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Jorge Lorenzo: Die Wehleidigkeit ist fehl am Platz

Von Günther Wiesinger
Jorge Lorenzo: Red Bull lauert als Sponsor für 2019 im Hintergrund

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Ducati-Werkspilot Jorge Lorenzo rechnete nach dem Sieg in Mugello mit seinen Kritikern ab. Doch der fünffache Weltmeister muss sich eine dickere Haut wachsen lassen.

Über die Fahrkunst von Jorge Lorenzo brauchen wir nicht zu diskutieren. Es erübrigt sich, diese in Frage zu stellen.

Man muss nur einen Blick auf die Statistik werfen. Lorenzo gewann die 250er-WM 2006 und 2007 souverän auf Aprilia. Dann wagte er sich als Teamkollege von Valentino Rossi in die Höhle des Löwen, er unterschrieb für das damalige Fiat-Yamaha-Werksteam.

Rossi demonstrierte seine Macht und Vorrangstellung im Team, indem er Eindringling Lorenzo nur die weniger konkurrenzfähigen Michelin-Reifen zubilligte. Er selbst stieg für 2008 auf Bridgestone um, nachdem dieses Marke 2007 mit Stoner/Ducati erstmals die MotoGP-WM gewonnen hatte.

Jorge Lorenzo schaffte trotzdem gleich bei den ersten drei MotoGP-Grand Prix die Pole-Position – in Doha, Jerez und Estoril.

Der Mallorquiner beendete diese drei Rennen auf den Plätzen 2 (hinter Stoner), 3 (hinter Pedrosa und Rossi) – und siegte in Portugal, damit war er WM-Leader!

Nach den Titelgewinnen auf Yamaha in den Jahren 2010, 2012 und 2015 stand Jorge Lorenzo bei Yamaha und in der Gunst der Fans immer noch klar im Schatten des Evergreens Rossi.

Deshalb nahm er vor zwei Jahren Reißaus und unterschrieb für zwei Jahre bei Ducati – für 12,5 Millionen Euro im Jahr.

Doch der populäre Dovizioso kassierte 2017 doppelt so viele Punkte wie Lorenzo, «Dovi» gewann sechs Grand Prix, er besiegte den überragenden Marc Márquez im Finish in Spielberg und Motegi auf souveräne Art und Weise – und wurde Vizeweltmeister.

Lorenzo gelangen drei Podestplätze – und der bescheidene siebte WM-Rang. Er sammelte nur 13 Punkte mehr als Danilo Petrucci, der bei Pramac im Vorjahr eine Gage von 200.000 Euro einstreifte.

Lorenzo 2018: 16 Punkte in 5 Rennen

Die ersten fünf Rennen 2018 erwiesen sich für Lorenzo als Desaster. Er kam als WM-Vierzehnter zum Mugello-GP.

Erst in Mugello demonstrierte Jorge Lorenzo auf der Ducati Desmosedici jenes Fahrkönnen, das ihm zu insgesamt 45 MotoGP-Siegen verholfen hat und zu insgesamt fünf Weltmeistertiteln.

Der 31-jährige Spanier war der einzige Pilot im Feld, der seine Pace von A bis Z unwiderstehlich durchzog und seinen Teamkollegen Dovizioso um 6,3 Sekunden deklassierte.

Sollen wir wirklich alle glauben, nur der neue Tank habe den Unterschied ausgemacht? Hätte Lorenzo nicht ohne Stallorder auch schon Sepang 2017 gewonnen?

Natürlich bildete dieser Triumph in Mugello eine Genugtuung für Jorge Lorenzo, der bei den 24 Rennen akls Ducati-Fahrer zuvor etliche Schmähungen erdulden und viel Kritik einstecken musste.

Aber ist die Kritik nicht gerechtfertigt, wenn man vom Titelgewinn redet und dann nach fünf Rennen in der Tabelle an 14. Stelle steht?

Warum nützte Jorge Lorenzo die Stunde des Triumphes zu einer Abrechnung mit den Kritikern?

