Valentino Rossi sucht das Glück

Raúl Fernández: Seine bittere Abrechnung mit Aki Ajo

Von Günther Wiesinger
Moto2-Vizeweltmeister Raúl Fernández hat die knappe WM-Niederlage gegen Remy Gardner noch nicht verdaut. Er fühlt sich als «moralischer Champion» und spart nicht mit Kritik an Teamchef Aki Ajo.

Die GP-Karriere von Raúl Fernández ist in den letzten zwölf oder 13 Monaten gewaltig in Schwung gekommen. Er gewann erst am 8. November 2020 beim Europa-GP in Valencia seinen ersten Moto3-WM-Lauf, zwei Wochen später am 22. November in Portimão seinen zweiten. Erst zu diesem Zeitpunkt kamen KTM, Red Bull und Teambesitzer Aki Ajo seinem Wunsch nach, ihn wegen seiner stattlichen Körpergröße von 180 cm entgegen der ursprünglichen Planung schon für 2021 in die Moto2-WM zu befördern.

Und dann übertraf der inzwischen 21-jährige Spanier alle Erwartungen. Er entpuppte sich neben Pedro Acosta als die große Entdeckung der Saison und hielt bereits bei den Wintertests als Rookie erstaunlich gut mit. Er beendete die beiden ersten Rennen in Doha/Katar auf den Positionen 5 und 3 – und siegte beim dritten Saison-Event in Portimão. Mit zwei weiteren Siegen und zwei zweiten Plätzen bei den nächsten sechs Rennen sorgte der begnadete Ausnahmekönner nicht nur bei den Gegnern für Sprachlosigkeit und Bewunderung, sondern auch bei KTM und Red Bull.

Aki Ajo hingegen bemühte sich nach Leibeskräften, jede Euphorie zu unterdrücken und mit den Füßen auf dem Boden zu bleiben.

Denn die Saison dauerte noch lange, Gegner wie Sam Lowes durften nicht unterschätzt werden. 

Immer wieder betonte Weltmeister-Macher Aki Ajo selbst beim WM-Finale in Valencia vor acht Tagen noch, das Klima in der Mannschaft sei überraschend gut, Gardner und Fernández würden es schaffen, ihren Titelkampf nur auf der Piste auszutragen.

Tatsächlich schien die Lage für Raul Fernández noch beim ersten Misano-GP ziemlich aussichtslos, denn er hatte sich in Sachsen und Silverstone durch Stürze zwei Nuller geleistet. Aber dann siegte Raúl in Aragón, in Misano-1 und Texas dreimal in Serie, Gardner schied in Austin durch Sturz aus, plötzlich lag der Spanier nur noch 9 statt 34 Punkte hinter dem Australier.

Doch Raúl Fernández vermasselte seine Chancen mit einem Crash im zweiten Misano-GP am 24. Oktober. Da Gardner dazu beim vorletzten Rennen (Algarve-GP) siegte, kam der sensationelle Rookie mit 23 Punkten Rückstand zum Finale.

Moto2-Neuling Raúl Fernández sicherte sich zwar in Valencia den grandiosen achten Saisonsieg und übertraf damit sogar die Bilanz von Marc Márquez in dessen Moto2-Debütjahr 2011, aber den Titel verpasste er um vier Punkte.

Dass Raúl Fernández der schnellere Fahrer war, lässt sich schwer bestreiten. Aber in der Addition der Punkte hatte Remy Gardner (er bestritt seine sechste Moto2-Saison) das bessere Ende für sich.

Raúl Fernández machte sich nicht die Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. Sein Selbstvertrauen ist enorm gewachsen, kein Wunder, wenn man dauernd mit Marc Márquez verglichen wird, innerhalb von zwölf Monaten von der Moto3 in die MotoGP und von vielen Teams auf die Wunschliste für die Zukunft befördert wird.

Da kann die Sicht der Dinge schon mal vernebelt werden, und die Kunst der Selbstkritik ist bei so manchem jungen Sportstar sowieo nur mangelhaft ausgeprägt. 

In einem Interview mit dem Online-Portal Motorsport.es machte Raúl Fernández vor dem MotoGP-Test in Jerez aus seinem Herzen keine Mördergrube. Er hält sich für den «moralischen Champion» und meint, das KTM-Ajo-Team habe seinen Titelgewinn gegen Gardner (fünf Siege 2021) verhindert.

