Volksabstimmung hätte die gesamte Gesetzesrevision betroffen. Bei einer Ablehnung in der Volksabstimmung wären alle Teile dieser Gesetzesrevision mitversenkt worden, neben der Aufhebung der Raser-Mindeststrafen auch Bestimmungen zu umweltfreundlichen Technologien, zum automatisierten Fahren, zu Erleichterungen für die Blaulichtorganisationen (Polizei, Rettungsdienste, Feuerwehr) und die Aufhebung des Rundstreckenverbots.

Das wollten etliche bürgerliche Politiker nicht riskieren und vollzogen eine Kehrtwende. Oder, radikaler formuliert, knickten gewählte Volksvertreter vor der Erpressung einer demokratisch mangelhaft legitimierten, finanziell gut ausgestatteten, steuerbefreiten Stiftung ein.

Nach der aktuellen Fassung des Gesetzestextes sollen mildere Strafen für Raser bei sogenannt «achtenswerten Gründen» möglich sein, wenn zum Beispiel jemand eine schwer verletzte Person ins Spital fährt, ebenso bei leichteren Fällen, falls der Angeklagte bislang keine groben Verkehrsregelverletzungen begangen hat.

Wie das in der gerichtlichen Praxis aussieht, muss sich erst noch zeigen. Vorsorglich hat RoadCross-Stiftungspräsident Willi Wismer (Inhaber einer Auto- und Motorradfahrschule und Präsident des Zürcher Fahrlehrerverbandes) schon mal klargestellt, dass RoadCross Gerichtsurteile, bei der die bisherige Mindeststrafe unterschritten wird, genau prüfen werde.

Damit sind die Gesetzestexte noch immer nicht endgültig abgefasst, wegen sprachlicher Differenzen geht das Geschäft zurück in den Nationalrat, der die Gesetzestexte voraussichtlich im Frühling zum vermutlich letzten Mal behandeln und dann absegnen wird. Dann können die Gesetzesänderung nach der Referendumsfrist von drei Monaten in Kraft gesetzt werden, sofern denn niemand das Referendum ergreift und zustande bringt.

Die Hoffnung, dass nach zehn Jahren Dogmatismus die Richter mehr Ermessenspielraum bekommen, hat sich aber weitgehend zerschlagen. Immerhin gibt es für Motorsportfreunde als Zückerchen im gleichen Gesetzespaket die Aufhebung des Rundstreckenverbots, das seit 1955 gilt.

Übrigens unterstützen alle Schweizer Motorfahrzeughalter die Stiftung RoadCross, wenn auch meist nicht freiwillig: Auf der Prämie der Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung wird ein Zuschlag von 0,75 Prozent erhoben und dem Fonds für Verkehrssicherheit überwiesen, was diesem Fonds im Jahre 2021 Einnahmen von 18 Mio. Franken bescherte. Davon wurden gemäss Geschäftsbericht mehr als eine Million an RoadCross weitergeleitet - für Unfallpräventionskampagnen.

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