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Der talentierte Valentino Rossi: kuriose Anfangsjahre

Kolumne von Jan Witteveen
Als Aprilia-Renndirektor habe ich den raschen Aufstieg von Valentino Rossi von 1995 bis 1999 hautnah miterlebt. Er war von Anfang an aussergewöhnlich – in vielerlei Hinsicht.

Mit dem MotoGP-Sieg in Misano 2014 hat Valentino Rossi einen unfassbaren Rekord gebrochen, der bis dahin von Loris Capirossi gehalten wurde – die längste Zeitspanne zwischen dem ersten und letzten GP-Sieg.

Bei Rossi sind es mehr 18 Jahre! Sein erster Sieg in Brünn gelang ihm 1996 – und die letzten zwei Sieger feierte er 2014 in Misano und Phillip Island.

Nach dem Rücktritt von Colin Edwards (40) ist Valentino zudem mit seinen bald 36 Jahren auch der älteste MotoGP-Fahrer.

Das Geheimnis von Rossi besteht darin, dass er nach wie vor voll motiviert ist. Er sieht das Motorradfahren nicht als eine Arbeit an, wie viele andere. Für ihn geht ist es in erster Linie darum, Spass dabei zu haben. Zum Glück fährt er weitere zwei Jahre im Yamaha-Werksteam; er hat also seinen Abschied oder seinen Wechsel zur Superbike-WM verschoben.

Ich kann mir MotoGP ohne Rossi noch nicht vorstellen. Es stimmt zwar, Valentino ist heute vielleicht nicht mehr der Schnellste, aber bestimmt nach wie vor der beliebteste Fahrer.

Als ich in den 1990er-Jahren Direktor bei Aprilia Reparto Corse war, bemühten wir uns intensiv um den Nachwuchs. Die Familie Guidotti beobachtete und beurteilte die Fahrer in der nationalen Sportproduktion, dann in der EM und schliesslich in der WM 125er-Klasse.

Nur, der junge Valentino Rossi stammte nicht aus unserer Talentschmiede, denn er begann mit Cagiva in der Sportproduktionsklasse. Es war sein Vater Graziano, der den Kontakt zu unseren Sportmanager Carlo Pernat gesucht hatte.

Das Abenteuer Valentino begann 1995 in der EM 125 ccm im Team Motoracing mit Crew-Chief Mauro Noccioli. Ich habe mich wie üblich immer dagegen gewehrt, junge Fahrer sofort werkseitig zu unterstützen, denn es hilft nichts, jemandem zu stark unter die Arme zu greifen, so kann er nicht richtig eingeschätzt werden und sich nicht in Ruhe weiterentwickeln.

Nach dem dritten Rang in der 125er-EM 1995, die von Lucio Cecchinello gewonnen wurde, debütierte Valentino Rossi 1996 in der 125er-WM auf einer Ex-Scalvini RSW, einer Werksmaschine aus dem Vorjahr. Ideal für einen Neueinsteiger, denn die neuen RSW des Jahrgangs 1996 waren für Sakata, Perugini und andere reserviert.

Wir gingen ja nicht davon aus, dass Valentino auf Anhieb siegen würde. Aber er hat uns alle überrascht. In Jerez wurde er Vierter, er hätte aber auch gewinnen können, von da an haben wir ihn intensiver unterstützt. Er gewann in Brünn und hat so unser Vertrauen gewonnen, 1997 stark auf ihn zu setzen. Wir haben 1996 gesehen, dass er sofort das Limit suchte, das widerspiegeln auch seine etwa 20 Stürze.

Anders gesagt, wussten wir: Wenn er nicht mehr stürzt, gewinnt er.

Rossi 1997: Er ging eigene Wege

Zuerst schien Rossi mit 17 Jahren kein außergewöhnlicher Fahrer zu sein. Aber in der zweiten Hälfte der 125-ccm-Weltmeisterschaft 1996 hat sich sein Talent bestätigt. So haben wir bei den Wintertests 1996/1997 begonnen, das Motorrad auf seine Grösse und Bedürfnisse anzupassen. Valentino war ein hagerer Fahrer, aber grösser als der Durchschnitt, deshalb wurden der Lenker und die Fussrasten versetzt; und er hat seinen Teil dazu beigetragen, in dem er sich mit seiner Sitzposition auf den Geraden aerodynamisch angepasst hat.

Weiters hat Valentino den Gasgriff «on-off» betätigt, womit die Vergasereinstellung magerer sein konnte, wodurch eine bessere Beschleunigung und Spitzenleistung ermöglicht wurde. Dazu hat er einen Zylinder mit etwas weniger Leistung (aber mit etwas mehr Drehmoment) vorgezogen. Ich erinnere mich genau, es war der Zylinder Nr. 26. womit es ihm ermöglicht wurde, längere Übersetzungen zu verwenden und somit auch mehr Top-Speed zu erzielen.

Dazu hat Valentino als einziger einen WP-Stossdämpfer mit 46 mm Kolbendurchmesser vorgezogen, Standard waren 42 mm, weil er seiner Meinung nach besser mit den Dunlop-Reifen harmoniert hat.
Die Saison 1997 endete mit elf Siegen und nur einem Sturz in Suzuka. Das war eine grandiose Bilanz. Valentino nannte sich «Rossifumi», in Anlehnung an den Japaner Norifumi Abe. Valentino gewann die WM 1997 problemlos und überlegen.

