Was bringt uns Ferraris Rückkehr zu den Prototypen?
Der Ferrari 333 SP von Giampiero Moretti bei den 24h Le Mans 1998
Die Nachricht von Ferraris Rückkehr auf die ganz große (motorsportliche) Sportwagen-Bühne versetzte eine ganze Szene in helle Aufregung. Die Mythos-Marke aus Maranello wird ein LMH (Le Mans Hypercar) entwickelt und ab 2023 in die Sportwagen-WM (FIA WEC) einsteigen und damit auch bei den 24 Stunden von Le Mans wieder mit um die Gesamtsiege fahren. Diese Entscheidung hat natürlich historisches Ausmaß.
Ferrari hat zwischen 1949 und 1965 insgesamt neunmal die legendären 24 Stunden von Le Mans gewonnen. Hinter Porsche (19 Siege) und Audi (13 Siege) befinden sich die Italiener damit auf Platz drei in der ewigen Rangliste beim großen Klassiker an der französischen Sarthe. Ferraris große Epoche in Le Mans liegt aber nun schon rund 50 Jahre zurück. Letztmals hatte der Hersteller aus Maranello 1973 werksseitig in der Gesamtsieg-Klasse in Le Mans teilgenommen. Arturo Merzario stellte den offenen Ferrari 312PB damals sogar auf die Pole-Position. Seinerzeit entschied Ferrari intern jedoch, dass Werkssport zukünftig nur noch in der Formel 1 stattfinden soll.
Es dauerte bis 1994, bis es wieder einen Ferrari in der großen Prototypen-Klasse (damals WSC – World Sportscar genannt) gab. Der Ferrari 333 SP genannte Bolide war jedoch auf Initiative von MOMO-Boss Giampiero Moretti entwickelt worden und auf Kundenmotorsport ausgelegt. Das Fahrzeug wurde bei Dallara und später bei Michelotto gebaut. Es konnten zwar Siege in vielen der damals bestehenden Prototypen-Serien errungen werden, jedoch blieben große Erfolge in Le Mans erwartungsgemäß aus. Denn beim 24h Klassiker gab es mit den großen Werksengagements einfach zu überlegene Konkurrenz, gegen welche die privaten 333 SP einfach nicht bestehen konnten.
Das soll sich ab 2023 nun ändern. Ferrari will wieder um die so prestigeträchtige Krone auf der Langstrecke mitkämpfen. Das Hypercar-Engagement ist aus der Feder von Antonello Coletta (Head of Ferrari Attività Sportive GT) entstanden, der beispielsweise auch den Ferrari-Einsatz in der GTE-Klasse überblickt.
Ein großer Grund für die Rückkehr in den Prototypen-Sport waren bei Ferrari sicherlich auch die Kosten. Es heißt, dass ein Prototypen-Programm nun zu ähnlichen Preisen gestemmt werden kann, wie ein Programm in der GTE – nur eben, dass man dann um die glanzvollen Gesamtsiege fightet und nicht mehr nur um Klassensiege. In Bezug auf die Kosten spielte es wohl auch eine Rolle, dass in der Formel 1 der Budget-Deckel eingeführt wurde und somit bei Ferrari einige Ressourcen frei wurden. Da macht die Entwicklung eines Rennprototypen also gleich doppelt Sinn.
In der Hypercar-Klasse der FIA WEC werden zukünftig die LMH gemeinsam mit den neuen LMDh-Boliden um die Wette fahren. Ferrari hat sich für ein LMH entschieden und geht somit denselben Weg wie Toyota, Peugeot und Glickenhaus. Acura, Audi und Porsche setzen hingegen auf das LMDh-Pferd.
Beim (kostengünstigen) LMDh müssen die Hersteller aber ihren Rennwagen über eines der vier möglichen LMP2-Chassis (Dallara, Ligier, Multimatic oder Oreca) stülpen. Das kam für die stolzen Italiener jedoch nicht in Frage, denn ein wahrhafter Ferrari basiert nicht auf einem Produkt von der Stange. Diese Entscheidung zeigt zudem auch, wie ernst es Ferrari mit dem neuen Prototypen-Engagement ist und unterscheidet das Projekt auch vom 333 SP aus den 1990er Jahren.
Mit Toyota, Peugeot, Audi, Porsche und Ferrari ist die Sportwagen-WM nun wieder bestens aufgestellt, um zu altem Ruhm zurückzukehren. Epische Rennschlachten stehen zu erwarten. Dies aber nur, falls die Balance of Performance (BoP) der einzelnen Fahrzeuge nicht zum Rohrkrepierer wird. Hier liegt jedoch gleich auch schon eine große Gefahr begründet. Denn je mehr Hersteller involviert sind, desto mehr Politik wird in die BoP mit einfließen. Diesbezüglich bleibt zu hoffen, dass die Regelhüter eine ruhige Hand behalten und zu ihrer Neutralität stehen.
Sollte dies gewährleistet sein, so könnte sich die WEC fest als zweite Kraft im Vierrad-Motorsport etablieren. Bliebe es dabei, dass sich Le Mans terminlich nicht mit der Formel 1 überschneidet, so könnten auch aktive Piloten aus der Königsklasse wieder beim großen Langstrecken-Klassiker mitfahren. Dies gab es in der Vergangenheit schon öfters und würde die herausragende Stellung von Le Mans noch weiter untermauern.
Mit dem Schritt von Ferrari hin zu den Prototypen wird es aber auch für die GTE-Klasse immer schwärzer. In der IMSA wird die dort GTLM genannte Kategorie ab 2022 eingestampft. In der WEC hat Aston Martin sein Werksengagement für 2021 bereits abgeblasen. Neben Ferrari und Porsche (die beide nun zu den Prototypen gehen) ist nur noch Corvette als GTE-Hersteller vertreten. Zwar ist noch nichts offiziell verkündet, doch ein Ende der GTE-Klasse wird immer wahrscheinlicher. Das könnte dann die GT3-Kategorie als Nachfolger auf die Le Mans-Bühne bringen. In der GT3 sind derzeit satte 13 Marken aktiv. Somit wäre weitere Markenvielfalt beim Klassiker in Westfrankreich garantiert.
Aber das ist aktuell noch Zukunftsmusik. Fakt ist: Die Prototypen-Rückkehr von Ferrari ist eine der größten Meilensteine im Sportwagen-Sport und wird Signalcharakter haben. Womöglich steigen genau deswegen auch weitere Hersteller in die Szene ein. (Ein potentieller Sieg gegen Ferrari hat immer eine besondere Stellung.) Der Sportwagen-Motorsport als Ganzes wird also wieder aufblühen. Insbesondere nach den letzten beiden sehr mageren Jahren ist das eine vielversprechende Aussicht.