Martin Brundle: «Das sind gefährliche Präzedenzfälle»
Martin Brundle (rechts) mit Pirelli-Rennchef Paul Hembery
Der 57jährige Martin Brundle hat im Laufe seiner Rennkarriere schon so gut wie alles gesehen. Daher fällt sein Urteil über gewisse Zusammenhänge in der Formel 1 stets wohlbalanciert und überlegt aus. Das ist dieses Mal nicht anders, wenn der Le-Mans-Sieger von 1990 über die zwei grossen Aufreger von Silverstone spricht, dem Start hinter dem Safety-Car und die Strafe für Nico Rosberg, wegen eines Vergehens am Sprechfunk.
Brundle, mit Jaguar 1988 Sportwagen-Weltmeister geworden, ist kein Freund von Safety-Car-Starts, wie er in seiner Kolumne für die britische Sky betont: «Ich finde das immer frustrierend. Daher habe ich in der Live-Reportage auch gesagt: „Wieso karren wir Regenreifen um die ganze Welt und brauchen sie dann nicht, um damit Rennen zu fahren?“»
«Ich habe mich nach dem Silverstone-GP lange mit Rennleiter Charlie Whiting unterhalten. Er hat zunächst einmal klar gemacht – die Entscheidung, hinter dem Safety-Car zu starten und den Führungswagen so lange draussen zu lassen, dass war alleine die seine. Er hat mir dann erklärt, dass es viele Funkmeldungen der Fahrer gab, welche im Fernsehen überhaupt nie zu hören waren. Da fragte etwa Hamilton, ob er sich zurückfallen lassen könne, weil er hinter dem Safety-Car nichts sehen könne. Ich bin davon überzeugt, dass Charlie gut abwägt, was zu tun ist.»
«Ich gehe mit Whiting überein, dass der Start hinter dem Safety-Car richtig war, weil einfach noch zu viel Wasser auf der Bahn war. Aber ich hätte den Start mindestens zwei Runden früher freigegeben als er. Selbst wenn ich mir da mit Charlie Whiting nicht einig bin: Sicherheit geht letztlich vor, und Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.»
«Erst drei Stunden nach dem Rennen war klar, dass Nico Rosberg eine Strafe erhalten würde. Das ist nun das zweite Mal innerhalb von acht Tagen, dass die Fans eine Rennstrecke verlassen und nicht wissen, wie das gültige Ergebnis aussieht. Das ist schlecht. Wir dürfen nicht in eine Situation kommen, in welcher die Fans am Montagmorgen aufwachen und sich nicht darüber im Klaren sind, was sie am Tag zuvor eigentlich zu sehen bekommen haben.»
«Diese Verzögerungen sind nicht gut für den Sport. Leider ist die Formel 1 sehr wettbewerbsbezogen und sehr kompliziert und überdies sündhaft teuer. Wir haben Regeln, und an die müssen wir uns halten.»
«Damon Hill hat einen guten Punkt angesprochen, als wir nach dem Rennen über das Geschehen diskutiert haben. Er meinte – stellt euch vor, wie schlimm das wäre, würden wir hier das WM-Finale haben. Ein Duell um den Titel, und dann haben die Rennkommissare das Sagen.»
«Mir ist durchaus klar, wie schwierig diese Autos zu fahren sind. Aber ich will doch bei einem Autorennen wissen, wer der schnellste Mann am Steuer war und nicht, wer sich am besten ein dickes Handbuch merken konnte – um dann die richtigen Knöpfe zu drücken, wenn ein Problem auftaucht. Beim Rennsport sollte es nicht um Hausaufgaben gehen, sondern um die Fahrzeugbeherrschung. Wir müssen Mittel und Wege finden, die überflüssigen Funksprüche zu filtern, ohne jedoch die Standfestigkeit und Sicherheit der Autos zu kompromittieren.»
«Ich habe den Eindruck, dass bei den Teams mehr und mehr Widerstand gegen die Funkeinschränkungen wächst, weil sie merken, dass das in der Praxis einfach nicht funktioniert. Wir haben nun einen Präzedenzfall geschaffen, diese Zehnsekundenstrafe, und ich kann mir gut vorstellen: Wenn ein Team glaubt, dass eine Funkanweisung hilft, und die zehn Sekunden spielen keine Rolle, weil ihr Fahrer genügend weit vor dem darauf folgenden liegt, dann werden sie künftig bewusst die Regeln brechen.»
«Das Gleiche gilt für mich mit der gelben Karte für Rosberg in Österreich, weil er mit kaputtem Auto ins Ziel fuhr und das beschädigte Fahrzeug nicht zur Seite gestellt hat. Jeder Pilot wird künftig mit waidwundem Rennwagen nach der Ziellinie streben, denn er weiss genau – es kommt ja sowieso nur eine Ermahnung.»