Um seine Dominanz zu unterstreichen: Beim Assen-GP startete Valentino Rossi gut aus der Pole-Position, bis er die Kupplung justieren musste, er machte dabei einen Fehler und fand sich auf Platz 16 wieder. Er lege sich dann ordentlich ins Zeug, tauchte hinter die Verkleidung ein und gewann das Rennen... Und das in einer Saison, in der er auch nach dem Rennen mit seinen Show-Einlagen die Fans zum Ausflippen brachte.

Mit 18 Jahren erstaunte Vale mit seiner Reife. Klar, er scherzte und  spielte viel, aber wenn es darauf an kam, war er da, um im richtigen Moment das Richtige zu tun. Es ist nicht alltäglich, in einem so jungen Burschen solche Charaktereigenschaften zu finden.

1998: Ein unvergessliches Jahr für Aprilia

1998 wurde das bleifreie Benzin eingeführt, das Kanazawa, der Chef von HRC, schon im Jahr davor haben wollte. Wir arbeiteten auch daran, aber ich befürchtete, dass uns Honda voraus sein würde und überlegen sei. Aber das Gegenteil war der Fall. Aprilia arbeitete besser und dominierte die 250er-Klasse, wir gewannen ausser Suzuka alle Rennen.

Für Aprilia ein unvergessliches Jahr, weil Sakata daneben noch in der 125-ccm-Weltmeisterschaft siegte.

Valentino stieg im Jahr 1998 in die 250er Klasse auf – im Team von Rossano Brazzi, an der Seite von Harada und Capirossi.

Der Umstieg von der 125er auf die 250er Klasse ist nicht einfach. Die 250er ist schwerer und mit doppelter Leistung auch anders zu fahren. Deshalb sind für die Abstimmung von Chassis, Motor und Reifen auch die Informationen des Fahrers wichtig. Mit Valentino war das einfach, denn er hat seine Eindrücke an die Techniker weitergegeben; sie mussten einfach die Lösungen dafür finden. Er hat schnell gelernt und ohne die Stürze bei den ersten Grand Prix hätte er,meiner Meinung nach, bereits im ersten Anlauf den Titel gewinnen können. Ich habe Valentino nach den Stürzen überzeugt, er solle in den Rennen die weichen Reifen verwenden, danach gehörten die Stürze (sie passierten immer in der Anfangsphase) der Vergangenheit an.

Nach dem ersten (etwas glücklichen) 250-ccm-Sieg in Assen folgte dann Imola, danach war er nicht mehr aufzuhalten. Vale gewann die restlichen Rennen und wurde mit 23 Punkten Rückstand hinter Capirossi WM-Zweiter. Er hat im Klassement auch Harada überholt, der beim Finale in Argentinien in der letzten Kurve von Capirossi gerammt wurde.

Die Aussage von Rossi damals: «Das Motorrad geht sauschnell auf den Geraden, aber in den Kurven mache ich den Unterschied.»

Eine Überlegenheit, die ihm ein Jahr später den Titel einbrachte. Am Anfang war es 1999 aber nicht so einfach, den die Werks-Honda von Capirossi und Ukawa schienen besser vorbereitet zu sein als im Vorjahr, trotzdem gewann Valentino, jetzt mit dem Künstlernamen Valentinik, mit neun Siegen die Weltmeisterschaft.

Rossi: Das Qualifying war Nebensache

Schon damals war für Valentino die Startaufstellung nicht so wichtig. Auch jetzt in der MotoGP hat er oftmals Mühe, es in die erste Startreihe zu schaffen, denn für ihn ist es wichtiger, dass das Motorrad richtig funktioniert, damit er im Rennen zuschlagen kann.

Ein Beispiel: Welkom in Südafrika. Capirossi fuhr im 250-ccm-Quali Bestzeit, Valentino war mit 0,5 Sekunden Rückstand nur Sechster.
Ich war besorgt und fragte Rossi, ob wir etwas modifizieren oder abändern sollten. Seine Antwort lautete klipp und klar: «Es gibt keine Probleme. Morgen gewinne ich.»

Nach der Saison 1999 hat sich Valentino als 250-ccm-Weltmeister entschieden, Aprilia zu verlassen und sich für die Werks-Honda NSR-500 im Werksteam von Jeremy Burgess entschieden, die nach dem Rücktritt von Mick Doohan frei wurde.

Zu diesem Zeitpunkt schlugen wir ihm vor, noch ein oder zwei Jahre bei Aprilia in der 250er-Klasse zu bleiben und uns Zeit geben, eine wettbewerbsfähige Vierzylinder 500er-Maschine zu entwickeln.
Aber die Gelegenheit, die starke und überlegene Honda zu fahren, wollte Rossi sich nicht entgehen lassen. Es war dann Burgess, der für eine kleine Befriedigung sorgte, als er ein Jahr später in unsere Box kam und sich bei mir bedankte, dass wir ihm einen fertigen Fahrer abgeliefert haben, der schnell, anständig und gut vorbereitet war.

Das war natürlich auch eine schöne Überraschung und ein nettes Kompliment durch einen Cheftechniker, der mit Champions wie Wayne Gardner und Mick Doohan zusammen gearbeitet hat.

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