Romano Albesiano gibt zu: «War am Anfang schockiert»

Hondas MotoGP-Rennchef Romano Albesiano
Die Nachricht am Ende letzten Jahres, dass Romano Albesiano Aprilia verlassen und zu Honda wechseln würde, war für die MotoGP-Community ein Schock. Bis dahin war Albesiano seit der Rückkehr der Marke aus Noale in die MotoGP im Jahr 2015 Leiter des MotoGP-Projekts von Aprilia gewesen. Die aktuelle RS-GP, das Motorrad, das den Grand Prix von Großbritannien in Silverstone gewann, ist sein Werk. Ein Motorrad, das er und sein Team von Grund auf aufgebaut und über ein Jahrzehnt lang entwickelt haben. Und plötzlich wechselte er zur japanischen Konkurrenz.
SPEEDWEEK.com-Autor Manuel Pecino traf Romano Albesiano in Le Mans zum Interview – bevor Honda-Ass Johann Zarco die mehr als 100.000 Zuschauer auf dem Circuit Bugatti in Ekstase versetzte.
Romano, weshalb bist du zu Honda gewechselt?
Nun, ich bin aus vielen Gründen zu Honda gegangen. Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich, als ich den Anruf von Alberto [Puig] erhielt, total begeistert war, obwohl ich mich bei Aprilia ehrlich gesagt in einer sehr guten Situation befand. Ich liebe das Unternehmen, die Leute, alles war so gut. Aber dann kam diese Möglichkeit, und das war wirklich aufregend für mich. Ich habe mich entschieden, diese Herausforderung anzunehmen, denn ich bin nicht mehr ganz so jung. Das ist so etwas wie ein Traum für einen Ingenieur, der in der Motorradwelt arbeitet.
Wie lange hast du gebraucht, um diese Entscheidung zu treffen? Du hast fast dein ganzes Leben an einem Ort verbracht. Ich kann mir vorstellen, dass die Entscheidung nicht sofort gefallen ist.
Nein. Ehrlich gesagt, war ich anfangs etwas schockiert. Dann habe ich natürlich versucht, das Angebot genau zu verstehen, und ich habe mit meiner Familie darüber gesprochen. Und ich muss auch sagen, dass es für mein Privatleben eine Verbesserung bedeutete... Ich habe vielleicht zwei oder drei Wochen gebraucht.
Hast du deshalb nachts schlecht geschlafen?
Ja, ich habe schlecht geschlafen. Jedes Mal, wenn man das Unternehmen wechselt, ist das eine Veränderung. Es ist eine Umstellung im Leben, in der Arbeit, auch wenn es etwas wirklich Gutes ist, ist es anspruchsvoll.
Bitte vervollständige diesen Satz: Als ich zu HRC kam, traf ich auf...
Ich traf auf ein großes Unternehmen. Das war mein erster Eindruck. Ja, ein großes Unternehmen mit vielen Ressourcen und einer Philosophie, die sich deutlich von dem unterschied, was ich gewohnt war. Aber es ist sehr interessant, sich damit auseinanderzusetzen und einen Weg zu finden, alles auf die effizienteste Weise zu kombinieren.
Du versuchst, die italienische Mentalität mit der japanischen Arbeitsweise in Einklang zu bringen?
Ja, auf jeden Fall.
Was ist der Unterschied zwischen der Art und Weise, wie Japaner den Rennsport managen, und der Herangehensweise, wie Europäer dies tun?
Die Organisation der europäischen Hersteller ist recht einfach. Die japanische Organisation ist größer und anders strukturiert. Ich würde nicht sagen, dass sie kompliziert ist, aber wenn man mehr Mitarbeiter und mehr Ressourcen hat, braucht man auch eine komplexere Organisation.
Hast du die Organisation vereinfacht oder sich in die bestehende integriert?
Sagen wir, eine Mischung aus beidem. Wir versuchen, die Planung zu vereinfachen. Ich habe viel an der Planung für die Zukunft gearbeitet, für das Rennwochenende, für viele Dinge. Es ist zu komplex, um es in diesem Format zu beschreiben.
