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Erinnerungen an Mike Hawthorn: Politisch unkorrekt

Kolumne von Mathias Brunner
​John Michael Hawthorn wurde 1958 als erster britischer Rennfahrer Formel-1-Weltmeister, ein Draufgänger und Weiberheld, politisch höchst unkorrekt. Am 10. April wäre er 91 Jahre alt geworden.

John Michael «Mike» Hawthorn war kein Rennfahrer wie jeder andere. Viele Zeitgenossen fanden ihn kühl bis kaltherzig, selbst in seiner Heimat war Hawthorn umstritten. Die Leute warfen ihm vor, sich vor dem Militärdienst gedrückt zu haben. Er fuhr so wie er lebte: immer am Limit, politisch höchst unkorrekt. Er war der erste britische Grand-Prix-Sieger nach dem Zweiten Weltkrieg und 1958 der erste Formel-1-Weltmeister aus Grossbritannien, schon zu diesem Zeitpunkt todkrank, die Nieren.

Der am 10. April in Mexborough (Yorkshire) geborene Sohn eines Automechanikers trug den Makel mit sich, Auslöser der grössten Renntragödie gewesen zu sein, des fürchterlichen Unfalls von Le Mans 1955. Es wurde ihm angelastet, überraschend zum Nachtanken abgebogen zu sein, der dahinterfahrende Lance Macklin konnte nicht ausweichen, Pierre Levegh fuhr aufs Heck von Macklins Austin auf, Leveghs Mercedes stürzte in die Zuschauer und riss 83 Menschen in den Tod. Ausgerechnet Unfallauslöser Hawthorn gewann die 24 Stunden von Le Mans. Es förderte die Sympathie für Hawthorn nicht, dass er sich in einer Biographie gefühllos über die Opfer äusserte.

Mike Hawthorn war der Mann mit der grünen Weste und der Fliege, das war seine Arbeitskleidung hinterm Rennlenker. Die Franzosen nannten ihn deswegen «papillon», Schmetterling. Er war dafür bekannt, jenseits aller Risiken zu fahren. Vielleicht deshalb, weil er wusste, dass er ohnehin nicht alt werden würde. Aber Hawthorn hatte auch eine andere Seite, er konnte Herz und Seele einer Party sein, für jeden Schabernack zu haben.

Mein 2014 verstorbener Freund Eoin Young, Buch-Autor und Wegbegleiter des Teamgründers Bruce McLaren, hat mir erzählt: «In Reims gab es ein Lokal, in dem sich jeweils alle trafen, das war Brigitte’s Bar. Nach Mike Hawthorns Sieg von 1958 standen wir dort herum und beäugten die hübschen Französinnen. Auftritt von Mike! Als erstes schnappte sich Mike seinen Kumpel Peter Collins. Das Objekt ihres Schalks war die Skulptur irgendeines Adeligen, die im Garten stand. Sie stellten sie mitten auf die Tanzfläche, schminkten sie und klemmten ihr eine Kippe zwischen die Marmorlippen. Sie fanden dann aber doch, dass noch etwas fehlte, also musste John Cooper Hosen und Jackett hergeben, um die Büste ordentlich zu kleiden. John selber hatte kein Problem damit und nahm seinen Zustand in Unterhosen und Socken zum Anlass, spontan einen russischen Volkstanz zu zeigen.»

Rennstallgründer und Formel-1-Fahrer Bruce McLaren erzählte Young später dazu: «Aber das war alles nur der Anfang. Mike fand nun, ein gewaltiger Blumentopf würde gewiss ein lustiges Spielzeug darstellen. Bedauerlichweise kippte der Kübel um, als Mike versuchte, ihn ins Zentrum unseres Schabernacks zu zerren. Es gab eine ziemliche Sauerei. Mike schnappte sich einen Besen und begann, mit schwungvollem Wisch die anderen Gäste am Erdreich teilhaben zu lassen. Es dauerte nur Sekunden, bis mehr als ein Dutzend Partygäste mit Erde um sich schmissen. Mike verschwand und kehrte mit einem Gartenschlauch zurück: „So, jetzt wird geputzt hier!“ Und dann hat er alle von Kopf bis Fuss eingewässert.»

