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Zwei Welten der Formel E: Grundlage Simulatorarbeit

Von Rob La Salle
Chefingenieur Valentino Conti mit Maximilian Günther und Alex Sims

Chefingenieur Valentino Conti mit Maximilian Günther und Alex Sims

Die Rennwochenenden der Formel E sind außergewöhnlich. Das eng getaktete Eintages-Format lässt kaum Zeit für Testarbeit und keinen Raum für Fehler.

Entsprechend wichtig ist die virtuelle Vorbereitung im BMW Motorsport Simulator. Vor jedem Rennwochenende treffen sich große Teile des BMW i Andretti Motorsport Teams in München und schaffen dort die Basis für die spätere Performance auf der Rennstrecke.

Als Chefingenieur koordiniert Valentino Conti sowohl die Renn- als auch die Simulatoreinsätze. Die aktuelle rennfreie Zeit bietet die Gelegenheit, sich von ihm erklären zu lassen, wie die Simulatorarbeit abläuft, worauf es dabei ankommt und warum sie für Erfolg in der Formel E unverzichtbar ist.

Vor Beginn der aktuellen Zwangspause war es vor jedem Formel-E-Rennwochenende das gleiche Ritual: Die Ingenieure und Fahrer von BMW i Andretti Motorsport bereiten sich gemeinsam im Simulator auf das anstehende Event vor. Nur so ist es möglich, professionell mit den einzigartigen Herausforderungen umzugehen, die das Reglement der Formel E bietet.

Mit Trainings, Qualifying und Rennen an nur einem Tag bleibt den Teams vor Ort kaum Zeit für Test- und Entwicklungsarbeit. Das muss alles im Vorfeld virtuell erledigt werden. «Wenn wir die Tests im Simulator im Vorfeld nicht hätten, würde uns eine Menge an Performance fehlen», sagt Conti, der seit Beginn der aktuellen Saison die Rolle als Chefingenieur inne hat. «Was du im Simulator nicht an Erkenntnissen gewinnst, holst du an der Strecke nur noch ganz schwer wieder auf.»

Die intensive Vorbereitung der BMW i Andretti Motorsport Ingenieure beginnt in der Regel mit Planungsmeetings sowie einem Funktionstest für die Software, die den Simulator mit den jeweiligen Strecken- und Fahrzeuginformationen versorgt. In der Woche vor dem Rennevent treffen sich dann nahezu alle Ingenieure sowie die beiden Fahrer Maximilian Günther und Alexander Sims.

Wer nicht vor Ort sein kann, hat die Möglichkeit, sich online zu den Sessions hinzuzuschalten. «95 Prozent der Ingenieure sind in der Regel bei der Vorbereitung dabei, dazu noch ein paar Leute, die für den operativen Ablauf im Simulator zuständig sind», sagt Conti und erklärt seine Philosophie: «Ich möchte so viele Leute wie möglich, seien es Ingenieure oder Fahrer, bei den Simulatortests dabei haben. Aus meiner Sicht ist das unabdingbar. Die ganze Mannschaft kommt einfach schon mit einer ganz anderen Basis an Wissen und Erfahrungen an die Rennstrecke. Dieses Wissen vor Ort jemandem zu vermitteln, der nicht bei der Vorbereitung dabei war, ist sehr schwierig.»

Neben dem eigentlichen Simulator, der dem realen Cockpit des BMW iFE.20 bis ins Detail nachempfunden ist, um den Fahrern ein Maximum an Realitätsnähe zu bieten, dessen beweglicher Plattform und einer Leinwand gibt es einen eigenen Kommandoraum. In diesem nutzen die Ingenieure die gleiche Kommunikation und die gleichen Computerprogramme wie an der Rennstrecke. Es wird also nicht nur für die Fahrer sondern für das gesamte Team der Ernstfall so exakt wie möglich trainiert. Besonders wichtig ist Conti dabei der Teamgedanke: «Wir funktionieren als Einheit. Nur so können wir effizient sein.»

