Formel 1: Günther Steiner rechnet ab

Mit Video – Technik: Wo Teams glänzen und schwächeln

Von Mathias Brunner
Rundgang durchs Formel-1-Feld in Jerez: Mit welchen Technik-Tricks einige Rennställe glänzen, wo am meisten Entwicklungspotenzial schlummert, wer schon jetzt im Rückstand ist.

Nur zwei Rennställe sind (noch) nicht in Jerez: Marussia und Lotus. Der neue Marussia-Renner soll heute Donnerstag erstmals auf die Jerez-Bahn gehen. Vom Lotus wurden zwar bereits Bilder gezeigt, das Auto selber jedoch wird erst beim zweiten Wintertest in Bahrain (ab 19. Februar) zu bestaunen sein – samt der aufregenden Klauennase.

Ein hoher FIA-Offizieller in Jerez: «Die neue Technik ist wahnsinnig faszinierend. Bedauerlich nur, dass wir das meiste davon nicht zu sehen bekommen, weil es unter den Verkleidungen steckt.» Doch auch so sind nach zwei Tagen erste Trends zu erkennen.

Fahrzeugnasen: Wie schnell ist hässlich?

Am meisten zu reden geben bei Fans und Fachleuten gleichermassen die Fahrzeugnasen. Formel-1-Technikexperte Gary Anderson sagt: «Red Bull Racing und Mercedes haben bewiesen, dass man durchaus nicht zu einer hässlichen Lösung gezwungen ist, was die Form der Nase angeht. Beim Ferrari-Staubsauger gehen die Meinungen auseinander. Grundsätzlich richtet sich jedes Team nach dem Potenzial. Die Optik ist den Rennställen herzlich egal. Aber ich bin schon beeindruckt davon, wie hübsch Weltmeister Red Bull Racing das gelöst hat.»

Tatsächlich ist der bei RBR «Kiel» genannte, vorgelagerte Knubbel als Luftleiter ausgelegt, hinter dem sich die Strömung wieder vereinen kann. Jedes Team will so viel Luft als möglich unters Auto bringen (daher sind bei einigen die hohen Fahrzeugnasen geblieben), um dem Reglement Genüge zu tun, dass die Nasenspitze 18,5 cm über Boden angeordnet sein muss, erwächst dann vielen Rennern eine unansehnlicher Fortsatz – Ameisenbär, Tapir, Delfin, Penis, Sie wissen schon. Wer die komplette Fahrzeugnase herunterzieht, läuft Gefahr, dass die Luftströmung vorwiegend übers Auto zieht statt dem Boden entlang zu fliessen. Das kostet Abtrieb.

Es geht aber auch anders. Die Nasen von Mercedes, die von vorne betrachtet an ein stehendes Hufeisen erinnert, oder von Ferrari, die auch Weltmeister Sebastian Vettel «an eine Staubsaugerdüse erinnert», sie beide zeigen, dass es auch anders geht. Nochmals unser FIA-Informant: «Die Rennställe müssen da offen bleiben. Geforscht wird derzeit in alle Richtungen. Ein Team mit Ameisenbär-Nase erforscht im Windkanal die Klauenlösung von Lotus und die Variante von Mercedes, umgekehrt guckt sich Ferrari bestimmt auch die Lösung von McLaren an.»

Das Knifflige und Clevere der Mercedes-Lösung: Viel Luft unters Auto (was die Anströmung des Diffusors am Heck verbessert), aber eine filigrane Verbindung zwischen Nase und Frontflügel. Der Frontflügelbruch am ersten Testtag zeigt: die Silberpfeile operieren am Limit. Optimal, wie die Nasenstelzen sowie die unteren Querlenker der Vorderradaufhängung als Luftleiter ausgelegt sind, das Gleiche gilt auch für die Position der TV-Kameras auf der Nase.

Auf der Suche nach Abtrieb

Auch am Heck gibt es für die Rennwagenbauer viel Arbeit. Der von Auspuffgasen angeströmte Diffusor (das aufsteigende Ende des Unterbodens) ist passé, die Gase münden neu in einem zentralen Rohr ins Freie, so weit oben in der Motorabdeckung angeordnet, dass es unmöglich geworden ist, ihn für den Diffusor zu nutzen. Zudem ist der so genannte «beam wing» verboten worden, ein Zusatzflügel, der über dem Getriebe angeordnet war.

Daher sind die Aerodynamiker bestrebt, den verlorenen Abtrieb am Heck wettzumachen. McLaren beispielsweise hat die Querlenker der hinteren Radaufhängung als Luftleiter und Abtriebserzeuger ausgelegt – ein Weg, den andere ebenfalls gehen werden. Viele Rennställe (wie beispielsweise Williams) arbeiten auch mit einem mittig unterm Heckflügel angeordneten Zusatzflügel, dem so genannten «monkey seat» (Affensitz). Dieser Flügel ist grösser geworden.

