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Open Class: Die MotoGP-WM steuert ins Dilemma

Kolumne von Günther Wiesinger
Die neue Open Class bringt die Kräfteverhältniss in der Königsklasse aus dem Gleichgewicht. Wie konnte es zu diesem Desaster kommen? Eine Analyse.

Steuert die MotoGP-Weltmeisterschaft durch das 2014 neu in Kraft tretende technische Reglement auf ein Dilemma zu, dessen Ausmass jetzt noch gar nicht abzuschätzen ist?

Vielleicht haben Dorna-Technikdirektor Corrado Cecchinelli, Race Director Mike Webb und Technical Director Danny Aldridge noch gar keine Ahnung davon, was sie womöglich mit der Schaffung der Open Class und deren Privilegien angerichtet haben.

Sie wollten eigentlich nur die Zeitabstände zwischen den Werksfahrern und den Kundenteams verringern, die statt High-Tech-Motoren über 30 PS schwächere 1000-ccm-Superbike-Rennmotoren von Aprilia oder Kawasaki verfügen. Oder über Production-Racer von Honda.

Aber es wurde nicht festgelegt, dass sich die Fahrer von Prototypen nicht die Vorteile der Open-Class zunutze machen dürfen, die da wären: 4 Liter mehr Sprit, zwölf statt fünf Motoren, weichere Hinterreifen, Motorenentwicklung nicht eingefroren.

Yamaha und der Open-Zufall

Yamaha ist eigentlich mit den letztjährigen YZR-M1-Maschinen von Forward (Aleix Espargaró, Colin Edwards) durch Zufall in die Open-Class geschlittert. Yamaha wollte M1-Motoren für 800.000 Euro pro Fahrer verleasen, Kalex, Suter oder FTR sollten die Rolling Chassis dazu bauen. Aber es fand sich lange kein Team für so ein Konzept, also reichte dann die Zeit für den Chassis-Hersteller nicht. Also wurde dem Forward-Team für 2014 quasi ein komplettes Vorjahres-Motorrad angeboten, FTR baut jetzt Chassis und Schwingen für 2015 oder die zweite Saisonhälfte 2014.

Jetzt hat Aleix Espargaró mit diesem Konzept beim Sepang-Test die viertbeste Zeit erzielt..

Also wird jetzt auch Ducati mit den drei weiteren Desmosedici-GP14-Piloten Dovizioso, Crutchlow und Iannone neben Yonny Hernandez auf die Open Class umsatteln.

Eine kuriose Situation. Ein reiches Werksteam wie Ducati nützt jetzt diesselben Vorteile wie die Hinterbänkler-Teams Avintia-Kawasaki und PBM-Aprilia, das schon bei den Fahrerpaarung mit Barbera und di Meglio Abstriche sowie Parkes und M. Laverty machen muss.

Noch kurioser wird es, wenn man berücksichtigt, dass das Ducati-Werksteam die Motoren Tag und Nacht weiterentwickeln kann, die Werksteams von Honda (Márquez, Pedrosa) und Yamaha (Lorenzo, Rossi) sowie deren Kundenteams LCR (Bradl), Go&Fun-Gresini (Bautista) sowie Tech3-Yamaha (Pol Espargaró, Smith) hingegen nicht.

Noch schlimmer: Yamaha könnte beim Forward-Open-Team Weiterentwicklung bei den Motoren betreiben, beim Werksteam nicht. Wenn Yamaha einmal bei Forward neue Motoren oder Updates für 2015 testen will, ist dies jederzeit möglich. Wie gesagt: zwölf statt fünf Motoren.

Und das Publikum ist verwirrt. Lässt jetzt LCR-Honda auch Stefan Bradl in der Open-Class fahren? Und Bautista? Reagiert Tech3-Yamaha-Chef Poncharal ähnlich wie LCR-Honda-Teambesitzer Cecchinello?

Ein heilloses Durcheinander.

