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Jahresrückblick 2023: Triumphe und Dramen der Saison

Von Thoralf Abgarjan
Die MX2-WM der Saison 2023 war Dramatik pur. Jago Geerts (Yamaha) war erneut vom Pech verfolgt, Liam Everts (KTM) schrieb im Talkessel Geschichte und Andrea Adamo (KTM) wurde verdient Weltmeister.

Vor Saisonbeginn konnte man natürlich schon damit rechnen, dass sich die Leistungen von Andrea Adamo als Neuzugang im KTM-Werksteam stark verbessern würden. Dass der Sizilianer, der seine Karriere in der inzwischen abgeschafften EMX-150 Einheitsklasse begann, am Ende des Jahres als Weltmeister dasteht, war dann aber doch eine der Überraschungen des Jahres. Nachdem der 22er MX2-Champion Tom Vialle in Richtung USA abgewandert war, schien der Weg in erster Linie für Jago Geerts frei zu sein. Das Vorjahres-Duell zwischen ihm und Vialle war natürlich noch in bester Erinnerung. 2023 sollte es für den hoch talentierten aber glücklosen Belgier endlich für den WM-Titel reichen. Doch daraus wurde wieder nichts.

Als die Saison Anfang März in Argentinien beginnt, wirkt der Belgier wie der absolute Überflieger und gewinnt. Doch als die WM in Riola auf Sardinien in ihre zweite Runde geht, kommt die alte Schwäche von Geerts erneut zum Vorschein. Er stürzt, fällt weit zurück, holt wieder auf und begeht gleich den nächsten Fehler. Trotzdem gewinnt er den Grand-Prix und führt nach nur zwei absolvierten WM-Läufen die WM mit 30 Punkten Vorsprung an.

Beim schweizerischen Grand-Prix in Frauenfeld fliegt der Belgier im ersten Lauf nach einem weiten Sprung so heftig über den Lenker ab, dass den Zuschauern der Atem stockt. Diesmal bleibt er zum Glück unverletzt, doch im zweiten Lauf stürzt er erneut, wenn auch diesmal eher harmlos. Das Rennen in der Schweiz sollte nur ein kleiner Vorgeschmack dessen werden, was dem Belgier in dieser Saison noch erwarten sollte.

In Arco, WM-Runde 4, stürzt Geerts im Qualifikationsrennen erneut, gewinnt aber den ersten Lauf und kollidiert im zweiten Rennen mit Andrea Adamo, der auf italienischem Boden seinen ersten Grand-Prix-Sieg feiert. Auch Adamos Teamkollege Liam Everts hat Grund zum Jubeln, denn er steht zum ersten Mal in seiner Karriere auf dem WM-Podium.

In Agueda (Portugal) scheint sich Geerts wieder gefangen zu haben. Er gewinnt alle 3 Rennen und kann sich in der WM wieder etwas absetzen, aber Andrea Adamo gewinnt nach seinem Trentino-Sieg an Selbstvertrauen und ist in der Tabelle bereits auf Rang 2 vorgerückt.

In Spanien zeigt Simon Längenfelder, dass auch er zu den Titelanwärtern zählt. Nach P3 im Qualifying gewinnt der Deutsche in Xanadu beide Wertungsläufe und rangiert in der WM bereits auf P4. Doch die Freude ist nur von kurzer Dauer. Nur wenige Tage nach seinem Triumph bricht sich Längenfelder im Training den Arm und fällt für mehrere WM-Runden aus. Zum Frankreich-Grand-Prix in Villars-sous-Écot will Geerts auf die Siegerstraße zurückkehren, doch es kommt wieder einmal anders. Der Belgier stürzt erneut, bricht sich das Handgelenk und verpasst die Grands-Prix in Frankreich und Lettland.