Um einen möglichst sauberen Luftfluss zu haben, haben sich die Techniker von Toro Rosso für eine Heckflügelhalterung entschieden, die über die Endplatten verläuft, direkt aus dem Unterboden herauswachsend. Es gibt also keine zentrale Stütze. Das ist in Sachen Statik nicht einfach zu lösen.

Die meisten Teams experimentieren mit knapp überm Boden angebrachten Flügel-Elementen am Heck (die gemäss Reglement 75 mm über Boden liegen müssen). Und mit kunstvoll beflügelten Belüftungen der hinteren Bremse.

Heisses Thema Kühlung

Ein anderes grosses Thema ist die Kühlung. Die neue Antriebseinheit aus V6-Turbomotor und Mehrfach-Energierückgewinnung hat völlig andere Kühlerfordernisse als ein V8-Saugmotor. Die meisten Teams haben bei der ersten Version ihrer Fahrzeuge eher konservativ gearbeitet – in Sachen Lufteinlässe der Seitenkästen, Luftauslässe am Heck oder Schlankheit der Heckverkleidung. Hier schlummert viel Raum für Verbesserungen. Bei den Teams geht jedoch die Angst um, zu mutig zu sein. Was möglich ist, zeigt Williams – kein Heck ist so gut verkleidet, kein Seitenkasten so tailliert. Der Techniker eines gegnerischen Rennstalls ist skeptisch: «Das mag hier bei moderaten Temperaturen in Spanien funktionieren, aber was ist in Bahrain oder in Malaysia?»

Die Teams müssen für die verschiedenen Elemente der Antriebseinheit bis zu acht Kühler ins Auto einbetten, Kühlluft wird nicht nur über die Seitenkästen geschöpft, sondern auch im Bereich der Airbox – entweder durch (von vorne gut zu sehen) geteilte Lufteinlässe in der Box oder durch zwei Einlässe.

Fazit unseres Technikers: «Durch den markanten Wechsel im Reglement ist viel Spielraum entstanden. Alle versuchen in den kommenden Wochen und Monaten, sich der Optimallösung anzunähern. Dabei führen durchaus verschiedene Wege zum Ziel. Die grössten Fortschritte lassen sich bei der Frontflügelentwicklung erreichen, bei der Suche nach mehr Abtrieb im Heck sowie bei der Kühlung. Beim Frontflügel wird die Form der Endplatten noch wichtiger, weil der schmalere Flügel unmittelbar vor dem Rad steht. Es ist daher schwieriger, den Luftstrom ideal ums Vorderrad herum zu führen. Am Heck werden wir jede Menge Zusatzflügel entdecken. Im Laufe der Zeit werden wir sichtbar schlankere Verkleidungen sehen – wenn die Teams den Kühlbedarf ihrer Systeme besser in den Griff bekommen.»

«Woran alle Teams ebenfalls arbeiten, wir aber nicht sehen: das Gewicht zu senken. Alle sind in Sachen Gewicht am Limit. Unters Limit zu kommen, das bedeutet, dass wieder mehr mit Ballast gearbeitet werden kann, der dann am Wagenboden platziert wird. Damit können die Fahrzeugbalance optimiert und der Schwerpunkt nach unten gebracht werden.»

«Was wir auch nicht zu sehen bekommen: wie die drei Motorenhersteller ihre Antriebseinheiten verbessern. Auch da ist zu Beginn der neuen Turbo-Ära reichlich Raum für Verbesserungen.»

Und wer ist nun in echten Schwierigkeiten?

Toro-Rosso-Technikchef James Key: «Bei allen Rennställen liegt der gleiche Fahrplan vor – hier in Jerez must du die mechanische Seite in den Griff bekommen. Auf allfällige Probleme must du dann in der Pause vor dem ersten Bahrain-Test reagieren. Zwischen dem ersten und zweiten Bahrain-Test ist einfach zu wenig Zeit, um Grundlegendes auf die Reihe zu bekommen. Dort musst du anfangen, Rundenzeit zu finden und die Melbourne-Version zu definieren. Anders gesagt: Wer bis zum Ende dieses Jerez-Tests die mechanische Seite nicht im Griff hat oder zu wenig zum Fahren gekommen ist, der bekommt ein Problem.»

Nach dem zweiten Tag müssen wir festhalten: Alle Renault-Teams sind Sorgenkinder, weil sie aufgrund der Probleme mit den Batterien kaum zum Fahren gekommen sind. Sebastian Vettel musste mit einer Bilanz von nur elf Runden aus Jerez abreisen. Das lässt sich in Bahrain wettmachen, ganz besonders dann, wenn ab morgen Daniel Ricciardo häufiger zum Fahren kommt. Dennoch bringt jede zusätzliche Runde ein Plus an Erfahrung. Insofern schmerzt jede Runde, die verloren wird.

Wie die neuen F1-Renner klingen, sehen Sie in diesem Video:

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