Paolo Pavesio (Yamaha): «Wir machen etwas Verrücktes»
Paolo Pavesio mit Fabio Quartararo und Alex Rins
Am 31. Januar haben das Yamaha-Werksteam und Pramac in Kuala Lumpur die Fahrer und Bikes für die MotoGP-Saison 2025 vorgestellt. Mit diesem Aufgebot soll der japanische Hersteller wieder zu alter Stärke zurückfinden. Yamaha hat sich für dieses Vorhaben auch personell neu aufgestellt – etwa mit Massimo Bartolini, der seit Anfang 2024 als technischer Leiter fungiert.
Auch auf der obersten Ebene des MotoGP-Projekts gab es eine Veränderung. 26 Jahre betreute Lin Jarvis das Engagement von Yamaha in der Königsklasse, am 1. Januar 2025 hat Paolo Pavesio diese Aufgabe übernommen. Der neue Geschäftsführer von Yamaha Motor Racing (YMR) hat viele Aufgaben und Projekte auf seinem Tisch. Neben der Weiterentwicklung der M1 wird auch intensiv am V4-Motor gearbeitet. «Natürlich ist es eine große persönliche Herausforderung, aber es ist eine gemeinsame Anstrengung mit dem Team», betonte Pavesio im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Ich arbeite schon über 20 Jahre für Yamaha und ich fühle mich glücklich und geehrt, die Verantwortung für das alles zu haben.»
Lin Jarvis hat ein großes Erbe hinterlassen. Mit ihm hatte Pavesio in der letzten Zeit einen intensiven Austausch – für eine möglichst perfekte Übergabe. «Ich hätte nie gedacht, dass der Übergang so reibungslos und gut sein würde», meinte der Italiener. «Wir haben in den letzten sechs Monaten sehr eng zusammengearbeitet. Der Wissenstransfer verlief sehr gut und jetzt versuche ich, die Teile zusammenzusetzen. Wir haben viele technische Herausforderungen vor uns, dabei haben wir aber einen sehr offenen Ansatz. Und das bringt mich zum V4-Motor: Die schnellsten Bikes haben heute einen V4-Motor, deshalb sind wir offen, etwas Neues zu lernen. Wir machen aber etwas verrücktes: Die Entwicklung bei der derzeitigen M1 geht weiter und die Fahrer haben ein neues Chassis, eine neue Ausbaustufe des Motors, ein neues Aerodynamik- und Elektronikpaket, also viele neue Dinge zum Testen, und parallel dazu entwickeln wir ein neues Bike – denn du kannst nicht einfach einen V4-Motor in die M1 einbauen. Wir werden versuchen, das schnellste Bike zu bauen, gleichzeitig versuchen wir die M1 so schnell als möglich zu machen.»
Wann wird die neue Yamaha mit dem V4-Motor das erste Mal zum Einsatz kommen? «Es wird einen Moment geben, an dem das neue Projekt das alte überholen wird. Das wird der Moment sein, an dem wir uns über Wildcards Gedanken machen – das wird aber sicher nicht 2025 passieren. Vielleicht ist es aber 2026 oder 2027 unsere neue technische Plattform.»
Kann es auch sein, dass Yamaha sich im Laufe des Projekts dazu entschließt, beim Reihenvierzylinder-Konzept zu bleiben? «Wir verfolgen hier keinen ideologischen Ansatz. Wir möchten ein Bike haben, mit dem wir gewinnen können», stellte Pavesio klar. «Wir schätzen alle Titel, die wir mit der M1 gewonnen haben, aber wir versuchen eine schnellere Konfiguration, eine schnellere Schwester des derzeitigen Motorrads zu kreieren.»
Hat dieses Umdenken mit der Restrukturierung des Teams und des Hineinbringens einer europäischen Denkweise zu tun? «Ja, zu 100 Prozent. Ich kenne das Unternehmen sehr gut und ich habe lange im Bereich Produktentwicklung gearbeitet. Was ich jetzt sehe, ist eine Verantwortlichkeit, die vollkommen auf Wissen und Fähigkeiten basiert», so Pavesio. «Wir haben ein großes und starkes Team von Ingenieuren in Japan, gleichzeitig bauen wir unsere Engineering-Kapazitäten in Europa bzw. in Italien auf. Aber die Verantwortlichkeiten sind von Wissen getrieben. Zum Beispiel liegt der Lead bei der Aerodynamik in Europa, weil wir dort über die Expertise verfügen. Deshalb verfolgen wir keinen ideologischen Ansatz, denn wir möchten technisch frei sein. Die beste technische Lösung ist ein Ergebnis von japanischer Auffassung hinsichtlich Prozesse und Qualität und der kreativen und schnellen europäischen Denkweise. Wir sagen dazu eins plus eins ergibt mehr als zwei.»