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Jochen «The Voice» Luck: Das Beste zum 95. Geburtstag

Von Günther Wiesinger
Hildegard und Jochen Luck

Hildegard und Jochen Luck

​Der unverwüstliche Jochen Luck musste 2019 auf Rennbesuche verzichten, das will er so bald wie möglich nachholen. Die Streckensprecher-Legende («The Voice») kommentierte Formel-1-Rennen schon 1957!

Während seiner Laufbahn als Streckensprecher war Jochen «The Voice» Luck jahrzehntelang auf allen deutschen Rennstrecken allgegenwärtig. 2018 erlebten wir Jochen Luck und seine Gattin Hildegard immer noch als treuen Motorrad-GP-Besucher. Doch in der Saison 2019 fehlte vom beliebten Ehepaar aus Kassel jede Spur. Gesundheitliche Gründe hielten die unzertrennlichen «Lucks» von Reisen nach Misano oder Brünn ab. «Nicht einmal zum Sachsenring sind wir gefahren», bedauert Jochen mit nachdenklicher Stimme, als ihn SPEEDWEEK.com gestern telefonisch erreicht.

Wie geht es dem legendären Streckensprecher heute? Jochen Luck freut sich hörbar über den Anruf. «Der Günther Wiesinger, na, das ist ja eine Überraschung.» Und wenn Jochen heute noch ein Mikrofon in der Hand hätte, würde er zur Begrüßung eines Österreichers noch rufen: «Habe d’Ehre.»

Denn er ließ es sich nicht nehmen, fast jeden Rennfahrer bei der Vorstellung auf dem Startplatz mit ein paar Sätzen in seiner jeweiligen Landessprache zu begrüßen, ob Finnisch, Japanisch oder Tschechisch.

Der Motorsport ist wegen der Coronakrise zum Stillstand gekommen, aber Jochen Luck schmiedet trotzdem Reisepläne. Er weiß, der Sachsenring-GP ist abgesagt. «Aber Brünn könnte stattfinden», hofft er.

Das unzertrennliche Paar Jochen und Hildegard Luck ist bis heute aus dem MotoGP-Fahrerlager nicht wegzudenken. Vor der Saison 2018 berichtete Jochen von umfangreichen Reiseplanungen. «Wir möchten in diesem Jahr nach Jerez, Mugello, Misano, Le Mans, Assen und zum Sachsenring kommen», kündigte der Hesse damals gegenüber SPEEDWEEK.com an. «Vielleicht fahren wir auch nach Brünn.»

Diese Rennbesuche wären nichts Besonderes, wäre Jochen Luck damals nicht bereits 92 Jahre alt gewesen.

Mindestens genauso bemerkenswert war die Tatsache, dass Luck auch in seinem fortgeschrittenen Alter noch im Privatauto von Kassel nach Mugello, Misano oder Le Mans fuhr.

«Im September 2017 sind wir am Donnerstag in einem Stück nach Misano gefahren, ohne Navi, die Richtung gab meine Frau Hildegard am Beifahrersitz vor», schilderte Jochen Luck.

2017 erschien das Ehepaar Luck entgegen seiner Gewohnheit nicht beim Jerez-GP. «Früher konnten wir von Paderborn günstig nach Jerez fliegen, das ist 80 km von unserer Wohnung weg. Doch diesen Flug gab es dann nicht mehr. Wir haben auch keinen Flug von Paderborn über Mallorca entdeckt, deshalb sind wir mit dem Auto nach Italien gefahren», schilderte Luck. «Von Frankfurt weg fliegen wir nicht gern, das ist zu weit weg von Kassel, das Parken ist sehr teuer. In Paderborn kann man gut parken, und es kostet es nur 2 Euro am Tag. Das geht ja.»

Der rüstige Jochen Luck hat nichts von seiner Redseligkeit verloren. «Im Vorjahr sind wir beide krank gewesen, deshalb haben wir auf einen GP-Besuch verzichten müssen», berichtet der Kasseler.

