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60 Jahre Formel V oder: Lebe wild und gefährlich

Kolumne von Rainer Braun
​Ein Rückblick auf die europäische Geburtsstunde der legendären Formel V auf dem Norisring und ihre unerschrockenen Piloten.

Ein Billig-Rennwagen mit 34 PS-VW-Motor wird für eine ganze Rennfahrer-Generation zum Karrierestart. Vom Datum her trifft es sich 2025 fast punktgenau, dass der 4. Juli wieder ein Norisring-Tag ist. Denn auf den Tag genau vor 60 Jahren gab es hier 1965 die Europa-Premiere der Formel V. Für den VW-Konzern bedeutet das damals die erste große Erfolgsgeschichte im internationalen Motorsport.

Es ist die Zeit, als der Motor des noch jungen VW-Käfers aus Wolfsburg gerade mal 1,2 Liter-Hubraum bei knapp 34 PS aufbringt. Zusammen mit dem Käfer-Fahrgestell erachten einige Rennsport-Freaks in den USA den Motor und das Getriebe als passend für eine höchst preiswerte Rennwagen-Konstruktion.

So entstehen in den US-Werkstätten von «Gene Beach» und «Formcar-Constructions» die ersten, gleichnamigen Bausätze Beach- und Formcar, einfach gestrickt und robust. Optisch allerdings ähneln sie einer mobilen Badewanne. Die spartanische Cockpit-Ausstattung besteht aus einer harten Sitzschale, Schalthebel rechts an der Seitenverkleidung, einem rustikalen Lenkrad sowie Drehzahl-, Öldruck- und Öltemperatur-Anzeige.

Bald genehmigt die US-Sportbehörde SCCA die erste Formel V-Generation, die überall im Land sofort einen gewaltigen Siegeszug antritt. Schnell kommen weitere Hersteller wie Zink, MacVee oder Autodynamics dazu. Die Amis sind mächtig stolz auf ihre preiswerte «Formula Vee», die schnell fester Bestandteil der Rahmenprogramme aller großen US-Motorsport-Events wird.

Bei einem Daytona-Besuch 1964 werden Dr. Ferry Porsche und sein Sportchef Huschke von Hanstein auf die VW-Renner aufmerksam. Spontan beschließt die deutsche Delegation, zwölf Bausätze nach Stuttgart schaffen zu lassen. Kollegiale Amtshilfe bei der Überführung leisten der sportbegeisterte USA-VW-Chef und spätere VW-Vorstand Prof. Dr. Carl Hahn und der Volkswagen nahestehende US-Rennmanager Joe Hoppen.

«Wir wollen etwas für den deutschen Rennfahrer-Nachwuchs tun», so Porsche damals in einem Presse-Statement, «und unseren jungen Leuten mit der Formel V eine preisgünstige Einstiegs-Alternative eröffnen.»

Zumal es außer der schon ziemlich teuren Formel Junior keine weitere Einstiegsklasse für junge Rennfahrer gibt.

Mit einem Anschaffungspreis von unter 10.000 D-Mark (etwa knapp 5.000 Euro) steht der neue Formel-Rennwagen auf VW-Basis absolut konkurrenzlos da.

Kurz vor der Premiere am Norisring lässt Porsche seine Werksfahrer Gerhard Mitter und Bobby Klass die frisch zusammengeschraubten Formel V-Renner bei den Bergrennen in Eberbach und am Rossfeld oberhalb von Berchtesgaden Demo- und Testfahrten absolvieren.

Das Urteil der PS-Stars sorgt allenthalben für Heiterkeit, Mitter sagt unverblümt, was er empfindet: «Die Karre fährt sich schwerfällig wie eine alte Kuh und springt wie ein Geißbock.» Kollege Klass lächelt nur milde und sagt lieber nichts.

Für das Norisring-Weekend am ersten Juli-Wochenende 1965 haben Porsche-Techniker je sechs Beach- und Formcar-Bausätze zusammengeschraubt. Die Besetzung bestimmt Porsches Sportbaron von Hanstein direkt vor Ort. Wer ausgewählt wird und noch keine Fahrberechtigung seitens der Sportbehörde hat, kann eine Tages-Lizenz für zehn Mark an Ort und Stelle bekommen.