Casey Stoner sagte in Mugello unverblümt, Lorenzo habe wie einst Rossi zu lange versucht, die Ducati auf seinen Geschmack umzubauen. Er hätte lieber mehr trainieren und seinen Fahrstil rechtzeitig anpassen sollen. 

Man durfte seit Wochen die Frage stellen: Was passiert, wenn Ducati wirklich Danilo Petrucci für 2019 ins Werksteam befördert und Suzuki Joan Mir den Vorzug gibt, was sich vor dem GP von Italien längst deutlich abzeichnete?

Selbst im spanischen Movistar-TV wurde vor zehn Tagen noch diskutiert, ob Lorenzo womöglich zurücktreten müsse.

Lorenzo bezeichnete Iannone-Manager Carlo Pernat als Clown und ließ auch an KTM-Firmenchef Stefan Pierer kein gutes Haar, als dieser betonte, er sei weder an Márquez noch an Lorenzo interessiert.

Lorenzo hatte ja selbst seine Zweifel, was die Saison 2019 betraf.

Erst am Donnerstag vor dem ersten Mugello-GP-Training kündigte er erstmals an: «Ich werde auch 2019 und 2020 in der MotoGP-WM fahren.»

Zu diesem Zeitpunkt war er bei Petronas-SIC-Yamaha im Gespräch.

Außerdem hatte sich HRC bei Zarco eine Abfuhr geholt, Dovizioso blieb bei Ducati, Joan Mir ging zu Suzuki, Dani Pedrosa verlor das Vertrauen von Honda, auch Jack Miller ließ sich von Ducati nicht weglocken.

So kam es aus heiterem Himmel zum «Dream Team» Márquez & Lorenzo bei Repsol-Honda für 2019 und 2020, eine Konstellation, die wenige Wochen vorher von den Beteiligten noch als «unvorstellbar» bezeichnet worden war.

Denn Honda, HRC, Repsol und Co-Sponsor Red Bull wollten Serien-Weltmeister Márquez keinen Teamkollegen zumuten, der ihm lästig wird und ihm wegen seines gewaltigen Egos täglich zur Last fallen wird.

Außerdem hatte Lorenzo, im sechsten Jahr mit Personal Sponsor Monster unterwegs, wochenlang versucht, 2 Millionen Euro von Monster von Tech3-Yamaha (Teambesitzer Hervé Poncharal wechselt auf KTM und hofft auf Unterstützung von Red Bull) als eine Art Mitgift zu Suzuki Ecstar zu transferieren.

Im Internet kursiert längst ein Foto von Rossi mit einer Sprechblase. «Lorenzo und Márquez in einem Team? Das ist für mich nichts Neues», wird dem Italiener in den Mund gelegt, in Anlehnung an Rossis vermuteten Komplott gegen ihn im Oktober 2015.

Die Mimose Lorenzo

Für mich ist nicht nachvollziehbar, warum Jorge Lorenzo in Mugello mit derartiger Wehleidigkeit auf die – durchaus berechtigte – Kritik reagierte.

Wer 25 Millionen in zwei Jahren kassiert, an dem muss diese Kritik abprallen. Sonst ist er in der falschen Branche.

Rossi muss sich auch einiges anhören, weil er seit 2009 keinen WM-Titel mehr gewonnen hat.

Auch Andrea Dovizioso ist weit davon entfernt, 2018 die hoch gesteckten Erwartungen zu erfüllen. Nur ein Sieg in sechs Rennen.

Eigentlich wird in dieser Saison wieder einmal nur ein MotoGP-Pilot den Erwartungen gerecht, und zwar im Guten (drei Siege) wie im Schlechten (in Las Termas mit drei Fahrern kollidiert) – Marc Márquez.

Der Weltmeister und WM-Leader musste nach dem Argentinien-GP jede Menge verbale Prügel einstecken. Er wurde als Gefährder bezeichnet und bekam in Südamerika drei Strafen in 40 Minuten!