Mit den Ausfällen von Geerts und Längenfelder ist die MX2-WM nach 7 Grands-Prix wieder komplett offen und das nächste Rennen in Kegums fühlt sich wie ein kompletter Neustart der WM an. Kay de Wolf gewinnt sowohl das Qualifying als auch beide Wertungsläufe und ist danach WM-Leader. Der niederländische Husqvarna-Werksfahrer reist mit dem 'redplate' zum Deutschland-Grand-Prix in den Talkessel an, doch in der Woche vor dem Rennen lädiert er sich den Fuß und kann nur noch Schadensbegrenzung betreiben. Sein Teamkollege Lucas Coenen gewinnt den ersten Lauf zum Deutschland GP und ist auch im zweiten Lauf auf dem Weg zu seinem ersten Grand-Prix-Sieg, doch er muss das Rennen mit gerissener Kette aufgeben. Liam Everts (KTM) lässt sich nicht zweimal bitten und holt im Talkessel von Teutschenthal den ersten Grand-Prix-Sieg seiner Karriere. Der Knoten ist endgültig geplatzt und 'Liamski' kann nun endgültig aus den langen Schatten von Vater Stefan und Großvater Harry heraustreten. Der Große Preis von Deutschland wird zum Familienfest der Legenden. Harry, Stefan und Liam Everts feiern gemeinsam den ersten WM-Triumph des jüngsten Everts-Sprösslings!

Andrea Adamo beendet den Deutschland-Grand-Prix auf P2 und übernimmt damit die WM-Führung. Simon Längenfelder, der wegen seines Armbruchs nur als Zaungast vor Ort ist, wird von den Fans aufgespürt und gefeiert wie eine Pop-Ikone. «Wir woll'n dich wieder seh'n, wir woll'n dich wieder seh'n...» schallt es in Schlachtgesängen der Fans mit ihren Fichtenmopeds durch den Kessel. Das war Gänsehaut pur und zweifellos eines der Highlights des Jahres 2023! Längenfelder kann die WM beim nächsten Rennen in Indonesien fortsetzen.

Lucas Coenen kann in Indonesien schließlich seinen in Deutschland verpassten Grand-Prix-Sieg nachholen. Jago Geerts ist nach seinem Handgelenksbruch zwar noch immer nicht fit, aber er kämpft und erreicht immerhin das Podium. In der WM liegt er zu diesem Zeitpunkt auf P5 mit 58 Punkten zurück. Geerts ist voll motiviert, gewinnt in Lombok (Indonesien) alle 3 Rennen und danach auch den tschechischen Grand-Prix mit einem 1-3-Ergebnis.

Der Tiefsand von Lommel ist sein Terrain. Geerts gewinnt sowohl das Qualifikationsrennen als auch beide Wertungsläufe souverän und liegt in der WM-Tabelle zu diesem Zeitpunkt schon wieder auf Rang 2 mit nur 13 Punkten Rückstand zu WM-Leader Adamo. Schon beim nächsten Grand-Prix im Sand von Finnland kann er wieder die WM-Führung übernehmen, doch es kommt anders. Vor dem Qualifikationsrennen geht ein Wolkenbruch über dem finnischen Vantaa nieder. Der tiefe Schlamm ist ganz nach dem Geschmack von Simon Längenfelder, der das Qualifikationsrennen gewinnt. Nach dem Start zum ersten Wertungslauf kommt es erneut zur Tragödie: Der mit einer Wildcard angetretene Hakon Osterhagen springt an einem Table zu kurz und stürzt. Geerts, der sich hinter Osterhagen bereits in der Flugphase befindet, kann nichts mehr tun, landet auf Osterhagens Motorrad und stürzt ebenfalls. Geerts bricht sich das Schlüsselbein, genauer gesagt, reißt sich einen verschraubten Bruch erneut auf und muss zum zweiten Mal in dieser Saison pausieren. Die Motocross-Welt stellt sich die Frage, wie viel Pech ein Mensch in dieser Situation noch haben kann.