So rutschen auch ein paar Amateure ohne Rennerfahrung ins Starterfeld, unter ihnen der damals 25 Jahre alte Noris-Streckensprecher und heutige Autor der Geschichte. Der hat weder jemals zuvor ein Rennen bestritten noch eine entsprechende Ausrüstung dabei. Mit geliehenem Helm und Schutzbrille von Volvo-Pilot Jochen Neerpasch steigt er in Sakko, Hemd und Krawatte ins Cockpit des Form Car mit der Startnummer 2 und landet nach ein paar Drehern immerhin auf Rang 5.

Über 50.000 Zuschauer werden Zeuge der offiziellen deutschen und zugleich europäischen Premiere. Alles sieht nach einem Sieg des routinierten Porsche Super 90-Profis Lothar Dongus aus, aber nach souveräner Trainingsbestzeit beendet ein Getriebeschaden dessen Fahrt an der Spitze. Nach turbulenten und dreherreichen zehn Runden darf sich der Würzburger Günther Schmitt (Vater des späteren Ford Sierra DTM-Piloten Rüdiger Schmitt) als Sieger feiern lassen. Sein Schnitt für die schnellste Runde auf dem alten, etwa 4 km langen Kurs beträgt 115 km/h.

Das erste Juli-Wochenende 1965 ist somit der Anfang der ersten großen Volkswagen-Erfolgsgeschichte im europäischen Motorsport.

Mit wechselnden Startern, die mal mehr, mal weniger prominent sind, tourt der Porsche-Formel V-Wanderzirkus für den Rest der Saison 1965 quer durch die Republik.

Die Solitude vor den Toren Stuttgarts, die Flugplätze Mainz-Finthen, Wunstorf und Trier, das Schauinsland-Bergrennen und die Nürburgring-Südschleife erleben Formel V-Rennen mit hohem Unterhaltungswert. Zum Südschleifen-Finale im September schickt VW-Importeur Ben Pon aus Holland noch mal schnell zusätzlich fünf in orange lackierte Autos und seinen Star-Piloten Gijs van Lennep. Der rasiert alle und gewinnt vor dem Kölner Duo Richard Thiel und Rolf Stommelen.

Was zu diesem Zeitpunkt niemand nur ansatzweise ahnt – die Formel V entwickelt sich ab 1966 zur wildesten und verrücktesten Rennserie, die der deutsche und europäische Motorsport bis dahin gesehen hat.

Innerhalb kurzer Zeit gibt es Landesmeisterschaften, ein Europa-Championat, Vergleichskämpfe zwischen den USA und Europa und sogar eine inoffizielle Weltmeisterschaft auf den Bahamas.

Die Speed Week in Nassau und das Daytona-Oval sind die Schauplätze der großen Nationen-Schlachten. In Nassau holen sich die Europäer mit Superstar Jochen Rindt und seinen Ösi-Kumpels Günther Huber und Michael Walleczek die WM, in Daytona drehen die Amis den Spieß um. Wie eine Epidemie breitet sich die Formel V-Idee rund um den Globus aus.

Bald sind weltweit über 1000 VW-Rennwagen, darunter neue Chassis-Konstruktionen wie Austro, Kaimann, Fuchs, Olympic, Fuchs, Apal, Bora, HAS, oder Swiss registriert. 1967 ist klar: Volkswagen hat mit der Formel V die Motorsportwelt erobert.

Dazu gibt es ab 1966 auch eine straffe Organisation in Gestalt der von Volkswagen finanzierten und verwalteten Verbände Formel V Deutschland e.V. und Formel V Europa e.V. mit Sitz in München.

Aus beiden Organisationen wird schon wenig später die neue VW-Tochter «Volkswagen Motorsport» in Hannover, zunächst geleitet vom späteren VW-Kommunikations-Chef Anton Konrad und danach vom Ex-Continental-Sportmanager Klaus Peter Rosorius. Neben der Formel V werden nun auch alle neu hinzukommenden Motorsport-Aktivitäten des Wolfsburger Konzerns hier gebündelt.

Derweil empfehlen sich immer mehr FV-Stars der frühen Jahre für höhere Aufgaben.

