Kristensen: Die Nacht ist ein fantastisches Erlebnis

Tom Kristensen
Neun Mal (Rekord-)Gesamtsieger in Le Mans, sechs Mal in Sebring, Langstrecken-Weltmeister: Tom Kristensen ist wohl der erfolgreichste Endurance-Pilot aller Zeiten. Der nun 57-Jährige ist mehrfacher Markenbotschafter und der Szene weiter eng verbunden. Im Gespräch mit SPEEDWEEK.com erklärt er, warum ihn speziell Le Mans immer faszinierte und es weiter tut.
Tom, wie erklärst Du den Mythos Le Mans vor der 93. Auflage?
Tom Kristensen: «Die 24 Stunden von Le Mans finden nur einmal im Jahr statt, und im Prinzip arbeitest du ein Jahr darauf hin. Das hat eine spezielle Wirkung auf jeden Fahrer und jedes Team, weil du vorher bis auf den Testtag keine Möglichkeit hast, dort zu fahren.»
Wie hat sich der Klassiker im Lauf der Jahre verändert?
«Der Mythos war früher sogar noch größer, weil du vor dem Rennen keine Möglichkeit hattest, dort zu testen. Jetzt wird es jungen Fahrern mit der ‚Road to Le Mans‘ als Nachwuchsserie leichter gemacht. Dennoch ist Le Mans weiter einzigartig. Ein Sieg ist wegen der Tradition und des Stellenwerts des Rennens etwas ganz Besonderes. Die Strecke mit 13,6 Kilometern ist einzigartig. Und dann noch die Nacht und das Fahren unter allen Witterungsbedingungen!»
Apropos Nacht – eine spezielle Herausforderung…
«Die Geschwindigkeit, die Nacht und die wechselnden Verhältnisse machen Le Mans einzigartig. Die Nacht ist ein fantastisches Erlebnis, vor allem, wenn das Rennen für dich gut läuft. Du fühlst dich stark, hast Vertrauen. Natürlich, wenn du Probleme hast, kann die Nacht kritisch werden. Früher gab es kein Flutlicht, du warst allein von deinen Scheinwerfern abhängig. Jetzt ist vieles erhellt, was gut für die Zuschauer an der Strecke und im TV ist. Ich mochte wirklich die alten Zeiten, als außer der Start-Ziel-Geraden hinauf zum Dunlop-Bogen nichts beleuchtet war. Die Nacht ist die beste Zeit um zu sehen, welche Fahrer wirklich talentiert sind. Du kannst viel in der Nacht gewinnen, aber auch verlieren.»
Ist Le Mans gefährlich?
«Die Strecke wurde wie viele moderne Rennstrecken verbessert. Es wurde viel Geld investiert in Armco-Barrieren, mehr Auslaufzonen usw. Ich würde fast sagen, dass zu viel verändert wurde. Wenn ich die modernen F1-Strecken anschaue, muss ich sagen, ich bin kein Fan davon.»
Würdest einen Erfolg als Dein bestes Rennen bezeichnen?
«Ich würde kein spezielles Rennen nennen. Aber ich schätze mich glücklich, in verschiedenen Serien gewonnen zu haben. Den Formel-3-Weltcup in Fuji, Oulton Park in der britischen Tourenwagen-Meisterschaft, als sie wirklich stark war, in der DTM. Die Siege in Sebring und Le Mans sind sicher am bedeutendsten. Ich glaube, ich habe die meisten schnellsten Rennrunden in Sebring überhaupt.»
Ein Schlüssel zum Erfolg ist sicher Teamwork…
«Das gelingt nur durch eine spezielle Atmosphäre, in der jeder auf sein persönliches Ego verzichtet. Du musst in der Garage eine Stimmung erzeugen, dass das Team am wichtigsten ist und jeder persönliche Bedürfnisse hintanstellt. Das betrifft nicht nur die Fahrer, sondern alle Teammitglieder. Du musst für rasche Entscheidungen bereit sein.»
Welche Gründe gibt es für den aktuellen Boom des WEC und sowohl der Hypercar- als auch der GT3-Klasse?
«Le Mans ist der Hauptgrund für den Aufschwung des WEC, denn jeder will dort antreten und gewinnen. Und die Kooperation zwischen der amerikanischen IMSA und der WM bzw. Le Mans ist ein weiterer Schub für die Popularität bei den Herstellern. Mit dem BoP (Balance of Performance, Anm.) wird für größtmögliche Chancengleichheit gesorgt. In wenigen Jahren werden wir bis zu elf Hersteller in der Hypercar-Klasse haben. Dennoch: Zum Erfolg gehört auch ein Team mit Herzbluten für den Langstreckensport.»
Der junge Peugeot-Werkfahrer Malthe Jakobsen nannte Dich kürzlich als sein großes Vorbild, was wahrscheinlich auch für einige andere Landsleute gilt. In Le Mans sind heuer in den drei Klassen zehn Dänen genannt, nachdem Kevin Magnussen von der Formel 1 auf die Langstrecke wechselte. Warum sind Deine Landsleute hier so stark?
«Ich denke, weil sie in den Teams sehr anerkannt sind für ihre Leistungen und ihr Engagement. Sie sind alle Teamplayers. Ich bin stolz auf sie alle. Zum Beispiel Nicklas Nielsen, der war der Schlüssel für Ferraris Le-Mans-Sieg 2024. Er und die meisten anderen waren von Beginn an auf Langstreckenrennen fokussiert. Und bei den Iron Dames macht Michelle Gatting wie ihre Kolleginnen einen tollen Job. Wenn du ihnen zuschaust, siehst du ein verdammt schnelles Rennauto, aber nicht, ob Mann oder Frau drinnen sitzt. Klar gibt es physische und mentale Aspekte, aber darum kümmere ich mich nicht, wenn das Auto schnell bewegt wird.»