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Reinhold Roth: Geburtstag & bald 30 Jahre seit Unfall

Von Günther Wiesinger
Am 17. Juni werden 30 Jahre vergangen sein, seit der deutsche Publikumsliebling Reinhold Roth beim Jugoslawien-GP schwer verunglückte. Der Allgäuer wurde gestern 67 Jahre alt und hat eine schwere Zeit hinter sich.

Reinhold Roth, der 250-ccm-Vizeweltmeister von 1987 und 1989, ist seit fast 30 Jahren ein Pflegefall und wurde am 4. März 67 Jahre alt. Durch die Erfolge des großen Toni Mang erlebte der deutsche Motorradrennsport in den 1980er-Jahren eine Blütezeit. Im Soge des schnellen Bayern wurden die Medien auf den Zweiradsport aufmerksam, immer mehr Teams entstanden, und plötzlich war Deutschland nach Jahren der Bedeutungslosigkeit wieder ein Faktor im Motorrad-GP-Sport.

In dieser Ära entwickelten sich Asse wie Martin Wimmer, Reinhold Roth, Helmut Bradl, Manfred Herweh, Peter Öttl und Dirk Raudies zu GP-Siegern und Titelanwärtern, es stiegen Zigarettenfirmen wie Marlboro, HB und Rothmans mit riesigen Budgets als Geldgeber der deutschen Stars ein, dazu Helm- und Bekleidungsfirmen von Dainese über Boeri bis zu Römer, Schwabenleder und Uvex.

1987 wetteiferten Toni Mang und der Allgäuer Reinhold Roth vom ersten bis zum letzten 250-ccm-WM-Lauf um den Titel. Roth galt als großer Kämpfer, in Hockenheim eroberte er damals am Tag nach einem Sturz und Schlüsselbeinbruch den grandiosen dritten Platz. In Le Mans feierte der 250-ccm-Europameister von 1982 seinen ersten GP-Sieg. Er hatte sich nach unzähligen schweren und komplizierten Knochenbrüchen immer wieder an die Spitze gekämpft und als Underdog die Herzen der Fans im Sturm erobert.

Vor der Saison 1987 wurde das Undenkbare in die Tat umgesetzt: Der legendäre Tuner und Chefmechaniker Sepp Schlögl, Jugendfreund von Toni Mang sowie Wegbegleiter des Seriensiegers und 42-fachen GP-Siegers bei seinen ersten vier WM-Titelgewinnen, trennte sich vom Champion. Er ließ sich von deutschen HB-Honda-Werksteam anheuern, das von Dieter Stappert geleitet wurde – und mit Reinhold Roth um den Titel kämpfen wollte. HB-Teamkollege von Roth wurde der aufstrebende Helmut Bradl, der 1991 Vizeweltmeister wurde und bereits 1990 drauf und dran war, Roth im HB-Team den Rang abzulaufen.

Das Skandal-Rennen von Rijeka 1990

Doch dann kam der verhängnisvolle 17. Juni 1990, der GP von Jugoslawien in Rijeka. Damals standen die Grands Prix noch unter der dilettantischen Führung der ehrenamtlichen FIM-Funktionäre wie Max Deubel, ein professionelles Rennmanagement und sinnvolle Vorschriften für die ärztliche Versorgung fehlten. Es existierte nicht einmal ein Medical Code. Der Medizinische Ausschuss der FIM war damals eine Ansammlung von Ahnungslosen und verfügte über keinerlei Rechte, wie Dr. Robert Kreutz damals anprangerte.

In Rijeka kam es 1990 schon beim 125-ccm-Rennen in der ersten Kurve zu einem Massensturz mit 19 Teilnehmern, weil die FIM sämtliche Warnungen bezüglich einer blödsinnigen Strohballenmauer ignoriert hatte. Vor dem Neustart wurden fünf zusätzliche Trainingsrunden bewilligt, das war der erste folgenschwere und reglementswidrige Fehler an diesem Tag. Später wurde das 250er-Rennen trotz des einsetzenden Regens nicht abgebrochen, obwohl längst die volle Punkte vergeben werden konnten.

Reinhold Roth büßte diese Verantwortungslosigkeit der völlig überforderten FIM-Jury mit seiner Gesundheit. Er krachte in einem Fünf-Mann-Pulk bei Tempo 180 km/h von hinten gegen das Motorrad des Australiers Darren Milner, der wegen der nassen Fahrbahn aufgeben wollte und sich auf dem Weg zur Box befand. Auf der Ideallinie, wohlgemerkt. Er hatte bei einem Grand Prix eigentlich nichts verloren. Welche Fähigkeiten den hoffnungslosen Nachzügler für einen WM-Lauf qualifizierten, weiß bis heute niemand. Die Grading-Listen der FIM galten damals als Buch mit sieben Siegeln.