Vor allem resolute Siegfahrer wie Dieter Quester, Dr. Helmut Marko, Niki Lauda, Harald Ertl, Gerold Pankl oder Günther Huber stehen bei Tourenwagen-Werkseinsätzen hoch im Kurs und erhalten bald Werksverträge bei BMW, Alpina oder Ford. Die Austria-Connection wird zur heiß begehrten Besetzung großer Tourenwagen-Schlachten und Langstrecken-Klassikern.

Im Vorprogramm des Formel 1-Grand Prix 1969 auf dem Nürburgring liefern sich die Jungstars Niki Lauda und Dr. Helmut Marko über die volle 4-Runden-Distanz einen so brutalen Fight um den Sieg, dass es anschließend um die Art der Auseinandersetzung erheblichen Diskussionsbedarf zwischen beiden gibt.

Tüftler-Genies wie Pauli Schwarz (Porsche Salzburg) oder Kurt Bergmann (Wien) produzieren mit ihren Kreationen Austro V und Kaimann Siegerautos und Siegertypen am Laufmeter. Auch Deutschland erkämpft sich mit erfolgreichen Konstruktionen wie Olympic (Mahag München), Fuchs (Heinz Fuchs Rennwagenbau Leonberg) oder Karringer energisch ein Mitspracherecht bei der Siegverteilung.

Österreich bleibt zunächst noch führende Nation, die wilden Burschen aus der Alpenrepublik holen sich einen Titel nach dem anderen. Speziell die Austria-Jungstars Marko, Huber, Pankl, Peter, Breinsberg, Ertl, Koinigg und Riedl wechseln sich auf den Siegerpodien ab.

Der technisch belesene Günther Huber mutiert zu einer Art Formel V-Professor und gilt mit seinem auf die eigenen Bedürfnisse umgebauten Huber Austro V zumindest für zwei Jahre als das Maß der Dinge.

Aber auch die Nordländer aus Schweden und Finnland mischen mit ihren heimischen Chassis Hansen und RPB ordentlich mit im Kampf um Siege und Titel. Irgendwann überholen die Schweden die siegverwöhnten Österreicher und schließen mit fünf EM-Titeln sogar als erfolgreichste Nation ab.

Für deutsche Fahrer gibt es nur einen einzigen EM-Titel, den der VW-Händlersohn Alfred Voglberger aus Markt Schwaben 1969 mit einem bei der Mahag in München gebauten Olympic gewinnt.

Die Motorleistung wächst schnell von anfangs 34 über 40 auf 70 PS, im Laufe der Jahre wird sogar die 100 PS-Grenze überschritten. Jetzt ist die Stunde der Edel-Tuner gekommen, wer gewinnen will, muss nun tief in die Tasche greifen. Eine Saison kostet jetzt schon im Vergleich zu den ersten Jahren mehr als doppelt so viel. 1977 zieht sich VW als Supporter offiziell aus der FV 1300 zurück, die Teams können aber in Eigenregie dort weiterfahren, wo der Veranstalter die Klasse noch ausschreibt.

Ab 1971 kommt mit der Formel Super V der große Bruder ins Spiel – eine zweite VW-Rennwagenklasse parallel zur etablierten Formel V 1300, allerdings doppelt so teuer.

Die VW-Triebwerke haben 1,6 Liter Hubraum, leisten anfangs um die 120 PS. Der Rest ist freigestellt. Das Eröffnungsrennen im April 1971 in Hockenheim gewinnt der Brite Cyd Williams in einem Royale.

Im weiteren Verlauf werden auch hier immer neue Super V-Stars wie Keke Rosberg, Tom Pryce, Gunnar Nilsson oder Helmut Koinigg geboren – sie alle peilen danach die Forme 2 und Formel 1 an. Rosberg wird 1982 mit Williams F1-Weltmeister, der Holländer Arie Luyendyk gewinnt als Super V-EM-Sieger von 1977 in Indianapolis gleich zweimal die 500 Meilen.

Zuvor waren bereits Lauda und Marko im F1-Team von BRM gelandet, Koinigg bei Surtees, Pryce bei Shadow und Nilsson bei Lotus. Schon zehn Jahre vor Rosberg wird Emerson Fittipaldi bei Lotus 1972 der erste F1-Weltmeister mit Formel V-Vergangenheit.