Zwei Philosophien

«Bei Yamaha sind die Werksmaschinen und die Open-Class-Maschinen sehr ähnlich», wundert sich HRC-Vizepräsident Shuhei Nakamoto. «Yamaha wollte anscheinend für die Open-Class ein Motorrad, das genau so konkurrenzfähig ist wie das Werksmotorrad. Das ist die Philosophie von Yamaha. Die von Honda sieht anders aus. Bei uns ist der Abstand zwischen den Werksmaschinen und den Production-Racern momentan grösser als erwartet, rund 1,5 sec. Aber bei uns steht die Entwicklung nicht still.»

Honda hat sich mit dem Production-Racer RCV1000R einige Millionen Entwicklungskosten aufgehalst und hat sogar Casey Stoner als Testfahrer engagiert. Yamaha und Ducati haben einfach die gewünschte Einheits-Elektronik auf den Prototyp montiert.

So ein Reglement hat die Welt noch nicht gesehen.

Ich habe es schon erwähnt: Die Techniker von IRTA, Dorna und FIM sind den Genies in den Rennabteilungen, die 500.000 Euro im Jahr verdienen, beim Ausfindigmachen von Schlupflöchern haushoch unterlegen.

Da finanziert ein Teambesitzer wie Lucio Cecchinello seinen Rennbetrieb in der MotoGP-Klasse mit rund 6,5 Millionen Euro im Jahr.

Aber vielleicht bekommt er von HRC nicht die Erlaubnis zum Umstieg in die Open Class, weil das Repsol-Honda-Werksteam sonst Gefahr läuft, von einem Kundenteam besiegt zu werden.

Für HRC ein grauenhaftes Szenario. Repsol-Honda ist in der MotoGP-Ära jahrelang vom Gresini-Honda-Team blamiert worden – mit Fahrern wie Melandri und Gibernau.

Viel Dilettantismus im Spiel

Wir haben eine Situation, in die sich die Werke grossteils selbst hineinmanövriert haben. Denn das Reglement wurde von der Herstellervereinigung MSMA (Motorcycle Sport Manufacturer’s Association) massgeblich mitgestaltet – und befürwortet.

Da ist viel Dilettantismus im Spiel.

Nakamoto hat das Reglement nicht sorgfältig genug gelesen und deshalb gemeint, Maschinen fürs Open-Format dürften nicht verleast, sondern müssten verkauft werden. Ducati-Rennchef Filippo Preziosi hat 2012 der eingefrorenen Motorenentwicklung für 2014 zugestimmt, obwohl er damals mit Rossi in jeder Runde 1,8 sec verlor.

Vielleicht sollte einmal grundlegend überdacht werden, wie künftig die technische Reglemente zustande kommen sollen.

Die augenblickliche Lösung erscheint nicht zielführend.

Ich denke nur an die Einheits-Motoren in der Moto2. Als die ersten drei Jahre vorbei waren, wurden ausgerechnet die Teams gefragt, ob sie das System mit den Honda-Triebwerken beibehalten wollten. Sie sagten natürlich ja, weil sie nicht weiter denken als die Nase lang ist.

Dass die heutige Moto3-Situation mit der Teilnahme von Werken wie KTM, Honda, Husvqarna und Mahindra sinnvoller und aufregender ist, liegt auf der Hand.

Auf den Tribünen sitzen nicht Tausende Kalex- oder Suter-Fans, aber Fans von Kawasaki, Suzuki, Yamaha, Ducati, Honda oder KTM. Suter und Kalex buchen auch keine TV-Spots. Sie kaufen keine Bandenwerbung. Sie kaufen keine Tribünen.

Begreift das niemand?

Vielleicht ist die abstruse Open Class ein Anlass, das ganze Herrschaftssystem in der MotoGP-WM zu überdenken.

Für 2014 droht ein mittleres Desaster.

Dorna und MSMA könnten das Desaster nur lindern, indem sie den Open-Class-Fahrern die weicheren Hinterreifen vorenthalten. Diese sind nämlich nicht zwingend vorgesehen. Im Reglement ist nur von «anderen Reifen» die Rede.

Aber so eine kurzfristige Änderung wäre den Open-Teams vielleicht nicht zumutbar.

Es ist wie beim Zauberlehrling. «Ach, da kommt der Meister! Herr, die Not ist gross. Die ich rief, die Geister, die werd’ ich nun nicht los.»

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