Valentino Rossi sucht das Glück

Vor 60 Jahren in Le Mans: 82 Tote bei Unfallkatastrophe

Kolumne von Yörn Pugmeister
11. Juni 1955, um 18.28 Uhr. Ein Mercedes SLR explodiert nach einem Unfall. Die Überreste der Detonation werden in die dichte Menschenmenge auf den Tribünen gegenüber den Boxen geschleudert.

82 Menschen sterben, 94 werden verletzt. Das 24 h-Rennen geht weiter, als sei nichts geschehen.

Es hätte ein tolles Rennen werden können, das 23. in der Geschichte von Le Mans. 250 000 Zuschauer erwarteten den Dreikampf zwischen Jaguar, Mercedes und Ferrari. Hauptthema aller Insider sind die hydraulisch verstellbaren, grossen Luftbremsen hinter den Sitzen der Mercedes SLR von Pierre Levegh, Stirling Moss und Juan-Manuel Fangio, die eine gewaltige Verzögerung beim Anbremsen vor Kurven ermöglichen. Mercedes contra Jaguar, da ist viel Spannung drin. Deutschland gegen England. Der Weltkrieg ist noch nicht lange her. Er scheint ein wenig weiter zu gehen auf dem Asphalt in Frankreich.

28 Marken sind angetreten, 60 Autos stehen da, aller Augen sind auf die drei SLR gerichtet. Auf die Vierliter-Ferrari und die Jaguar D mit den «langen Nasen». Fahrer wie Mike Hawthorn, Peter Collins, Eugenio Castellotti, Briggs Cunningham und Maurice Trintignant warten auf ihre Chance. Harry Schell, Tony Brooks, Phil Hill und Olivier Gendebien lauern. Alle auf ihren Fight gegen die drei angeblich unschlagbaren Mercedes.

Das tödliche Manöver

Das Rennen, bei schönstem Wetter um 16 Uhr gestartet, beginnt in einem mörderischen Tempo. Eugenio Castelloti auf Ferrari übernimmt die Führung. Nach seinem Ausfall beginnt das erwartete Duell zwischen Jaguar und Mercedes. In der ersten Abenddämmerung liegt Mike Hawthorn auf dem Jag Nr.6 nur wenige Meter vor dem Silberpfeil Nr. 19 von Fangio. Kurz von 18.25 Uhr machen sich die beiden Spitzenreiter daran, dem eher unscheinbaren Mercedes Star Pierre Levegh auf der Nr.20 eine Runde abzunehmen. Das ganze spielt sich in der letzten Kurve vor den Boxen ab, die damals noch nicht per spezielle Boxengasse angelaufen werden mussten.

Hawthorn führt, muss aber zum Tanken. Er sieht Fangio in seinem Rückspiegel. Unmittelbar vor der letzten Kurve , die auf die Boxengerade führt, überholt Hawthorn, der Pierre Levegh gerade eben passiert hat, noch den kleinen, sehr viel langsameren Austin Healey Nr.26 von Lance Macklin. Dann hebt er den Arm, tritt brutal in die Bremsen, will an die Boxen. Macklin weicht nach links aus, um einen Auffahrunfall zu vermeiden. Aber da kommt Levegh mit 70 km/h Tempoüberschuss von hinten, steigt auf über dem Healey. Schlägt kopfüber ein auf der Mauer, die die Tribünen von der Piste trennen. Dort explodiert der SLR: der Motor, die Vorderachse und die Luftbremseneinheit schneiden sich Gassen in die Menschenmenge der Tribüne. Levegh und 70 Zuschauer sterben sofort, weitere später. Der Austin-Healey von Macklin dreht sich, reißt drei Menschen vor den Boxen in den Tod. Fangio zieht mit 200 km/h vorbei.

Die hilflosen Helfer

Während Feuerwehr, Polizei, Rotes Kreuz und Sanitäter versuchen, im qualmenden Chaos und in den Trümmern der Tribüne noch Überlebende zu finden, Verletzte und Tote zu bergen, geht das Rennen weiter. Keiner ahnt die Tragweite der Katastrophe. Keiner hat das Geschehen unter Kontrolle, Helfer in kurzen Hosen behindern sich gegenseitig, ehe Koordination greift. Priester erteilen letzte Sakramente. «40 Meter lang, mehr als 10 Meter breit ist die Todesschneise, rot von Blut», so schreibt die Zeitung Libération am nächsten Morgen. Die Hospitäler in Le Mans quellen über von Verletzten.

Das Rennen läuft. Marcel Reich, Adjudant des Rennleiters Charles Faroux, nennt den Grund: «Ein Rennen ist nie zu Ende, es sei denn die Piste ist nicht passierbar. Das war nie der Fall. Und mit den obligatorischen gelben Fahnen haben wir ja das Tempo aus dem Rennen genommen.»

Stirling Moss, damals 26 Jahre alt, fand es richtig, das Rennen weiter zu führen. Er wäre gerne weiter gefahren, fühlte sich nicht schuldig. Aber Arthur Keser, damals Pressechef von Mercedes und ein Kommunikations-Genie, überzeugte seine Chefs in Stuttgart davon, die zwei überlebenden SLR abzuziehen: um 1.45 Uhr in der Nacht rollte der letzte Silberpfeil aus. Noch in der gleichen Nacht des 11. zum 12. Juni 1955 verschwand das gesamte Mercedes-Team mit den SLR Nr. 19 und Nr. 21 so schnell als möglich aus Frankreich. Um alle juristischen Untersuchungen zu vermeiden? Gerüchte über die Legalität der SLR-Karosserie aus Magnesium ? Spezielles Rennbenzin mit unerlaubt hohen Oktanzahlen? – hielten und halten sich.

Mike Hawthorn fuhr bei diesem Rennen einen bitteren Sieg ein. Zu Rob Walker, seinem Freund, soll er gesagt haben: «Es ist alles meine Schuld».

Mercedes wartete nach dem Unfall 1955 genau 33 Jahre. Erst 1988 geriet über den Sauber- Weg wieder ein Mercedes-Motor nach Le Mans .

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