Wie Garrett Gerloff mit seinen Kollisionen umging
Garret Gerloff hat sich schnell wie wenige Rookies aus einer nationalen Meisterschaft in der Superbike-WM etabliert und konnte in seinen ersten beiden Jahren 2020 und 2021 die WM-Ränge 11 und 7 und außerdem fünf Podestplätze erobern. Der Mann aus Katy in Texas gehört zu den freundlichsten, höflichsten und zuvorkommenden Menschen, die man sich vorstellen kann. Doch auf der Strecke fackelt er nicht lange, wenn er eine Lücke sieht. So aggressiv und kompromisslos wie er agieren nur wenige im Superbike-Feld.
In seinen zwei WM-Saisons hat Gerloff viermal für Schlagzeilen gesorgt, indem er Gegner von der Strecke rempelte oder komplett abräumte.
Im Oktober 2020 sah Garrett in Magny-Cours in der ersten Kurve eine Lücke wo keine war und beförderte die führenden BMW-Piloten Tom Sykes und Eugene Laverty ins Kiesbett.
Eine ähnliche Aktion erlebten wir im zweiten Hauptrennen in Aragon Ende Mai 2021, als er sich in der dritten Runde am führenden Rea innen vorbeipressen wollte – auch dieses Mal war kein Platz für ihn. Glück für Rea: Er rumpelte ohne negativen Einfluss auf sein Ergebnis durchs Kiesbett, während Gerloff stürzte und trotzdem noch Siebter wurde.
In Estoril krachte Gerloff Ducati-Werksfahrer Michael Ruben Rinaldi vor Kurve 6 ins Heck, beide Fahrer stürzten spektakulär. Dieses Mal zeigte das FIM WorldSBK Stewards Panel keine Gnade und brummte dem Amerikaner eine harte Strafe auf: Das erste Hauptrennen in Misano musste er aus der Boxengasse starten.
Zwei Events später kam Assen, wo der 26-Jährige bei seinen Gegnern erneut für Kopfschütteln bis Wut sorgte. Vom achten Platz auf dem Grid hatte er einen hervorragenden Start ins zweite Hauptrennen und bog neben seinem Yamaha-Kollegen Toprak Razgatlioglu an der Spitze liegend in die erste Kurve ein. Gerloff war an der Innenlinie, Toprak kam von außen, beide bremsten ultraspät. Es kam zur Kollision, Toprak rutschte aus und überschlug sich im Kiesbett.
Der Türke kam damals mit zwei Punkten Vorsprung auf Jonathan Rea als WM-Leader nach Assen; nach drei Siegen des Nordiren in Drenthe hatte Razgatlioglu 37 Punkte Rückstand! Weil Toprak später trotzdem Weltmeister wurde, hatte Gerloffs Übermut keine weitreichenden negativen Folgen.
Yamaha nahm ihn damals ins Gebet, der Amerikaner fuhr anschließend wie ausgewechselt und kam nie mehr in Podestnähe. Bis Saisonende konnte er sich seinen Speed wieder mühsam aufbauen, ohne in diskussionswürdige Aktionen verwickelt zu werden.
Natürlich hat sich Gerloff mit diesen Vorfällen intensiv auseinandergesetzt, auch in der Winterpause. «Nach der letzten Saison war ich aus vielerlei Gründen angepisst», erzählte der Yamaha-Pilot SPEEDWEEK.com. «Ich musste schauen, wie ich damit klarkomme. Also habe ich mich auf meine Diät und körperliche Fitness konzentriert, das war drei Monate lang ein nettes Hobby. Ich lernte viel über diese Themen, fühle mich weiterhin gut und habe versucht, das Leben zu genießen. Ich musste mich selbst daran erinnern, dass es ziemlich schön ist, was ich tue.»
Über die mentale Vorbereitung sagte er: «Das habe ich hauptsächlich mit mir selbst ausgemacht. Ich habe ein paar Bücher dazu gelesen und mich aufs Entspannen konzentriert. Auf einem Motorrad kann viel passieren. Und es können Dinge passieren, ohne dass ein Fehler voranging – es wird dann aber ein Fehler daraus. Du kannst alles gleich machen und so wie du denkst, dass es gut ist, so wie es alle vorangegangenen Runden gut war, und es kommt trotzdem etwas anderes dabei heraus.»
Ohne den Assen-Vorfall hätte sich Gerloff zu einem konstanten Podestkandidaten entwickeln können, in der WM wäre deutlich mehr als Platz 7 möglich gewesen. «Wäre meine Saison gut gelaufen, wären die Top-5 ganz sicher drin gewesen», ist der MotoAmerica-Dritte von 2019 überzeugt. «Im besten Fall sogar Platz 3 in der Gesamtwertung. Das möchte ich dieses Jahr schaffen. Zuerst will ich konstant sein und gute Rennen zeigen. Und ich will endlich den verdammten ersten Sieg einfahren! Es ärgert mich, dass mir das bislang nicht gelang.»