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Aprilia in der MotoGP: Genug Geld und genug Geduld?

Kolumne von Günther Wiesinger
Aleix Espargaró auf der Werks-Aprilia

Aleix Espargaró auf der Werks-Aprilia

Für das Aprilia Racing Team Gresini gilt 2017 als Jahr der Bewährung; in der dritten MotoGP-Saison gibt es keine Ausreden mehr. Aber die Aufgabe für die Italiener wird nicht leichter.

Die MotoGP-Weltmeisterschaft 2017 verspricht aus vielerlei Gründen viel Spannung, Spektakel und Abwechslung. Nicht nur, weil wir neugierig sind, wie sich Lorenzo bei Ducati, Viñales bei Yamaha und Iannone bei Suzuki bewähren, sondern auch weil wir erstmals sechs Werke im Feld haben und die Luft an der Spitze immer dünner wird.

Honda, Yamaha, Ducati und Suzuki haben 2016 Rennen gewonnen.

Die Neueinsteiger Aprilia und KTM treten als «concession teams» an, weil sie noch keine Podestplätze erreicht haben. Suzuki hat diese Privilegien (neun statt sieben Motoren, Motorenentwicklung ab Saisonstart nicht eingefroren, keine Testbeschränkungen mit Ausnahme von Dezember und Januar) bereits verloren.

Spannend wird auch zu beobachten sein, wie sich KTM im ersten Jahr gegenüber Aprilia aus der Affäre zieht, das italienische Team bestreitet 2017 die dritte Saison.

Trotzdem sagte Aprilia-Renndirektor Romano Albesiano beim Valencia-GP: «2016 war unser erstes Jahr.»

Aprilia hat KTM offenbar als Nummer 1-Feind auserkoren. Deshalb wurde beim ersten richtigen Aufeinandertreffen zum Befremden der eigenen Teammitglieder in Spielberg im Juli auf die Montage von Zeitnahme-Transpondern verzichtet. Trotzdem blieb nicht verborgen: KTM-Testfahrer Mika Kallio fuhr damals 0,1 sec schneller als Álvaro Bautista.

Top-Speed-Messungen ergaben dort: KTM liegt bei der Leistungsausbeute bereits auf dem Niveau von Honda, Yamaha und Suzuki, Aprilia fehlten ca. 20 PS.

Beim Valencia-GP büßte Wildcard-Pilot Kallio im Quali nur 0,2 sec auf die beste Aprilia ein.

Die Retourkutsche folgte auf dem grünen Tisch: Aprilia stimmte gegen KTM, als es darum ging, den Österreichern im ersten Jahr während der Saison ein Aerodynamik-Update zuzugestehen. Ducati schlug sich auf die Seite von KTM, schließlich sollten sich die Europäer gegen die Japaner verbünden. Die Japaner selbst hacken sich ja untereinander auch kein Auge aus.

Die grossen Rivalen: Ducati und Aprilia

Ducati ist ohnedies der Erzrivale von Aprilia, das ist historisch bedingt. Schon der einstige Firmenchef Ivano Beggio trieb für 2002 den Bau der MotoGP-Maschien voran, er wollte unbedingt ein Jahr vor Ducati in der neuen Königsklasse mitmischen. Da in Noale wegen der vielen 125-ccm- und 250-ccm-GP-Teams keine Kapazitäten vorhanden waren, wurde die Konstruktion des Viertakt-Motors zu Cosworth ausgelagert, die Briten bauten ein giftiges Formel-1-Triebwerk mit «ride by wire», die 990-ccm-Dreizylinder-Cube wurde nie wirklich konkurrenzfähig. Bald nach dem Erscheinen der Desmosedici wurde das aussichtlose Aprilia-Projekt eingestampft.

Dafür liess Beggio dann in der Superbike-WM eine V2-Aprilia gegen Ducati in die Schlacht schicken.

In Italien hält sich hartnäckig die Überzeugung, Piaggio-Group-Eigentümer Roberto Colaninno sei mit Aprlia nur deshalb 2015 so hastig in die MotoGP-WM eingestiegen, weil er den Abgang von Renndirektor Gigi Dall’Igna im Oktober 2013 nicht verkraftet habe und zeigen wollte: Es geht auch ohne ihn.

Mit betriebswirtschaftlichen und marketing-technischen Überlegungen wie bei KTM («Ready to Race») hat die MotoGP-Beteiligung von Aprilia offenbar wenig zu tun.

Das Mitwirken 2015 mit dem alten Claiming Rule-Bike 2015, das vom Superbike abgeleitet wurde, wirkte sowieso immer seltsam.

«Aprilia wäre besser beraten gewesen, wie Suzuki und KTM eineinhalb oder zwei Jahre zu testen», meint der ehemalige Aprilia-Rennchef und Dall’Igna-Vorgänger Jan Witteveen. «Denn sie haben 2015 gar nichts gelernt, es gab ja dann ein völlig neues Motorrad, eine neue ECU und eine neue Reifenfirma.»

