Formel 1: Günther Steiner rechnet ab

Max Mosley: Anwalt, Politiker, Teamchef, Visionär

Von Mathias Brunner
Max Mosley und Bernie Ecclestone

Max Mosley und Bernie Ecclestone

​Mit 81 Jahren hat der frühere FIA-Präsident Max Mosley für immer die Augen geschlossen. Er setzte sich hartnäckig für mehr Sicherheit ein und ahnte voraus, dass sich die Formel 1 selber kaputtmachen könnte.

Max Mosley hat in seinem Leben viele Rollen übernommen: Wortgewandter Anwalt, mit allen Wassern gewaschener Politiker, Teamchef eines Rennstalls, der aus dem Nichts kam und in der ersten Saison gleich Formel-1-Rennen gewann, und letztlich Visionär, der vorhersah, dass sich die Königsklasse selber kaputtmacht, wenn gegen die Kostenexplosion nicht endlich etwas unternommen wird.

Bis zuletzt hatte der an Krebs erkrankte Max Mosley an einer Filmdokumentation mitgearbeitet, die den schlichten Namen «Mosley» trägt. Sie sollte sein Leben zeigen, «mit all meinen Fehlern und Schwächen», wie der Engländer 2020 sagte. Eigentlich hätte die Doku noch 2020 gezeigt werden sollen, aber die Produktion geriet wegen der Corona-Pandemie ins Stocken.

Mosley erzählte: «Eigentlich hätte sich alles um die tödlichen Unfälle von Ayrton Senna und Roland Ratzenberger 1994 drehen sollen, und wie diese zu einer Revolution bei der Sicherheit von Formel-1-Fahrzeugen geführt haben. Doch es wurde immer mehr zu einer Geschichte über mich.»

Nach seiner langen Karriere im Sport behielt Mosley ein scharfes Auge auf die Formel 1 und eine scharfe Zunge obendrein. 2017 wurde sein langjähriger Wegbegleiter Bernie Ecclestone entmachtet, das Sagen in der Formel 1 hatten nun die Angestellten des Medienunternehmens Liberty Media. Mosley warnte: «Wenn etwas nicht kaputt ist, sollte man es auch nicht reparieren.»

«Ist der Superbowl so gut?»

Der damalige Formel-1-CEO Chase Carey hatte gesagt, er wolle jedes GP-Wochenende zu einem Spektakel machen, «im Superbowl-Stil». Mosley spottete: «Ist der Superbowl denn wirklich so gut? Ich will nicht unhöflich sein, aber die Amerikaner glauben immer, dass sie alles besser als alle anderen machen können. Und damit liegen sie nicht immer richtig, wie viele Beispiele aus der jüngsten Geschichte zeigen.»

Mosley wird sich darüber gefreut haben, dass sein Nachfolger als FIA-Chef Jean Todt in Zusammenarbeit mit Formel-1-Sportchef Ross Brawn und den Rennställen etwas auf die Beine gestellt haben, was Mosley selber immer angestrebt hatte – die Einführung eines Kostendeckels.

Mosley predigte jahrelang: «Die Formel 1 ist viel zu teuer. Die Kosten müssen runter. Sonst werden die kleineren Rennställe mittelfristig keine Chance mehr haben, ihre Einsätze finanzieren zu können.»

Ein kritischer Punkt wurde erreicht, als die Formel 1 Ende 2013 von preiswerten und bewährten Saugmotoren umstellte auf Turbohybrid-Antrieb mit Mehrfach-Energierückgewinnung. Mosley störten gleich zwei Punkte: Erstens, dass die Autohersteller so lange Druck gemacht hatten, dass diese neue Motorgeneration überhaupt eingeführt wurde, uns zweitens, das diese so genannten Antriebseinheiten viel zu teuer waren.

Teams vor dem Ruin

Die Teams mussten bis zu 23 Millionen Euro pro Jahr Leasing-Gebühren zahlen, das brach den kleinen Teams Caterham und Marussia das Genick, Traditionsrennställe wie Williams und Sauber balancierten am finanziellen Abgrund und konnten wie auch Force India (heute Aston Martin) nur knapp vor dem Ruin gerettet werden.

Es gehörte zu den zahlreichen Spar-Vorschlägen von Max Mosley, die Anzahl Motoren pro Fahrer und Saison zu beschränken. «Natürlich werden die Techniker der Motorhersteller sofort sagen, das sei unmöglich und wäre eine Katastrophe. Aber in der Historie der Formel 1 sind solche Vorhersagen nie eingetroffen.»

Heute stehen wir bei drei Motoren pro Jahr, und natürlich haben die Hersteller die Triebwerke dafür standfest genug gemacht.

Mosley waren auch die zu hohen Geschwindigkeiten immer ein Dorn im Auge. Er fand es unsinnig, die Rennstrecken umzubauen. «Wir müssen vielmehr die Rennwagen langsamer machen.» Mosley scheute sich nicht vor unpopulären Entscheidungen, um seine Pläne durchzupauken. So führte er 1998 Trockenreifen mit Längsrillen ein. Die mochte niemand, aber sie erreichten ihr Ziel – die Kurven-Tempi sanken.

Als in der Formel 1 zur Saison 2017 hin breitere Reifen eingeführt wurden, kritisierte Mosley: «Ich persönlich finde das schade, denn dies ist ein Schritt in die falsche Richtung ist. Ich hätte lieber der Aerodynamik weniger Gewicht beigemessen. Ich finde es grundsätzlich fragwürdig, dass die Autos absichtlich schneller gemacht werden. Denn in den letzten 40 bis 50 Jahren zielten alle Regeländerungen darauf ab, die Autos langsamer oder sicherer zu machen – mehr Tempo bedeutet immer auch mehr Gefahr.»