Gattin Hildegard schildert die Details. «Jochen hatte Wasser in der Lunge. Er musste drei, vier Tage ins Spital. Und ich bin in der Wohnung hingefallen und habe mir die Nase angeschlagen. Die Ursache wurde nicht herausgefunden. Wahrscheinlich gab es eine Durchblutungsstörung», vermute Jochen Lucks wesentlich bessere Hälfte.

Im Alter sind gesundheitliche Unpässlichkeiten keine Seltenheit, wie wir alle wissen. Schon im Frühjahr 2017 musste Meister Luck einen Boxenstopp einlegen. «Zuerst dachten die Ärzte, ich hätte einen Herzinfarkt erlitten. Aber es war nur ein Bluterguss im Gehirn», erzählt der rüstige Luck, der im Paddock alle Neuigkeiten mitverfolgt. Auch ein täglicher Spaziergang rund um die Strecke gehört bis heute zur Pflicht. «Nur in Katar war es uns bei 40 Grad zu heiß.»

Beim Misano-GP 2017 schilderte Jochen Luck, dass er immer noch von September bis März zweimal pro Woche am «Eislauf für Senioren» in der Kasseler Eissporthalle teilnahm. Aber das hat dann im folgenden Winter nicht mehr so richtig geklappt.

«Mensch, mein Seniorenlauf, zu dem ich früher immer hingegangen bin, fand plötzlich nur noch einmal pro Woche statt. Ich hab’s ein- oder zweimal probiert, doch es hat mir nicht mehr gefallen, weil ich so langsam geworden bin. Deshalb bin ich nicht mehr hingegangen», erzählt er schmunzelnd.

Zum 75. Geburtstag durfte Jochen Luck auf dem Nürburgring noch eine Aprilia-125-GP-Maschine (aus dem Team von Harald Eckl) von Peter Öttl und Tex Geissler (mit der Startnummer 75) testen. Jetzt berichtet er: «Meine BMW GS habe ich inzwischen verkauft. Mein Masseur hat mich gefragt, was ich dafür will. Ich habe den Betrag von 5000 Euro erwähnt. Mein Sohn, der als Zahnarzt tätig ist und schon drei andere Motorräder besaß, hat dann gesagt: ‚Diese Summe bezahl‘ ich dir auch.‘ Also habe ich ihm das Motorrad verkauft. So blieb das gute Stück in der Familie.»

Alle lieben Gewohnheiten hat Jochen Luck aber nicht aufgegeben. «Ich schau mir immer noch gerne Eishockeyspiele in Kassel an, das ist 2. Liga», sagt er am Telefon.

Das Interesse am Eishockey kommt nicht von ungefähr. Jochen Luck war in seinen Jugendjahren ein exzellenter Eishockeyspieler. Der Hesse brachte es während des Krieges 1941 sogar zu einem Einsatz bei einem A-Jugendländerspiel in Cortina d‘Ampezzo gegen Italien. Dazu gehörte er Ende der 1960er-Jahre zu den Mitbegründern des Kasseler Eishockeysports und bildete Mitte der 1970er zusammen mit dem späteren Fußballtrainer Willy Kurrat das älteste Eishockey-Verteidiger-Duo («Wir waren zusammen über 100 Jahre alt») in Deutschland.

Jochen Luck: Auch bei der Formel 1 eine Legende

Den jungen Motorsport-Fans ist Jochen Luck natürlich kein Begriff mehr. Kein Wunder. Es ist schon eine Weile her, dass er unter dem Künstlernamen «The Voice» in Deutschland als Streckensprecher legendär wurde.

Jochen «The Voice» Luck. Man muss schon ein langjähriger Motorsportfan sein, um mit diesem Namen noch etwas anfangen zu können.

Jochen hat als Streckensprecher 1957 sein erstes Formel-1-Rennen kommentiert. Das erste Sandbahnrennen hat er 1949 in Kassel als Streckensprecher begleitet. Die Statistik liest sich eindrucksvoll: Bei 22 Formel-1-GP auf dem Nürburgring und auf dem Hockenheimring hat Luck die Zuschauer als Streckensprecher informiert und unterhalten, die Begrüßungsformel für die Fahrer ging ihm in 16 unterschiedlichen Sprachen von der Hand.

