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DTM: Mercedes legt im Spielberg-Streit nach

Von Andreas Reiners
Ein Protest gegen die Durchfahrtsstrafe und Disqualifikation von Mercedes-Mann Robert Wickens war nicht möglich. Dafür verfasste Mercedes nun einen Offenen Brief an den DMSB.

Es war DIE Szene des sechsten DTM-Saisonrennens. Sie sorgte bereits während des Laufs in Spielberg für kontroverse Diskussionen, die nach dem Rennen auf dem Red Bull Ring munter fortgeführt wurden. Nun hat Mercedes nachgelegt und einen offenen Brief an den Deutschen Motor Sport Bund (DMSB) verfasst.

Was war passiert? In Runde 22 kam Robert Wickens zum Reifenwechsel in die Box. Nachdem ihm seine Crew die Freigabe erteilte, kam es der Rennleitung zufolge zu einem Unsafe Release, da BMW-Pilot Timo Glock behindert wurde. Die Folge: Eine Untersuchung durch die Rennleitung und eine Durchfahrtsstrafe. Wickens möglicher Sieg wäre somit futsch gewesen.

Mercedes diskutierte jedoch mit der Rennleitung über die Richtigkeit der Strafe, Wickens trat diese nicht innerhalb der vorgeschrieben Zeit an und wurde schließlich disqualifiziert. Die Mercedes-Verantwortlichen tobten und bezeichneten dies als «krasseste Fehlentscheidung in der DTM» (Zum Bericht). Auch Wickens konnte die Entscheidung nicht nachvollziehen, bezeichnete das Ganze als «armselig» (Zum Bericht). Oben drauf gab es dann für Pascal Wehrlein im Nachklang auch noch eine Strafe, die bei Mercedes für weiteren Ärger sorgte (Zum Bericht).

Da die Strafen als Tatsachenentscheidungen gewertet werden, war ein Protest vonseiten Mercedes nicht möglich. Dafür äußerten sich die Stuttgarter in einem Offenen Brief aus ihrer Sicht zu dem Thema. Und fordern eine Stellungnahme des DMSB. Fortsetzung folgt also.

Der offene Brief im Wortlaut:

Sehr geehrte Herren,

Mercedes-Benz ist seit 1988 werkseitig in der DTM vertreten und hat sich von Anbeginn im Einvernehmen mit allen Herstellern und dem DMSB für einen fairen und klar regulierten Motorsport eingesetzt. Dabei steht der Sport immer im Vordergrund. Wir nehmen die Teilnahme an der DTM sehr ernst, setzen nicht nur materielle Ressourcen, sondern auch Herzblut dafür ein.

Umso desillusionierender waren manche Entscheidungen der Rennleitung beim letzten DTM Lauf in Spielberg für uns. Bis zum Zeitpunkt der Boxenstopps wurde durch die Fahrer der Spitzengruppe ein tolles Rennen geboten - gekennzeichnet durch couragierte und faire Zweikämpfe, wie wir und auch die Fans sie in der DTM sehen möchten. Durch die nachfolgende Entscheidung der Rennleitung, eine Durchfahrtsstrafe wegen „Unsafe Release“ gegen Robert Wickens zu verhängen, wurden nicht nur Robert Wickens und sein Team um den Lohn ihrer harten Arbeit, sondern auch alle Fans vor Ort und an den TV-Geräten um ein tolles Rennen gebracht.

Wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass die Entscheidung inhaltlich falsch war – schon alleine vor dem Hintergrund der genauen Bedeutung des Terminus „Unsafe Release“: Robert Wickens wurde nach seinem Boxenstopp in Runde 22 aus seiner Station „gelassen“, der sich hinter ihm befindende Fahrer war gemäß einschlägiger Video- und Fotodokumentationen zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal in der Fastlane der Boxengasse. Wickens kam sicherlich nicht optimal aus seiner Pitstop-Station, was jedoch unvorhersehbar für die Boxenmannschaft war und somit in keinem Fall als Unsafe Release gewertet werden kann.