Diese Ansicht hat Hand und Fuss. Denn durch die Rennteilnahme 2015 wurden der neue Motor und das neue Motorrad mit fast sechs Monaten Verspätung fertig. Beim Motor hatte sich Aprilia sehr spät noch entschlossen, eine gegenläufige Kurbelwelle zu installieren, wie es Ducati für die Saison 2015 längst vorgemacht hatte.

Aprilia: Nur ein WM-Titel ohne Dall'Igna

«Unser Motorrad hat keine Schwachstellen», behauptete Romano Albesiano bereits beim ersten Sepang-Test 2015 und nachher beim Sachsenring-GP 2016.

Trotzdem fiel es Bautista und Bradl schwer, in den Trainings 2016 unter die Top-15 vorzustoßen, die neuen Michelin-Reifen ließen sich durch das Chassis nicht zur Geltung bringen. Außerdem erzählte Elektroniker Marcus Eschenbacher im Frühjahr sichtlich erschüttert, der neue Motor leiste nur 245 PS. Ducati sprach damals schon von 275 PS, KTM gab 270 PS an.

Dass die teilweise schwachen Ergebnisse von 2016 nicht allein den Fahrern zuzuschreiben war, zeigte sich bei den jüngsten Jerez-Tests: Bautista war mit der 2016-Ducati schneller als Aleix Espargaró auf der 2016-Werks-Aprilia.

Klar, Aprilia hat 54 Weltmeistertitel gewonnen.

Aber wie viele seit dem Abgang von Witteveen und Dall’Igna?

Bestenfalls den Superbike-WM-Titel durch Sylvain Guintoli 2014, aber da profitierte die italienische Marke noch von der technischen Hinterlassenschaft des pfiffigen Gigi Dall’Igna.

Manchmal wirkt es so, als seien die Schuhe der Vorgänger ein bisschen zu groß für die heutige Mannschaft. Romano Albesiano hat damals den Streit Guintoli gegen Melandri in der Superbike-WM vermasselt. Es war auch ein Fehler, Melandri 2015 zu einer Rückkehr in die MotoGP-WM zu zwingen, noch dazu mit einem Hinterbänkler-Motorrad.

Es war auch kein Glücksgriff, den Franzosen Mike di Meglio für 2016 als MotoGP-Testfahrer zu engagieren, er erwies sich als unbrauchbar, Bautista und Bradl konnten mit seinem Zeug nichts anfangen. KTM schöpfte aus dem Vollen: Kallio, Abraham Lüthi und de Puniet – es gab aussichtsreiche Testfahrer wie Sand am Meer.

Halten wir uns an die Fakten: Aprilia schaffte in der MotoGP-WM 2016 die Ränge 12 und 16. Das Suzuki-Ecstar-Team brachte (ebenfalls im zweiten Jahr) die Ränge 4 und 11 heim.

Der jetzt als Aprilia-Heilsbringer bejubelte Aleix Espargaró landete sieben Plätze hinter dem jüngeren Viñales, er kassierte 93 Punkte ein, Viñales 202.

Wegen Befangenheit (uns steht ein deutscher Fahrer näher als ein Spanier) werde ich mich auf keinen Fall zur Fahrerwahl von Aprilia äußern. Aber zahlreichen Gesprächen mit Teammitgliedern habe ich entnommen: Sie hätten befürwortet, wenn Aprilia nur einen der zwei Fahrer ausgetauscht hätte.

«Denn die zwei neuen Fahrer haben keine Referenzen. Sie können uns jetzt nie sagen, ob neue Komponenten besser sind oder nicht», lautete der Tenor.

Außerdem: Wir brauchen dem Abgang von Bradl nicht nachzutrauern. Denn es war immer klar, Sam Lowes ist für 2017 fix, es muss ein Fahrer von 2016 Platz machen. Und Bautista war in den Rennen stärker.

Trotzdem: Selbst Marcus Eschenbacher, jetzt Crew-Chief von Aleix Espargaró, bezeichnete die Trennung von Stefan Bradl im Sommer wortwörtlich als «dämlich. Denn Stefan hat uns durch sein Technik-Verständnis bei der Entwicklung viel weitergeholfen».

Bradls Crew-Chief Diego Gubellini, seit 20 Jahren im Gresini-Team, er hat auch schon für Nachzügler wie Bryan Staring gearbeitet, wollte jedenfalls nicht für Sam Lowes arbeiten. Deshalb ging er zu Marc VDS. Und Bradls Chefmechaniker Andrea Bonassoli unterschrieb beim Yamaha-Superbike-Team. «Lowes wird mit seinem Fahrstil in jedem Rennen die Reifen nach acht Runden ruiniert haben», meinten sie.

Schade, denn bei Aprilia ist viel Leidenschaft für den Motorradsport zu spüren, viel Knowhow, aber es fehlt ein Mann mit der Schlitzohrigkeit und Gerissenheit eines Dall’Igna, Ciabatti, Jarvis. Brivio oder Suppo, die auch als Strippenzieher ihre Qualitäten haben, denen die Sportpolitik kein Gräuel ist.