Natürlich steigt auch die Leistung der Super V-Triebwerke rapide an und nähert sich ein paar Jahre später schon der 150 PS-Marke, am Ende sind es gar fast 200 PS. Professionelle Rennställe, Teams und Fahrer übernehmen das Kommando, Amateure haben bald kaum noch Chancen auf Podiumsplätze.

Und wieder haben erst mal Fahrer und Konstruktionen aus Österreich das Sagen beim Siegen, bevor die großen britischen Chassis-Produzenten Lola, March, Royale und Ralt den Formel Super V-Markt nahezu komplett erobern. Auch nordische Länder wie Schweden und Finnland stellen sich mit ihren Piloten und Konstruktionen der Konkurrenz und werden bald sogar zur stärksten Kraft.

Als besonders wettbewerbsfähig erweist sich hier der Veemax des finnischen Rennwagenbauers Max Johansson. Wie bei der FV 1300 gibt es auch in der Formel Super V mit Helmut Henzler im March 1978 nur einen einzigen deutschen EM-Titelträger, den Rest teilen sich Schweden, Finnland und Österreich untereinander auf.

Doch die Super V-Kosten laufen immer mehr aus dem Ruder, der Etat für eine Saison steigt von Jahr zu Jahr dramatisch und ist nicht mehr weit von der Formel 3 entfernt.

Dreifach-Champion John Nielsen fährt im Frühjahr 1982 auf der Nordschleife mit seinem Ralt schon schneller als die Formel 3, was die Existenzberechtigung der Super V als reine Nachwuchsformel in Frage stellt.

Volkswagen Motorsport reagiert entsprechend und zieht die Reißleine. Nach der Formel V 1300 einige Jahre zuvor wird 1982 auch das Kapitel Formel Super V vom Support her für immer geschlossen. Den letzten Europa-Titel 1982 entführt der Österreicher Walter Lechner nochmal in jenes Land, das als Mutter aller Formel V-Nationen und Schlachten in die Geschichte eingeht. Ein offizieller Comeback-Versuch der Formel Super V misslingt 2001 mehr oder weniger und wird nach zwei Jahren und ein paar Monaten sang- und klanglos beendet.

Mit der Beendigung aller Formel V-Aktivitäten endet für Volkswagen 1982 eine 17 Jahre andauernde, faszinierende und höchst unterhaltsame Erfolgsstory. Statt Formel V und Super V laufen bei VW Motorsport ab 1982 nur noch internationale Renn- und Rallye-Programme wie Formel 3, Rallye Cross, Rallye DM und WM.

Die Erinnerung an die wilden Jahre hält der Verband Historische Formel Vau Europa e.V. wach. Dort pflegen und restaurieren die Mitglieder und Hobby-Piloten die Schätze von einst, von denen es in der Blütezeit weltweit mal rund 3.000 Exemplare gab.

«Wir sind stolz darauf», so Präsident Dr. Frank Orthey, «die Formel V-Idee weiter fortzuschreiben.» Mit ihren auf die aktuellen Sicherheitsanforderungen umgerüsteten Formel V- und Super V-Rennwagen aus den Jahren 1965 bis 1982 trägt der mitgliedsstarke Verband bis heute eine eigene, historische Rennserie aus.

Eine Auswahl aus diesem Bestand ging zum 50. Jahrestag mit auf Übersee-Reise nach Daytona, wo Volkswagen Motorsport, um diese Zeit noch nicht aufgelöst, zusammen mit ehemaligen Formel V-Piloten mit Mega-Jubiläum feierte. Die schönsten Formel V-Rennwagen aus Europa und USA durften vor dem Start des 24 Stunden-Rennens einen Demonstrations-Lauf absolvieren. In den Cockpits saßen Formel V-Helden von damals – durchweg um die 65 bis 70 Jahre alt.

Während die Formel V samt ihrer wenigen noch lebenden Ur-Protagonisten 2025 ihr 60-jähriges Jubiläumjahr begeht, feiert Volkswagen Motorsport den 60. Geburtstag ihrer einstmals so erfolgreichen Einsteiegerformel nicht mehr mit.

Der Betrieb in Hannover ist dem Wahn der E-Mobilität zum Opfer gefallen und wurde vom Mutterkonzern 2021 komplett abgewickelt und aufgelöst.


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