Jedenfalls krachte Reinhold Roth, dem durch zwei Vorderleute die Sicht versperrt war, mit 180 km/h ins Heck der Milner-Yamaha. Bei diesem wuchtigen Anprall wurde sein Rückgrat teilweise in die Schädelbasis gestaucht. Da im Rettungsauto ein Sauerstoffgerät fehlte und auch sonst keine medizinischen Hilfsmittel gegen schwere Verletzungen vorhanden waren, blieb Roth vor dem Eintreffen in der Clinica Mobile ca. acht Minuten ohne Sauerstoff. Er hatte ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten und lag danach mehr als sechs Wochen im Koma, sein Gehirn wurde dauerhaft beschädigt. «Reinhold war dann lange im Aufwachkoma. Bis er etwas wahrgenommen hat, hat es einige Monate gedauert», erinnert sich seine Gattin Elfriede.

«Jointie» (so wurde er wegen seines einst starken Zigarettenkonsums genannt) ist seither linksseitig gelähmt und ein Pflegefall. Er kann sich nicht verständlich machen und wird in Amtzell im behindertengerechten Haus von seiner Frau Elfriede, deren Geschwistern und Sohn Matthias liebevoll betreut.

Die gläubige Elfriede Roth stand beim Grand Prix in Rijeka wie immer mit der Stoppuhr und der Rundentabelle an der Boxenmauer. Ihr erster Gedanke: «Das hat er nicht überlebt.»

Doch in der Clinica Mobile im Fahrerlager wird Reinhold Roth am Leben erhalten. Am nächsten Tag bringt sie Zivilkleidung ins Krankenhaus, sie hofft, dass er bald im Motorhome mit ihr und Matthias heimreisen kann. Aber Dr. Christoph Scholl, in Jugoslawien als HB-Honda-Teamarzt dabei, macht ihr klar, es bestehe keine Aussicht auf eine Genesung. Dass Reinhold immerhin mit dem Leben davonkam, bezeichnet Elfriede nicht als medizinisches Wunder, sondern als «göttliche Fügung».

Bei ZDF-Talker Lanz wird Elfriede im Oktober 2014 erzählen, dass sie in den nächsten Tagen einen Traum hatte. Sie sah das Bild ihres Mannes vor sich und sprach zu ihm: «Reinhold, wenn du willst, darfst du gehen. Aber wir lieben dich, und wir brauchen dich noch.»

Roth überlebt und bleibt bei seiner Frau und dem gemeinsamen Sohn Matthias, damals sechs und heute 36 Jahre alt. Aber das Leben verändert sich für die Familie grundlegend. Elfriede Roth opfert sich bei der Pflege ihres Mannes auf, weicht jahrelang kaum von seiner Seite, ihre acht Geschwister (fünf Schwestern, drei Brüder) unterstützen sie. Man liest ihm vor, spielt seine Lieblingsmusik, aber Reinhold zeigt kaum Reaktionen, nur die Verwandten können seine Gefühlslage interpretieren. Er zeigt Appetit, wirkt immer sehr sauber und gepflegt.

Reinhold schaut die Motorrad-Rennen im Fernsehen an, und Elfriede ist überzeugt: «Er kriegt alles mit.» Aber der zweifache Vizeweltmeister kann sich nicht verständlich machen, sich nicht ausdrücken. Sie bezeichnet die Beziehung als Liebe auf einer anderen Ebene. «Reinhold ist so liebenswert», sagte Elfriede heute im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Den muss man einfach gern haben. Wir sind über 40 Jahre verheiratet... Ich weiß noch, dass ich am 13. Hochzeitstag 1991 zu ihm gesagt habe: 'Es wäre mein größtes Geschenk, wenn du jetzt die Augen öffnen würdest.' Das hat er aber nicht gemacht.»

Irgerndwann erzählte Elfriede, sie habe mit der Zeit lernen müssen, Reinhold nicht mehr als Ehemann, sondern als Kind zu betrachten.

Nach sieben Jahren sprach Reinhold Roth erstmals wieder ein Wort, undeutlich. Man deutete es auf «Morgen». Für die Therapie ist unheimlich viel Geduld nötig, die Fortschritte sind gering, aber immerhin spürbar, es geht alles sehr langsam vor sich. Vom Speed der alten Tagen kann keine Rede mehr sein. Reinhold kann inzwischen Überschriften entziffern, er kann kleine Bissen alleine essen, mit einem Strohhalm trinken.

«Wenn es ihm wirklich gut geht, kann man mit Reinhold kommunizieren, auch so, dass es Sinn macht», schildert Elfriede. «Am Dienstagabend, am Tag vor dem Geburtstag, habe ich gesagt: 'Reinhold, wir machen morgen eine Party. Freust du dich, wenn die Gäste kommen?' Er hat geantwortet: 'Ich freue mich riesig.' Er kriegt manchmal mehr mit, als man glaubt.»

Elfriede Roth: «Ich habe ein Recht auf Leben»

Die Pflege bringt Elfriede Roth allmählich an ihre körperlichen Grenzen. Ihre Widerstandskraft erlahmt. «Ich kann nicht mehr», seufzt sie. Sie erkrankt vor 15 Jahren an Darmkrebs und kommt für acht Wochen ins Krankenhaus.

«Nimm dich mal wieder selbst wahr», lautete Elfriedes Devise während des Krankenhausaufenthalts. «Ich habe auch ein Recht auf Leben.»