Vielleicht hätte man Max Biaggi einbetten können, aber stattdessen überließ man den Aprilia-Helden den Indern von Mahindra. Ein Armutszeichen.

«Grande Max» hätte zumindest verhindert, dass ein Bruchpilot wie Sam Lowes kommt und ein Bautista gehen muss, der zwei Jahre brav Entwicklungsarbeit geleistet hat.

Es bleibt nur zu hoffen, dass der wankelmütige Piaggio-CEO Colannino einen langen Atem hat. Das fertige Moto2-Projekt hat er im Herbst 2009 in letzter Sekunden abgeblasen, mit fadenscheinigen Gründen. Er wolle nicht mit Honda-Einheitsmotoren fahren, sagte er damals. Dieses Konzept war aber zwei Jahre vorher bekannt.

Es ist ja erfreulich, wenn ein Unternehmer wie Colaninno mit Aprilia in der Superbike-WM und in der MotoGP-WM mitmischt. Aber von den Verkaufszahlen her würde Aprilia besser in die Moto3-WM passen.

Die Piaggio Group veröffentlicht keine Verkaufszahlen von Aprilia mehr. Man erfährt auf Anfrage nur, dass der ganze Konzern (mit den Marken Piaggio, Vespa, Derbi, Aprilia, Gilera und Moto Guzzi) eine halbe Million motorisierter Zweiräder im Jahr verkauft, grossteils natürlich Roller.

In Deutschland liegt Aprilia bei den Neuzulassungen an elfter Stelle, hinter Triumph und Husqvarna, der Zweitmarke von KTM. In den letzten drei Jahren dümpelten die Markanteile in Deutschland zwischen 1,2 und 1,7 Prozent. BMW führt mit rund 25 Prozent, KTM liegt zwischen 8,1 und 10,4 Prozent. Hinter Aprilia befinden sich Moto Guzzi, Beta, MV Agusta, Indian, Victory, Royal Enfield, SWM, Zero und Sherco.

Man muss kein Wirtschafts-Professor zu sein, um zu erkennen: Mit der heutigen Modelpalette von Aprilia ist kein Staat zu machen. Bei den Leichtkrafträdern liegen sogar schwindsüchtige Marken wie Beta und Kreidler in Deutschland vor Aprilia.

Und jetzt auch noch Superbike-WM!

Trotz der Herkulesaufgabe in der MotoGP verstärkt Aprilia 2017 das Engagement in der Superbike-WM. Das macht ja Sinn, denn die RSV4 gilt als extrem schlagkräftiges Superbike. Eugene Laverty soll damit um den Titel fighten.

Aber man sieht mit freiem Auge, dass Aprilia in der MotoGP geringere Budgets hat als Suzuki und KTM. Und diese beiden Werke leisten sich trotz unvergleichlich höherer Verkaufszahlen (KTM verkauft mehr als 185.000 Bikes im Jahr) kein Superbike-WM-Team.

Ich bewundere und respektiere, was die Marke Aprilia in den letzten Jahrzehnten im Rennsport auf höchster Ebene als Nischenhersteller geleistet hat.

Ich habe vermutet oder befürchtet, KTM könnte die Königsklasse unterschätzen und werde einige Zeit brauchen, um in der MotoGP-WM mit Aprilia mithalten zu können, weil die Italiener viel mehr Big-Bike-Rennerfahrung haben.

Aber inzwischen ahne ich: KTM-Group-Chef Stefan Pierer hat erstens mehr Geduld als Colaninno. Zweitens mehr Budget. Und drittens voraussichtlich auch das bessere Konzept.

Aprilia war in der Vergangenheit immer erfolgreich, weil Witteveen und Dall’Igna nicht die Konkurrenz kopierten, sondern sich bei den Zweitaktern durch den Drehschieber von den Japanern unterschieden, in der 500er-WM bauten sie überraschend einen Twin, den Honda dann kopierte. Später in der MotoGP-WM trat Aprlia mutig mit einen Triple an, auch wenn sich dieses Konzept als Fehlschlag entpuppte. Das lag aber auch an der Zeitnot, dem unzureichenden Budget und fehlenden Kapazitäten. Aprilia war damals an zu vielen Fronten aktiv.

Heute sieht die Aprilia-MotoGP-Maschine dem Honda-Exemplar sehr ähnlich. 2016 ließen sich damit oft nicht einmal die drei Jahre alten Ducati GP14.2 von Barbera und Laverty besiegen. Dieses Duo erkämpfte gemeinsam fünf Top-6-Plätze, Aprilia keinen.

KTM baut hingegen einen exklusive Gitterrohrstahlrahmen und verlässt sich als einziger Hersteller auf die hauseigene WP Suspension. Alle andern setzen auf Öhlins.

Wir werden das Duell KTM gegen Aprilia aufmerksam verfolgen. Aprilia steht unter Druck. 2017 kann Albesiano nicht wieder die fadenscheinige Ausrede bringen, es sei die erste MotoGP-Saison gewesen.

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