WM-Leader Andrea Adamo ist nach dem Geerts-Drama zur Stelle und dominiert beim Finnland-Grand-Prix in Vantaa. Simon Längenfelder gewinnt den folgenden Grand-Prix in Uddevalla (Schweden) und schon in Arnheim (Niederlande) kehrt Geerts zum zweiten Mal in die WM zurück. Der Belgier beißt auf die Zähne, doch sein Kampf ist aussichtslos. Er müsste in den verbleibenden 4 Grands-Prix der Saison einen Rückstand von zwischenzeitlich mehr als 100 Punkten wettmachen - unter normalen Bedingungen eine Unmöglichkeit.

Adamo taktiert, fährt nicht um Siege, sondern um Punkte und Liam Everts gewinnt die beiden folgenden WM-Läufe in den Niederlanden und der Türkei. 'Liamski' rangiert in der WM zwischenzeitlich auf Rang 2. Als der WM-Tross nach zum vorletzten Grand-Prix nach Maggiora kommt, geht plötzlich alles ganz schnell. Liam Everts stürzt im zweiten Lauf heftig und muss das Rennen angeschlagen aufgeben. Jago Geerts kann nicht mehr tun als zu gewinnen. Er siegt mit einem 2-1-Ergebnis. Doch nach dem Ausfall von Everts genügt Andrea Adamo ein dritter Platz, um seinen Vorsprung in der WM-Tabelle vor dem letzten Rennen, bei dem noch maximal 60 WM-Punkte vergeben sind, auf 73 Zähler auszubauen.

Andrea Adamo holte in dieser Saison in Italien seinen ersten Grand-Prix-Sieg und kann nun in Maggiora erneut auf italienischem Boden seinen ersten WM-Titel feiern. Pechvogel Geerts hat in dieser Saison alles riskiert und alles gegeben, aber am Ende doch verloren. Geerts gewinnt den letzten Grand-Prix der Saison und beendet die MX2-WM schließlich auf Rang 2. Er bleibt der 'ewige Zweite'. Simon Längenfelder wird trotz seines verletzungsbedingten Ausfalls am Ende der Saison noch WM-Dritter und Liam Everts beendet die MX2-WM 2023 auf Rang 4.

Im Schatten der Ereignisse in der MX2-WM beginnt im Yamaha-Lager das große und selbst für Insider überraschende Stühlerücken. Jago Geerts hat das Alterslimit der MX2 von 23 Jahren überschritten und muss 2024 in die MXGP aufsteigen. Das MX2-Yamaha Werksteam von Hans Corvers hat mit Geerts einen Mehrjahresvertrag und wird mit ihm in die MXGP-Klasse aufsteigen. Yamaha steht nun vor dem Problem, gleich zwei Werksteams in der MXGP zu haben und muss sich entscheiden. Das Team von Hans Corvers erhält den Zuschlag. Yamaha beendet den Vertrag mit Wilvo Yamaha und Louis Vosters, der in den letzten Jahren als Yamaha-Werksteam auftrat. Vosters, der in den Niederlanden über eine moderne Infrastruktur verfügt, wird im kommenden Jahr als Fantic-Werksteam mit Glenn Coldenhoff und Roan van de Moosdijk in der MXGP an den Start gehen.

Andrea Adamo und Liam Everts bleiben KTM-Werksfahrer, doch ihr Teamchef und Mastermind Antonio Cairoli wurde für das Offroad-Projekt von Ducati angeheuert. Die Karten für 2024 werden also auf breiter Front neu gemischt.

Simon Längenfelder bleibt bei GASGAS und Davide de Carli. Er ist in der MX2-WM zu einer festen Größe gereift und von ihm ist künftig zweifellos viel zu erwarten. Die Fans am Hang der Nationen im Talkessel sind bereit, wenn am 2. Juni im Talkessel der Deutschland-Grand-Prix 2024 gestartet wird.

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