Niemand in seiner Mannschaft habe ihn richtig geführt, beklagte sich der Moto2-Vizeweltmeister. «Es ist klar, dass ich nicht Meister geworden bin. Aber mein Kopf sagt mir, ich habe etwas Wertvolles erreicht», stellte Raúl fest. «Ich hatte ausgezeichnete Mechaniker, aber mein Team war unerfahren. Und niemand wusste, wie man uns führen soll. Deshalb haben wir die WM-Krone nicht gewonnen.»

Der Spanier wiederholte, er habe bewiesen, dass er der stärkste Fahrer gewesen sei – mit den meisten Siegen, Pole-Positions und schnellsten Rennrunden.

Nach diesem Seitenhieb Richtung Teambesitzer Aki Ajo räumte der Moto3-Junioren-Weltmeister von 2018 (auf KTM) ein, Remy sei der neue Champion, denn er habe mehr Punkte gesammelt. «Aber ich war wie ein Fisch, der gegen die Strömung schwimmen musste, obwohl ich den nötigen Speed hatte. Wir waren alle neu, wir mussten einander erst kennenlernen, deshalb ist eindrucksvoll, was wir erreicht haben», stellte Raúl fest.

Da wird niemand widersprechen.

Aber Raúl wurde in seiner Enttäuschung über die knappe WM-Niederlage noch deutlicher: «Bei mir fehlte eine Hand, die uns führte wie man es von kleinen Kindern kennt, die vor Stolpersteinen zur Vorsicht gewarnt werden. Wir hätten eine Figur mit dem Willen gebraucht, uns bei Siegen zu helfen, nicht eine Figur, die uns Steine und Hindernisse in den Weg legte. Das wäre der Schlüssel gewesen. Das hat uns Schweiß und Tränen gekostet. Schon bei Saisonmitte haben wir eine schwere Zeit durchgemacht.»

Raúl Fernández lässt die Behauptung, Remy sei schlauer gewesen, nicht gelten. «Er war nicht smarter. Aber ihm wurden weniger Steine in den Weg gelegt.»

Moto2-Ergebnis, Valencia (14. November):

1. Raúl Fernández, Kalex, 16 Runden in 25:38,612 min
2. Fabio Di Giannantonio, Kalex, 0,517 sec
3. Augusto Fernandez, Kalex, + 0,786
4. Celestino Vietti, Kalex, + 2,393
5. Aron Canet, Boscoscuro, 4,978
6. Xavi Vierge, Kalex, 5,091
7. Sam Lowes, Kalex, + 5,415
8. Jorge Navarro, Boscoscuro, + 5,808
9. Marcel Schrötter, Kalex, + 7,941
10. Remy Gardner, Kalex, + 9,112
11. Tetsuta Nagashima, Kalex, + 9,420
12. Thomas Lüthi, Kalex, + 10,355
13. Stefano Manzi, Kalex, + 11,898
14. Marcos Ramirez, Kalex, + 12,088
15. Hafizh Syahrin, NTS, + 12,361

Moto2-Endstand Fahrer-WM (nach 18 Rennen):

1. Gardner 311 Punkte. 2. Raúl Fernández 307. 3. Bezzecchi 214. 4. Lowes 190. 5. Augusto Fernandez 174. 6. Canet 164. 7. Di Giannantonio 161. 8. Ogura 120. 9. Navarro 106. 10. Schrötter 98. 11. Vierge 93. 12. Vietti 89. 13. Roberts 59. 14. Arbolino 41. 15. Beaubier 50. 16. Bendsneyder 46. 17. Ramirez 39. 18. Chantra 37. 19. Manzi 36. 20. Dixon 30. 21. Arenas 28. 22. Lüthi 27. 23. Garzo 16. 24. Corsi 16. 25. Alduguer 13. 26. Bulega 12. 27. Dalla Porta 10. 28. Syahrin 9. 29. Nagashima 5. 30. Lopez 4. 31. Baldassarri 3. 32. Baltus 2.

Marken-WM Endstand:

1. Kalex 450 Punkte. 2. Boscoscuro 199. 3. MV Agusta 19. 4. NTS 11.

Team-WM Endstand

1. Red Bull KTM Ajo 618 Punkte. 2. Elf Marc VDS Racing Team 364. 3. Sky Racing Team VR46, 303. 4. Inde Aspar Team 192. 5. Federal Oil Gresini 173. 6. Idemitsu Honda Team Asia 157. 7. Liqui Moly Intact GP 149. 8. Petronas Sprinta Racing 123. 9. Speed Up 119. 10. American Racing 89. 11. Italtrans Racing Team 74. 12. Pertamina Mandalika SAG Team 73. 13. Flexbox HP40, 56. 14. MV Agusta Forward Racing 19. 15. NTS RW Racing GP 11.


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