Danach wird das Leben im Hause Roth in Amtzell neu organisiert, ein Pflegeteam wird engagiert. Elfriede macht nach vielen Jahren wieder einen kurzen Skiurlaub, sie unternimmt manchmal Ausflüge nach Zürich, schöpft neue Kraft, findet eine Aufgabe und Ablenkung in der Textilbranche. Bald darauf verliebt sie sich. «Ich hab’ immer gesagt, wenn es sein soll, läuft mir einer über den Weg, der mit mir meinen schweren Rucksack trägt.» Inzwischen ist sie seit 14 Jahren mit Partner Markus liiert.

Reinhold Roth war zum Zeitpunkt des Unfalls gut versichert, der Wohlstand konnte gesichert bleiben. Elfriede kaufte vor einigen Jahren die Modeboutique «Kirch» in der Herrenstraße in Wangen, sie betreibt sie mit Sohn Matthias, der inzwischen auch als Cross-Fit-Trainer arbeitet und mit einem Freund neu ein eigenes Studio in Ravensburg eröffnet hat. «Mein Sohn trainiert jetzt seine bald 64-jährige Mutter. Ich gehe zweimal in der Woche hin.»

Die Rennsportvergangenheit verblasst allmählich, die Besucher aus dem GP-Sport werden spärlicher. Ein Highlight war der Besuch des dreifachen 500-ccm-Weltmeisters Wayne Rainey 1996. Er kam mit dem Privatflieger nach Friedrichshafen und fuhr mit dem heutigen SPEEDWEEK.com-Reporter nach Amtzell. «Reinhold, you are looking great», sagte der selbst im Rollstuhl sitzende Kalifornier jovial zur Begrüssung.«Wayne hat bei uns auf dem Heizkörper unterschrieben», sagt Elfriede. «Der Besuch von Wayne war ein ganz tolles Erlebnis.»

Die ehemaligen Rennfahrerkollegen wie Helmut Bradl, Toni Mang und Harald Eckl haben in 30 Jahren nie den Weg nach Amtzell gefunden. «Neben Wayne Rainey war nur Jacques Cornu einmal da. Nach dem Unfall war die Resonanz von den Ausländern größer als von den deutschen Landsleuten», bedauert Elfriede.

Sohn Matthias (36) ist erwachsen geworden; er hat ein paarmal den GP von Deutschland auf dem Sachsenring besucht. Jetzt seit zehn Jahren nicht mehr, für eine Rennkarriere ist er mit 190 cm zu groß.

Reinhold Roth hat gestern daheim seinen 67. Geburtstag gefeiert. «Er war ganz gut drauf, schon am Abend vorher», schildert Elfriede. «Allerdings haben wir vor einem halben Jahr nicht gedacht, dass wir noch einmal einen Geburtstag mit ihm feiern können. Reinhold ist an einer Lungenentzündung erkrankt, er musste in die Klinik. Da ging es ihm ganz, ganz schlecht. Zu Weihnachten haben wir mit dem Schlimmsten rechnen müssen. Irgendwann wird es seine Lunge nimmer packen, weil er immer wieder aspiriert und abgesaugt werden muss. Wir haben ein schreckliches halbes Jahr hinter uns. Aber jetzt hat er sich wieder ganz gut erholt.»

«Die Ärzte in der Fachklinik, wo Reinhold wegen der Lungenentzündung war, haben wieder gesagt, Reinhold sei ein medizinisches Wunder. Aber er hat einen wahnsinnigen Willen. Ich sage immer, er hat noch eine Aufgabe hier auf dieser Erde. Und keiner kann sagen, wann deine Stunde geschlagen hat. Er ist noch gern da. Reinhold hat so eine Ausstrahlung, von ihm geht so eine Wärme und Ruhe aus. Er ist zufrieden und bescheiden. Von ihm kann man viel lernen», sagt Elfiede.

Am Jahresende hat das alte Pflegeteam nach 22 Jahren gekündigt.  «Aber ich habe ein ganz, ganz tolles neues Team gefunden», freut sich Elfriede. «Das ist 'Heimbeatmung', ein Intensiv-Pflegedienst. Das sind Schwestern, die Reinhold auch medizinisch betreuen können. Als es ihm so schlecht ging, bin ich in der Nacht alle paar Stunden zu ihm runter gelaufen und habe geschaut, ob er noch lebt. Es war eine schlimme Zeit.»

Der neue Pflegedienst könnte jetzt sogar 24-Stunden-Betreuuung machen, wenn es Reinhold schlechter geht.

Der GP-Sieger wird von der Familie und dem Pflegedienst rund um die Uhr betreut, er verbringt die Nächte in einem breiten Gitterbett, tagsüber sitzt er im Rollstuhl, er ist weiter halbseitig gelähmt. Manchmal macht er winzige Schritte.

Elfriede Roth hat ihre Lebensfreude bewahrt, sie bewundert ihren Reinhold. «Er hat eine unglaubliche Aura. Er füllt das Haus aus», sagt sie.

Und: «Wenn es Reinhold gut geht, sind wir alle miteinander richtig glücklich.»

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