Sind die Ressourcen von Honda so groß, wie man sagt?
Weißt du, im Rennsport hat man nie genug! Aber es ist ein großes Unternehmen mit großen Ressourcen, und es besteht auch die Möglichkeit, Know-how aus verschiedenen Bereichen des Unternehmens zu nutzen. Der Mythos Honda hat eine gute Grundlage.
Ich habe mit Max Bartolini von Yamaha gesprochen, der im Grunde schon eine Wohnung in Japan und eine goldene Vielfliegerkarte hat.
Ja, ich weiß, er hat mir erzählt, dass er in seiner ersten Saison bei Yamaha elf Mal in Japan war.
Musst du nicht so oft nach Japan reisen?
Ich wäre gerne hier und dort, aber das ist nicht möglich. Ich muss die beste Balance finden. Wir stehen natürlich ständig in Kontakt. Aber es ist wichtig, persönlich miteinander zu sprechen. Ich werde nicht elf Mal hinfliegen, aber dieses Jahr werde ich ziemlich oft dort sein.
Ich kann mir vorstellen, dass du bei wichtigen technischen Entscheidungen dabei sein möchtest.
Es gibt immer die Möglichkeit von Online-Meetins. Im Grunde kann man dieselbe Besprechung auch persönlich durchführen. Aber ich gebe zu, dass es von Angesicht zu Angesicht effektiver ist, man kommuniziert mehr und besser.
Wir haben mit Joan Mir und Luccio Cecchinello gesprochen und sie gefragt, was ihrer Meinung nach dein bisher größter Beitrag für Honda war. Beide haben es mit einem Wort zusammengefasst: Organisation. Wenn das so ist, lautet die Frage: Wie war es vorher?
Ich weiß es nicht, ich war vorher nicht hier.
Okay, wenn dein größter Beitrag bisher die Organisation ist, dann nehme ich an, dass es vorher unorganisiert war.
Nein, so ist es nicht. Es war anders organisiert. Jetzt ist es eher eine Organisation nach europäischem Vorbild, mit einer einfacheren Struktur. Das haben sie wahrscheinlich gemeint.
Sie – Mir und Cecchinello – erklärten, dass Honda früher viele neue Teile mitbrachte und dass du nun die Art und Weise organisiert hast, wie diese Teile getestet werden.
Wir haben uns zu Beginn des Jahres zusammengesetzt und einen Plan für die Entwicklung unseres Motorrads erstellt. Wir haben alle Ideen, die wir hatten, zu Papier gebracht und aufgeschrieben. «Okay, das machen wir, diesmal machen wir es so…». Wir haben geplant, was dieses und nächstes Jahr passieren wird. Ich würde sagen, das ist eine ganz normale Arbeit.
Wie ist die aktuelle Situation bei der Entwicklung der RC213V? Hat Honda bereits eine Basis oder wird noch danach gesucht?
Ich finde, die Basis des Motorrads ist ziemlich gut. Ich war ehrlich gesagt überrascht, als ich die Fahrer zum ersten Mal interviewt habe. Ich hatte erwartet, viele Beschwerden über das Motorrad zu hören. Aber dann hieß es: «Das ist gut, das ist gut, das ist gut, das ist okay… wir haben eindeutig diese Schwachstelle und vielleicht noch eine weitere Schwachstelle.» Im Grunde genommen war es nicht so schlecht. Und indem wir an den Schwachstellen gearbeitet und optimiert haben, was optimierbar war, haben wir bisher schon ein ordentliches Niveau erreicht. Wir haben eine Basis, ja.
Im zweiten Teil des Interviews spricht Romano Albesiano über die Entwicklungsarbeit bei der Honda RC213V und weshalb Johann Zarco konkurrenzfähiger ist als die beiden Werks-Fahrer Joan Mir und Luca Marini.
Fortsetzung folgt…