Es liegt in der Natur der DTM, dass der Wettbewerb auch in der Boxengasse stattfindet. In diesem Zusammenhang sollten grundsätzlich, egal ob Positionskampf auf der Strecke oder Boxengasse, gleiche Gebote der Fairness gelten: die Teilnehmer müssen sich respektieren und im Kampf um Positionen genügend „Überlebensraum“ lassen. Nach Artikel 23.9 Sportliches Reglement sind alle Fahrer, die sich in der Boxengasse befinden, verpflichtet alles Mögliche zu tun, um Kollisionen in der Boxengasse zu vermeiden. Nach unserer Auffassung wurde dieser Aspekt bei der Entscheidungsfindung ebenfalls nicht berücksichtigt. Der Fahrer, der sich hinter Robert Wickens befand, hätte ein sicheres Einfahren in die Fastlane ermöglichen können, vor allem da beide Fahrzeuge zuvor dicht hintereinander in die Boxengasse eingefahren sind.

In der Vergangenheit wurde darüber hinaus eine Richtlinie gelebt, die besagt, dass dem Fahrer, welcher auf Höhe der nächsten Boxenstoppstation „die Nase vorn hat“ Vorfahrt gewährt werden muss. Auch diese Tatsache spricht gegen eine Bestrafung von R. Wickens.

Letztlich war die Aktion also per definitionem kein „Unsafe Release“. Dies hatten wir bereits während der Untersuchung der Rennleitung so mitgeteilt. Leider kam es dennoch zu einer Durchfahrtsstrafe, die wir aber im Wissen der Diskussion mit der Rennleitung, sowie auch unserer Überzeugung keinen Fehler begangen zu haben, nicht angetreten haben. Wir fuhren hier ganz klar um den Sieg – diese Möglichkeit wurde uns genommen.

Übergeordnet fällt die Inkonsistenz in den Entscheidungen der Rennleitung auf: die Causa Pascal Wehrleins werten wir als viel eindeutigere Situation eines „Unsafe Release“ – er wurde hingegen während des Rennens freigesprochen und dann nach dem Rennen dennoch bestraft. An dieser Stelle sei die Frage nach der Konsistenz der Entscheidungsfindung selbst, aber auch des resultierenden Strafmaßes gestellt. Eine Rückversetzung um drei Startplätze beim nächsten Rennen scheint im Vergleich zu einem verlorenen Sieg nicht verhältnismäßig. Zudem gab es im Rennen eine weitere vergleichbare Situation zwischen D. Juncadella und einem Audi-Piloten. Diese wurde nicht einmal untersucht und dementsprechend auch nicht bestraft – weder während noch nach dem Rennen.

Ganz unabhängig von dem nun vorliegenden Fall sind wir der Meinung, dass in der DTM eine durchgängigere und insbesondere nachvollziehbarere Vorgehensweise bei potenziellen Vergehen und deren Bestrafungen angewandt werden muss. Im Zweifel müssen Entscheidungen im Sinne des Sports und spannenden Racings getroffen werden – ansonsten sehen wir die Glaubwürdigkeit der Rennserie und deren Attraktivität als populärste internationale Tourenwagenserie mittelfristig gefährdet. Die aktuellen Diskussionen auf unterschiedlichen Social Media Plattformen zeigen genau den Unmut der Fans, welche wir als Auszug diesem Schreiben in der Anlage beifügen.

Es geht uns an dieser Stelle auch nicht primär darum, uns über die Rennleitung zu beklagen. Wir respektieren die handelnden Personen und die Komplexität der Aufgabe. Oft müssen innerhalb von wenigen Momenten Entscheidungen mit großer Tragweite, innerhalb eines komplizierten Reglements getroffen werden.

Mercedes-Benz steht für die längste Historie aller Hersteller in der DTM und wir möchten im konstruktiven Dialog zwischen den Mitgliedern der DTM Kommission, dem DMSB, der ITR, dem Fernsehpartner und unseren Fans dazu beitragen, dass diese einzigartige Rennserie weiterhin für alle Beteiligten interessant und attraktiv bleibt. Insbesondere bedeutet das aus unserer Perspektive auf der sportlichen Seite:

• Vereinfachung des Reglements und Implementierung eines durchgängigen und transparenten Regelwerks und Strafenkatalogs
• Spannende und ggf. auch etwas härtere Zweikämpfe zuzulassen
• Entscheidungen im Sinne des Sports und spannenden Racings zu treffen.

Mit freundlichen Grüßen und der Bitte um Stellungnahme.

Toto Wolff und Team

Mercedes-Benz Motorsport

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