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MotoGP-Asse zwischen Tunnelblick und Risiko

Kolumne von Michael Scott
Das Bike von Morbidelli verfehlte Rossi und den vor ihm fahrenden Viñales nur knapp

Das Bike von Morbidelli verfehlte Rossi und den vor ihm fahrenden Viñales nur knapp

Der Horror-Crash zwischen Johann Zarco und Franco Morbidelli blieb in Spielberg nur mit viel Glück ohne schwerwiegende Folgen. Warum Rennfahrer nicht zu normal sein dürfen.

Es sind bizarre Szenen bei den Siegerehrungen, wenn Trophäen und Gratulationen unter dem Motto «Bitte nicht berühren» ausgetauscht werden, schließlich geht es ja darum, die MotoGP-Stars zu «schützen».

Das Thema Sicherheit rückten an den zwei Rennwochenenden in Österreich aber andere Vorkommnisse in den Mittelpunkt: Am Sonntag musste Maverick Viñales bei 218 km/h von seiner M1 abspringen, weil die Bremsen in der 17. Runden in Kurve 1 versagt hatten. Aber vor allem der erste Spielberg-GP hatte schonungslos offengelegt, dass die Gefahr beim Motorradsport immer mitfährt.

Angefangen hatte es schon im Moto2-Rennen, als Enea Bastianini in der Spitzengruppe zu Sturz kam und seine Kalex nach Kurve 1 mitten auf der Strecke liegen blieb. Wie durch ein Wunder konnten viele der Nachfolgenden ausweichen, Hafizh Syahrin erwischte das Bike dann jedoch voll. Es dauerte 30 Minuten, ehe die Strecke von den Trümmern gesäubert war – und fast genauso lange, bis klar war, dass der Malaysier trotz der erschreckenden Szenen «nur» mit schweren Prellungen davongekommen war.

Das anschließende MotoGP-Rennen war dann erst acht (von 28) Runden alt, als ein Horror-Crash seinen Lauf nahm – ein «potenzielle Desaster», um es mit den Worten von Valentino Rossi zu sagen. Denn beinahe wären der Yamaha-Star und sein spanischer Teamkollege in Turn 3 von den wie Torpedos daher schießenden Maschinen von Franco Morbidelli und Johann Zarco getroffen worden, nachdem der Petronas-Fahrer bei mehr als 300 km/h in das Heck des Ducati-Piloten gedonnert war.

Die fürchterlichen Szenen machten auch einmal mehr deutlich, wie sehr sich ein professionellen Motorrad-Rennfahrer auf Top-Niveau vom Rest von uns unterscheidet. Ihnen ist dieser totale Tunnelblick gegeben. Die undenkbare Unterdrückung der Vorstellungskraft: Weiterhin daran glauben zu können, dass es «mir nicht passieren kann» – auch wenn es gerade doch fast so gekommen wäre.

Natürlich ist das Risiko untrennbar mit dem Rennfahren verbunden, vor allem im Motorradsport. Es ist Teil des Nervenkitzels. Wenn es aber fast schief gelaufen wäre, wie in Österreich, ist es genauso normal zu überlegen, ob es das alles wert ist.

Glücklicherweise kommt da die menschliche Natur durch. Nur geht es bei den Fahrern dann eben ein bisschen schneller.

So auch bei Rossi, über den man nur immer wieder staunen kann. Man mag sich gar nicht vorstellen, was hätte passieren können, wären er oder Viñales von einem der Bikes getroffen worden.

Der 41-Jährige kehrte sichtlich erschüttert in die Box zurück, aber er schüttelt es ab und stellte sich 20 Minuten später wieder in die Startaufstellung. Das Rennen beendete er anschließend als bester Yamaha-Pilot – in seiner gewohnten Souveränität.

Rossi war aber nicht der einzige, der diese Abgeklärtheit an den Tag legte. Das galt für das ganze Feld, auch schon in der Moto2. Dazu erklärte Andrea Dovizioso treffend: «Wenn du zu normal bist, dann kannst du kein Fahrer sein.»

Der Abgeklärteste wird nach einem heftigen Zwischenfall härter pushen und hoffen, dass die Gegner das Gegenteil tun.

Danach gingen die Schuldzuweisungen los.

Allen voran Rossi äußerte sich kritisch über das Manöver von Zarco… Es war auch nicht das erste Mal, dass dem Moto2-Doppelweltmeister angekreidet wurde, zu viel Risiko zu nehmen. Nur eine Woche zuvor war er in Brünn nach dem Zusammenstoß mit Pol Espargaró zu einem «Long-Lap-Penalty» verdonnert worden.

Es gibt also eine Vorgeschichte. Gleichzeitig fährt Zarco aber auch um seine Karriere, die nach der frühzeitigen Trennung von KTM vor einem Jahr noch vor dem Aus stand – und Unfälle können passieren.

Die MotoGP-Stewards haben dann entschieden, dass der Franzose bestraft werden musste – er fuhr also aus der Boxengasse los. Viele – darunter Zarco – hielten das für ziemlich hart. Er verzichtete aber auf einen Einspruch, «um diese Geschichte abschließen zu können».

Man kann die Mitschuld aber auch bei einem nicht menschlichen Faktor suchen: Kurve 3 folgt auf einen schnellen Linksknick – und bringt Fahrer direkt in die Schusslinie für jegliche Fehler, die hintern ihnen passieren können. Dazu kommt der unglaubliche Speed auf der schnellsten Strecke des Jahres.

Dass sich in Spielberg keiner schwer verletzt hat, war einfach Glück. Und dafür sollten wir wirklich dankbar sein.

Darauf wollte man sich am darauffolgenden Wochenende natürlich nicht verlassen und nahm einen kleinen Umbau vor: Rechts zur Fahrbahn ausgangs der zweiten Kurve wurden Betonabsperrungen mit darüber befestigten Fangnetzen in Stellung gebracht, diese wurden mit zusätzlichen Airfences abgesichert. Safety-Officer Franco Uncini ließ gleichzeitig durchblicken, dass man an einer besseren permanenten Lösung arbeite.

Aber was kann man gegen diese Gefahren tun? Das betrifft auch andere wirklich schnelle Strecken: Kurve 1 auf Phillip Island fällt einem da sofort ein. Auch in Silverstone bestehen ähnliche Risiken. Und vor allem in den kurvigen Sektoren des COTA.

Brauchen wir überall Schikanen? Oder Bremsschwellen? Oder drücken wir einfach die Daumen und fahren weiter?

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