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Brexit-Desaster: Was bedeutet das für den Motorsport?

Von Günther Wiesinger
Silverstone-GP: Die Anreise wird für die Teams beschwerlicher

Silverstone-GP: Die Anreise wird für die Teams beschwerlicher

Welche Auswirkungen hat der Brexit auf den internationalen Motorsport? Die Reisen nach England werden komplizierter, es müssen zum Beispiel aufwändige Zolldokumente mitgeführt werden.

Bisher lässt sich nicht abschätzen, ob Boris Johnson bis 31. Dezember noch einen Deal mit der EU für einen geregelten Ausstieg aus der Zollunion aushandelt oder ob es trotz stöndig neuer Fristen und fast vierjähriger Verhandlungszeit zu einem ungeregelten Brexit kommt.

Was auch immer passiert: Im Motorsport wird sich 2021 für die Veranstalter und die Teams und Fahrer bei den Events in Großbritannien einiges ändern. Die Briten steigen aus dem Staatenbund aus, 27 europäische Länder verbleiben im EU-Binnenmarkt – mit einer Bevölkerung von 450 Millionen Menschen. Von den 27 EU-Staaten bilden 19 Staaten eine Wirtschafts- und Währungsunion. Am 1. Januar 2002 wurde der Euro als gemeinsame Währung für diese Länder eingeführt.

Da Großbritannien aus dem Staatenbund und Handelspakt ausgeschert ist und jetzt ein «No deal»-Brexit droht, kommen auf die Racing Teams, die künftig auf der Insel an Motorsport-Veranstaltungen teilnehmen, ganz neue Herausforderungen zu.

Jeder Team-Lkw muss künftig bei der Einreise nach Großbritannien ein Carnet vorweisen, ein internationales Zolldokument, das alle erforderlichen Zolldeklarationen beinhaltet. Die Handhabung ist zwar einfach und erfordert keine besonderen Zollkenntnisse. Das Carnet ermöglicht die vorübergehende zoll- und abgabenfreie Einfuhr von Waren in über 75 Länder im Rahmen von drei hauptsächlichen Übereinkommen: Ausstellungen, Messen und ähnliche Veranstaltungen, Muster zur Vorführung, Berufsmaterial.

Aber jeder Team-Lkw, der 2021 zum Beispiel zum British Motor Cycle Grand Prix in Silverstone fährt, muss in diesem Carnet jedes noch so kleine Bestandteil aufzählen, das über die Grenze transportiert wird. Also alle Ersatzteile, das Werkzeug, die Boxendekoration, die Rennfahrzeuge, die Anzahl der Ersatzräder, der Reifen, der Ersatzmotoren, Verkleidungen, alle Computer, Kopfhörer, Sturzhelme, die gesamte Elektronik und so weiter. Und genau dieses Material muss nach der Veranstaltung auch bei der Ausreise noch vorhanden sein. Sonst werden Strafzölle fällig.

Das mag sich auf dem ersten Blick nicht sehr aufwändig anhören, und die älteren Teammitglieder kennen das System aus den 1990er-Jahren, als auch Österreich und einige Oststaaten noch nicht zur EU gehörten.

Trotzdem müssen alle betroffenen Teams umdenken. Denn die Lkw könnten an den EU-Außengrenzen stundenlang im Stau stehen, auch wenn bei einem Carnet nichts verzollt werden muss. Es können von den Zollbeamten lästige und zeitraubende Stichproben gemacht werden.

Momentan werden täglich aktuelle Fernsehbilder ausgestrahlt, auf denen kilometerlange Lkw-Staus an der Küste in Dover/GB zu bestaunen sind. Denn alle Firmen wollen vor dem 31. Dezember noch ihre verkauften Waren noch zollfrei in den EU-Binnenmarkt transportieren.

Bei schweren Stürzen oder Unfällen dürfen keine zerbrochenen Verkleidungen oder Karosserieteile mehr in die nächste Mülltonne gesteckt oder demolierte Räder an irgendwelche Fans verschenkt werden. Es muss alles wieder exportiert werden, was vor dem Rennen ins Land gebracht wurde. Sonst werden Zollgebühren und Strafen fällig.

Im Motorrad-GP-Sport existiert kein britisches Team. Aber in der Formel 1-WM sind nur drei Rennställe nicht in England beheimatet: Ferrari, Sauber und AlphaTauri. Auf die britischen Rennställe kommen also viele Erschwernisse zu.

Langfristig könnte es passieren, dass die Anzahl der Großveranstaltungen in England sinkt. Oder dass sich F1-Teams eine Zweitniederlassung im EU-Raum suchen und die britsichen F1-Lkw nur mehr in dringenden Notfällen heimfahren.

Für die Superbike-WM 2021 in England wurden bereits die WM-Läufe für die beiden Supersportklassen 300 und 600 ccm gestrichen.

Für den Motorrad-GP in Silverstone wurde von der Dorna kein Rahmenrennen angesetzt – weder MotoE-Weltcup noch Red Bull Rookies-Cup.

Sogar unsere britischen Journalisten-Kollegen machen sich Sorgen. Und zwar wegen der Reisefreiheit.

Wegen der Pandemie erlaubt die britische Regierung vorläufig nur unverzichtbare Geschäftsreisen in die Länder der EU. Bisher wurde nicht genau definiert, welche Reisen als unverzichtbar eingestuft werden.

Da die Formel 1 im United Kingdom zehntausende Arbeitsplätze sichert, kann dieser Industriezweig wohl als lebenswichtig eingestuft werden.

Aber darf jeder Triumph-Mitarbeiter zu den Moto2-Rennen reisen, bei denen die Briten die Einheitsmotoren liefern? Darf jeder britische Mechaniker künftig seinem Beruf bei den Grand Prix im EU-Gebiet nachgehen?

Diese Fragen müssen alle noch geklärt werden.

Ohne EU-Zugehörigkeit gehört auch der freie Personenverkehr für Großbritannien der Vergangenheit an. Werden die Briten künftig eine Arbeitserlaubnis brauchen, wenn sie ihr Geld in EU-Staaten verdienen wie zum Beispiel ein GP-Mechaniker?

«Ich fürchte, wir werden wie alle anderen Nicht-EU-Länder daheim eingesperrt werden», meint der renommierte MotoGP-Berichterstatter Mat Oxley. «Denn ich bezweifle, dass mein Beruf als unverzichtbar eingestuft wird, wenn ich über Motorräder berichte, die irgendwo auf der Welt im Kreis fahren.»

Selbst britische Urlaubsreisende werden wegen der aktuellen Covid-19-Beschränkungen ab 1. Januar 2021 an der Einreise in EU-Länder gehindert, die hohe Infektionsraten aufweisen. Bisher gilt das sogar für Personen, die in Spanien, Portugal oder Frankreich einen Zweitwohnsitz haben. Nur eine Handvoll der 27 EU-Staaten mit einer geringen Infektionsrate erlauben Einreisen aus Nicht-EU-Staaten in ihre Länder.

Die EU-Mitgliedsländer haben im Oktober beschlossen, einem Vorschlag des EU-Rats zu folgen und verzichtbare Reisen nur aus Ländern wie Australien, Neuseeland und Südkorea zu erlauben, wo die Covid-19-Seuche zum damaligen Zeitpunkt stark eingedämmt war.

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