Max Mosley hat immer polarisiert. Gefürchtet oder geachtet wegen seiner Intelligenz, seiner Schlagfertigkeit, seiner Überzeugungskraft. Der gelernte Jurist hat zusammen mit Bernie Ecclestone die Formel 1 zu einem Milliardengeschäft geformt. Ab 1991 regierte diese geniale Seilschaft sogar ganz offiziell – als Präsident und Vize-Präsident des Autosport-Weltverbands FIA.

Triumphe und Enttäuschungen

Kurz nach dem 75. Geburtstag enthüllte Mosley zahlreiche Geschichten aus seinem Leben. Das Buch «Max Mosley – The Autobiography, Formel 1 und darüber hinaus» ist bis heute überaus lesenswert. Mosley hatte sich in seiner Zeit als Teamchef und Spitzenfunktionär fast vierzig Jahre lang auch viele Feinde gemacht. Mosley ging nie einem Konflikt aus dem Weg, also war mit einer gnadenlosen Abrechnung zu rechnen.

Max Mosley sprach im Buch ausführlich über die Enttäuschung, von Bernie Ecclestone fallengelassen zu werden, als Folge des Skandals um ein Video aus Mosleys Privatleben: «Ich war schon überrascht, dass Bernie nach 40 Jahren Freundschaft plötzlich jen Seite unterstützte, die mich loshaben wollte. Ich konnte mir das nur so erklären: Nachdem er einen Grossteil der Anteile verkauft hatte, stand er unter großem Druck von deren Vorständen.»

Mosley erzählte vom angeblichen Rachefeldzug gegen den langjährigen McLaren-Chef Ron Dennis: «Viele Leute glaubten, dass ich Ron nicht mag. Das ist falsch. Er konnte bei Meetings sehr anstrengend sein, und ich war auch oft nicht seiner Meinung, aber nur deshalb, weil er das verteidigt hat, was er als die Interessen seiner Firma betrachtete. Im Gegensatz zu vielen anderen Teamchefs hat er seine Meinung immer offen ausgesprochen. Nur ein Dummkopf würde seine Leistungen verkennen. Der einzige dunkle Punkt war in meinen Augen, dass er sich erlaubte, im Namen seiner Firma wiederholt zu lügen, so wie bei der Spionage-Affäre 2007.»

Amateure in der Formel 1

Mosley erlaubte einen verblüffenden Blick hinter die Kulissen. Aus heutiger Sicht ist es erstaunlich, wie amateurhaft die Königsklasse in den 1970er Jahren geführt wurde. Wie sein Rennstall March 1969 mit dem heute lächerlichen Startkapital von 10.000 Pfund gegründet wurde, das entspricht heute ungefähr 150.000 Euro.

Man muss sich das heute mal vorstellen: Ein Team, das 1969 ein Formel-3-Auto gebaut hatte, verkündete für 1970 das folgende Programm – Autos in der Formel 1, der Formel 2, der Formel 3, der Formel Ford und in der CanAm-Serie. Abgesehen vom Bau von Kundenfahrzeugen gab es Werks-Teams in allen Einsitzerserien.

Das klang nach Grössenwahn in einer neuen Dimension, aber March baute nicht nur March 701-GP-Renner für die Stars Jackie Stewart, Mario Andretti, Jo Siffert und Chris Amon, sie errangen an den ersten vier Rennwochenenden auch drei Pole-Positions und drei Siege!

Mosley erzählte, wie er sich seinen Anteil am Firmenkapital von seiner Mutter borgen musste und wie nahe March im ersten Firmenjahr dem Punkt kam, gleich wieder zusperren zu müssen. «Wenn Ford-Sportchef Walter Haynes nicht darauf bestanden hätte, dass Ken Tyrrell für das March-Chassis 9000 Pfund bezahlt, und nicht 6000, wie wir budgetiert und offeriert hatten, dann wären wir innerhalb von zwölf Monaten pleite gewesen.»

Der alles entscheidende Poker

Max Mosley erzählte auch vom Machtkampf zwischen FOCA (der «Formula One Constructors Association») und der FISA («Fédération Internationale du Sport Automobile»), die Anfang der 1980er Jahre fast zum Kollaps der Formel 1 geführt hätte.

Bernie Ecclestone hatte durch sein Verhandlungsgeschick das Einkommen der Teams verzehnfacht. Die FISA hatte die Hersteller auf ihrer Seite (welche ganz auf Turbomotor-Technik setzte), dazu einer Reihe von GP-Organisatoren, denen ein Dorn im Auge war, dass Ecclestone mehr und mehr Antrittsgeld verlangte.

FISA-Chef Jean-Marie Balestre wollte die so genannten Schürzen der Flügelautos verbannen, um den Abtrieb der Autos zu verringern. Die privaten Rennställe jedoch sahen die Aerodynamik als ihre einzige Waffe gegen die übermächtige Power der Turbomotoren.

Im folgenden Machtpoker setzten Bernie Ecclestone und Max Mosley ein Rennen in Südafrika an, als sei alles in bester Ordnung. Dabei hätte gemäss FISA der Saisonbeginn in Argentinien stattfinden sollen. Es kam zu einem weiteren Krisengipfel, und Balestre knickte ein.

Das Ergebnis der Verhandlungen an der Place de la Concorde war das erste Concorde-Abkommen, ein umfangreiches Dokument, welches alle sportlichen und wirtschaftlichen Verflechtungen von Formel-1-Leitung, FIA und Rennställen regelt.

Auch die Formel-1-Verfassung gehört zum reichen Erbe von Max Mosley.

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