Die klare, prägnante, feste Stimme war unverkennbar – und ist es bis heute. Auch wenn sie vielleicht ein bisschen brüchiger geworden ist.

Jochen Luck war vielseitig. Insgesamt hat er 32 Motorrad-GP in Deutschland kommentiert, dazu zehn Grand Prix in Assen/NL.

Er saß 19 Mal beim 1000-km-Sportwagenrennen auf dem Nürburgring vor dem Mikrofon. «Und meine Frau Hildegard hat 35 Jahre lang neben mir penibel die Rundenliste geführt», lobt Jochen Luck, Jahrgang 1925, seine bessere Hälfte. «Wir waren ein gutes Team.»

Noch im vorletzten Jahr kutschierte Jochen Luck mit seinem Renault Espace samt Gattin wie in jungen Tagen zu einigen Motorrad-GP in Europa. Er trägt dann gern ein T-Shirt von Marc VDS, Hildegard eines von Marc Márquez oder Sponsor Estrella Galicia 0,0.

«Bei meinem ersten Formel-1-Rennen 1957 hat Fangio seinen fünften WM-Titel gewonnen», erinnert sich der Jubilar, der den Argentinier sogar einmal besiegt hat – beim Kegeln. «Beim Nürburgring-Formel-1-GP hat immer ein Wettkegeln zwischen Journalisten und Rennfahrern stattgefunden», blickt der rüstige Senior zurück. «Ich konnte überhaupt nicht kegeln. Fangio hat alle Neune umgeworfen. Bei mir blieb ein Kegel stehen, ich hielt das für eine gute Leistung bei einem blutigen Anfänger. Dann hat mir jemand gesagt, das sei ein Kranz, ich hätte also gewonnen...»

Als Preis stand eine Schiffsreise oder ein Autoradio zur Auswahl. Doch Luck nahm sich lieber ein Bild von der Wand. «Denn wir haben uns damals gerade eine neue Wohnung eingerichtet. Pressechef Lucky Scheuer sagte: ‚Was willst du mit dieser Feldherrenhalle?’ Er hat nicht gewusst, dass die Notre Dame abgebildet war. Viele Jahre später habe ich erfahren, dass das Bild sehr wertvoll ist...»

Luck lebte in seiner Jugend vier Jahre in Prag, weil sein Vater dort berufstätig war. Dort spielte er mit 16 Jahren Eishockey – und brachte es 1941 bis in die Jugendnationalmannschaft. «Ich habe zehn Jahre Eishockey gespielt. Das hat mir zehn Jahre Russland im Krieg erspart», seufzt er mit Dankbarkeit in der Stimme.

Jochen Luck machte den Kommentatoren-Job in all den vielen Jahre immer nebenberuflich; er war in Kassel 27 Jahre Verkaufsleiter bei Mercedes-Lkw und nachher elf Jahre Verkaufsleiter bei MAN in Kassel.

Für unser Foto lief der markentreue Senior so lange durchs Fahrerlager, bis er einen hübschen MAN-Truck fand – vom Ducati-Werksteam. «MAN gehört ja inzwischen wie Audi und Ducati zum VW-Konzern», betonte Luck, der sich immer auf dem Laufenden hält und im GP-Sport immer noch gern das Gras wachsen hört.

Jahrelang hat er der Dorna günstige MAN-Deals für ihre Lkw besorgt, deshalb muss er sich nie Sorgen um seine permanenten Tickets machen.

Reich geworden ist Luck mit dem Streckensprecher-Job nicht. «Meistens habe ich fürs Wochenende 500 Mark ohne Spesen bekommen, beim Formel-1-GP 2000 Mark», rechnet er vor. «Manchmal ist nach der Steuer nicht viel übriggeblieben.»

Am Schluss des Gsprächs kündigte Jochen Luck gestern mit hörbarer Genugtuung an: «Am 23. September feiere ich meinen 95. Geburtstag.»

Dann ergänzte er: «Ich bin übrigens immer noch mit dem Auto unterwegs. Einkaufen fahren zum Edeka, das mach' ich immer noch.»

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