Mike Hawthorns Freundschaft mit dem Ferrari-Stallgefährten Peter Collins war legendär. Sie waren Brüder im Geiste, unzertrennlich, sie paktierten auf der Rennstrecke und verbrachten die Freizeit zusammen, meist in aparter Begleitung, denn Hawthorn hatte ein scharfes Auge für schöne Frauen. Als Collins auf dem Nürburgring 1958 zu Tode stürzte, war Hawthorn am Boden zerstört.

Mike Hawthorn eroberte den WM-Titel 1958 mit nur einem Sieg, aber fünf zweiten Rängen. Der zweite Platz in Marokko am 19. Oktober 1958 sicherte ihm den Titel. Stirling Moss ging um einen Punkt leer aus, eine Mischung aus Missverständnis und Fairness. Bei WM-Lauf in Porto wollten die Rennkommissare Hawthorn aus der Wertung nehmen, weil er nach einem Dreher entgegen der Fahrtrichtung gefahren war. Moss machte sich für Mike stark. Es ist stark zu bezweifeln, ob das umgekehrt auch so gewesen wäre. In Marokko verpasste es Moss, die schnellste Rennrunde zu fahren, weil er die Boxensignale falsch interpretierte. So oder so: Hawthorn war Champion und gab anlässlicher der Londoner Automobil-Show aus heiterem Himmel seinen Rücktritt bekannt.

Um den Tod des dreifachen GP-Sieger ranken sich Legenden. Mein Kollege Helmut Zwickl erinnert sich: «Er hatte es eilig an jenem 22. Januar, die Strasse war regennass. Wie der Zufall so spielte, lief er mit seinem Jaguar auf einen Mercedes 300SL auf, den Rob Walker chauffierte, der bekannte Rennstallbesitzer, für den Stirling Moss fuhr.»

«In der Kyalami-Ranch, während eines GP-Wochenendes in Südafrika, wohnte ich mit Rob Walker Tür an Tür in einem strohbedeckten Bungalow. Es war in einer schwülen, sternenklaren Nacht, als mir Rob mit einem Drink in der Hand am Lagerfeuer erzählte, was an diesem 22. Januar 1959 wirklich passiert ist.»

«Walker sagte: „Ich habe den Mercedes in den grossen Gang geschaltet, das geschah gewöhnlich nie unter 160 km/h. Ich war also nicht langsam, aber plötzlich schob sich ein Jaguar an mir vorbei. Ich realisierte sofort, dass Mike am Steuer sass, und er wusste, wen er überholt. Ich liess mich zwar nicht gerne überholen, aber er war der regierende Weltmeister. Und ich wusste auch, dass er deutsche Autos hasste, für ihn entflammte sofort ein Prestige-Duell, Jaguar gegen Mercedes. Als Mike in einer Kurve den Randstein berührte, dachte ich, er spielt bloss mit mir. Als der Jaguar aber nochmals einen Randstein berührte, wurde er in eine Drehung geschleudert. Sein Bug zeigte plötzlich gegen die Fahrtrichtung, mit aufheulendem Motor direkt auf mich. Auf der Gegenfahrbahn verfehlte er knapp einen Lkw, der Jaguar war ausser Kontrolle. Wie er eine Bushaltestelle abrasierte und an einem Baum zerschellte, konnte ich nicht mehr sehen. Das Auto wurde in zwei Hälften gespalten. Als ich das Wrack erreichte, lag Mike auf den Hintersitzen. Er war tot. Er starb nur zwölf Meilen entfernt von jener Stelle, wo sein Vater 1954 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war.“»

«Richtig mysteriös die Geschichte, die Rob Walker anhängte: „Tage vor dem Unfall hatte sich Mike von einem Mechaniker einen Seilzug am Lenkrad einbauen lassen, mit dem er von Hand das Gas betätigen konnte. Bei einer Untersuchung des Wracks, am Tag nach dem Unfall, war der ominöse Seilzug freilich nicht mehr an Bord. Er war entfernt worden. Möglicherweise hatte Mike mit dem Handgas gespielt, und der Seilzug war auf Vollgas hängen geblieben.“»

Die Untersuchungen ergaben: Mike Hawthorn war an schweren Kopfverletzungen verstorben. Die Obduktion zeigte – aufgrund seines Nierenleidens hätte er nur noch 18 Monate zu leben gehabt.

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