Vor diesem Hintergrund versteht es sich von selbst, dass auch die Andretti-Ingenieure in München vor Ort oder online mit ihren Kollegen verbunden sind.

Die Abläufe der Testsessions richten sich nach einem vorher festgelegten Plan. Los geht es mit einem Abgleich der beim vorherigen Rennen gesammelten Daten. Es folgen zahlreiche so genannte Short-Runs, bei denen unterschiedliche Set-ups und Konfigurationen des BMW i Antriebsstrangs ausprobiert werden. Feste Bestandteile sind zudem Rennsimulationen und Tests des Energiemanagements. Conti und sein Team spielen darüber hinaus verschiedene Szenarien durch, um auch auf nicht kalkulierbare Ereignisse am Rennwochenende vorbereitet zu sein – zum Beispiel auf Safety-Car-Phasen oder Rennunterbrechungen.

Aber wie genau kann man sich bei aller Akribie tatsächlich im Simulator auf die Realität vorbereiten? «Wir haben eine hohe Trefferquote», sagt Conti. «Wir hatten es sogar schon, dass wir die Strategie für das Energiemanagement, die wir im Simulator entwickelt haben, 1:1 im Rennen umsetzen konnten.»

Conti, der seit Saison 4 in der Formel E aktiv ist und vorher unter anderem als Renningenieur von Bruno Spengler 2012 den DTM-Titel gefeiert hat, schränkt aber auch ein: «Diese Trefferquote schwankt natürlich. Gewisse Überraschungen gibt es an der Strecke immer. In der Regel können wir uns dank unserer grundsätzlich guten Vorbereitung aber immer sehr schnell darauf einstellen.»

Große Bedeutung dafür hat der Trackwalk, auf dem Fahrer und Ingenieure am Tag vor dem jeweiligen Formel-E-Rennen die Strecke zu Fuß ablaufen, um sie auf Unterschiede zur Version zu überprüfen, die sie im Simulator gefahren sind. Hat sich ein Kurvenradius noch verändert? Kann man die Kerbs überfahren oder sind sie eventuell zu hoch dafür? Wie genau sehen die Boxeneinfahrt und die Aktivierungszone für den ATTACK MODE aus? All diese Details werden abgeglichen, bevor es in der Regel am Freitagnachmittag zum Shakedown erstmals mit dem BMW iFE.20 auf die Strecke geht.

«Der Shakedown ist eigentlich ein reiner Funktionstest, aber wir nutzen ihn auch, um die Gripverhältnisse mit denen zu vergleichen, die wir zuvor simuliert haben», erklärt Conti. «Im Anschluss besprechen wir, ob wir eventuell noch Dinge anpassen müssen, dann bereiten wir für den Renntag unsere Pläne A, B und C vor, um möglichst flexibel reagieren zu können. Denn samstags geht es Schlag auf Schlag, und für große Diskussionen ist dann keine Zeit mehr.»

Eventuell schon beim Shakedown, spätestens aber im ersten Training am Morgen des Renntages zeigt sich endgültig, wie gut man im Simulator gearbeitet hat. Stößt man dann auf ein größeres Problem, wird es schwierig. «Auch wir können in Einzelfällen mal mit dem Set-up daneben liegen», sagt Conti.

«Das kannst du zwar aufholen, es ist aber schwierig, weil die Gegner, die vielleicht besser vorbereitet ankommen, sich ja auch permanent verbessern und du dich quasi schneller entwickeln musst.»

Als positives Beispiel für solch eine Aufholjagd nennt der Chefingenieur den Auftakt zu Saison 6 im vergangenen November in Ad Diriyah (KSA): «Dort sind wir von extrem geringem Grip überrascht worden, den wir so in der Simulation nicht vorhergesehen hatten. Das konnten wir aber schnell kompensieren und zweimal auf die Poleposition sowie zum Sieg im Samstagsrennen fahren.»


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