Aber der Überflieger gab die Antwort auf der Rennstrecke. Marc siegte in Austin, Jerez und Le Mans – und verlor dabei kein Wort über Hater, Neider und Kritiker.

Jorge Lorenzo muss sich bewusst werden, dass er nie ein Publikumsliebling wie Rossi werden wird. Dazu fehlt ihm das Charisma, die Persönlichkeit, die Ausstrahlung, die Unbeschwertheit, das Durchsetzungsvermögen und wohl auch die Schlitzohrigkeit. 

Lorenzo hat sich nach dem fünften Titelgewinn mit Ayrton Senna verglichen. Ein starkes Stück. Oder gar eine Entgleisung.

Jorge hat schon oft von fehlerlosen, makellosen und perfekten Darbietungen gesprochen, wenn er seine Pole-Position-Zeit oder ein starkes Rennen analysiert hat.

Bei so viel Eigenlob macht man sich angreifbar.

Jorge Lorenzo hat mehr MotoGP-WM-Titel als Casey Stoner gewonnen. Er hat Rossi einmal für zwei Jahre zu Ducati getrieben. Er hat auf zwei verschiedenen Fabrikaten MotoGP-Rennen für sich entschieden (im Gegensatz zu Roberts, Spencer, Rainey, Schwantz, Gardner, Doohan & Co.); er wird zweifellos als großer Rennfahrer in die Geschichte eingehen.

Ob der 31-jährige Spanier auch als überragende Persönlichkeit in Erinnerung bleiben wird, muss sich noch herausstellen.

Bisher gibt er sich abseits der Rennstrecke zu mimosenhaft. Das kommt bei den Fans, bei den Sponsoren und den Meinungsmachern nicht gut an.

Mein Vorschlag: Jorge Lorenzo soll jetzt zeigen, dass Mugello keine Eintagsfliege war, dass er Dovizioso im Griff hat, dass ihn Ducati zu früh abgeschrieben hat, dass er die Ducati-Kollegen Miller und Petrucci nicht fürchten muss und er in der Lage ist, Marc Márquez 2019 zu neuen Höchstleistungen zu treiben.

Dovizioso gab die Antwort auf der Rennstrecke

Freuen wir uns jetzt schon auf eine spannende MotoGP-Saison 2019. Bei Repsol-Honda werden dann wohl zwölf WM-Titel (7x Márquez, 5x Lorenzo) versammelt sein, bei Movistar-Yamaha zehn (9x Rossi, 1x Viñales). Bei den GP-Siegen führt Movistar-Yamaha momentan (total 135 GP-Siege, 115x Rossi, 20x Viñales) vor dem künftigen Honda-Duo mit bisher 130 Siegen (66x Lorenzo, 64x Márquez).

Als aktuell bestverdienender MotoGP-Rennfahrer darf sich Lorenzo nicht wundern, wenn bei Ducati keine Begeisterung ausbricht, wenn er 567 Tage lang keinen Grand Prix-Sieg einfährt.

Jeder Fußballstar wird ausgepfiffen, wenn er einen Elfmeter zwei Zentimeter am Tor vorbeischießt.

Aber einen GP-Fahrer darf man nichts ankreiden, wenn er eine Enttäuschung nach der anderen abliefert und sogar vom angeblich hoffnungslosen Tito Rabat auf einer Vorjahres-Ducati entzaubert wird?

Sollen Fans, Ducati und die Berichterstatter untertänig in Bewunderung verfallen und applaudieren, wenn ein als Titelanwärter und nicht ganz preiswert eingekaufter Champion in fünf Rennen nur 16 Punkte einsammelt?

Ein Athlet, der berechtigte Kritik nicht aushält, aber viel Schmerzensgeld kassiert, hat im Rampenlicht nichts verloren.

Hat sich Dovizioso eine Sekunde wehleidig gezeigt, obwohl er bei Ducati in zwei Jahren rund 22 Millionen weniger verdient als die Nummer 99?

Nein.

Er hat mannhaft den Mund gehalten und die Resultate sprechen lassen.

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