MotoGP-Finale: Verschiebung, Verlegung, Absage?

Front Device von Ducati: Viele offene Fragen

Von Günther Wiesinger
Fünf der sechs MotoGP-Hersteller wetterten gegen das 2022 aufgetauchte Front Ride Height Device von Ducati. 2023 wird es verboten sein. Manche Techniker fragen sich: Warum bleiben alle anderen Systeme erlaubt?

Gigi Dall‘Igna, seit Oktober 2013 General Manager von Ducati Corse, hat seit seinem Amtsantritt immer wieder Grauzonen des technischen Reglements erforscht und genutzt, um in der MotoGP-WM mit technischen Innovationen für Aufruhr zu sorgen. Meist blieb den gegnerischen Werken nichts anderes übrig, als diese Neuheiten zu kopieren, zum Beispiel die Winglets, die Startvorrichtung (Holeshot-Device) und den Rear Ride Height Adjuster.

Doch bereits 2019 kam es beim Katar-GP zu einem Protest gegen den Sieg von Dovizioso und Platz 6 von Petrucci von Honda, Suzuki, Honda, KTM und Aprilia, weil damals der umstrittene Hinterradflügel und nach Ansicht vieler Experten illegale «Spoon» verwendet wurde.

Ducati behauptete, er diene zur Kühlung des Hinterradreifens. Doch jedem halbwegs aufgeweckten MotoGP-Ingenieur war klar, dass er in Wirklichkeit Downforce (Abtrieb) für das Hinterrad erzeugte. Das ließ sich im Windkanal jederzeit messen und beweisen.

Und im Februar 2022 wurden die neuen Desmosedici GP22 von Miller, Bagnaia, Zarco, Martin und Marini mit einem neuen Front Ride Height Device (FRHD) ausgestattet, das bei der Konkurrenz wieder für Unmut sorgte. «Wir haben bei unserem MotoGP-Motorrad schon elf oder zwölf Knöpfe im Cockpit. Mehr brauchen wir nicht. Es geht um die Sicherheit und um die Kosten», stellte Pit Beirer fest, der Motorsport-Direktor von KTM.

Lin Jarvis, Managing Director von Yamaha-Motor Racing pflichtete ihm bei, auch die Verantwortlichen Manager von Suzuki, Honda und Aprilia. Und der mächtige Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta ließ seinem Unmut im Interview mit SPEEDWEEK.com ebenfalls freien Lauf. «Wir brauchen weder höhere Kosten noch mehr Top-Speed.»

Nach dem Debakel beim Katar-GP am 6. März baute Ducati das FRHD zwar bei den meistens Bikes ab, nur Johann Zarco experimentierte noch eine Weile damit, es folgte sogar eine modifizierte Version, die aber jetzt auch aussortiert wurde.

Inzwischen hat die Grand Prix Commission das Front Device für 2023 verboten.

Ob Ducati jetzt noch viel Geld in die Entwicklung stecken wird, ist fraglich.

Ing. Sebastian Risse, Technical Coordinator bei KTM in der MotoGP-Klasse, hat das nur Ducati-Device im Winter als «Steinzeit-Technologie» bezeichnet.

Pit Beirer sagte klipp und klar: «Wir bauen keine solche Vorrichtung. Wir bemühen uns lieber, schon 2026 CO2-neutral mit dem synthetischen Treibstoff zu fahren, der erst für 2027 vorgeschrieben wird.»

Übrigens: Ob Ducati das Front Device 2022 bereits bei einem Rennen eingesetzt hat, ist bisher nicht geklärt. Eventuell hat es Johann Zarco (Pramac Ducati) in Doha verwendet. Aber Honda-Testfahrer Stefan Bradl, der bisher bei allen vier Grand Prix vor Ort war, meint: «Ich bezweifle, dass Ducati im Rennen schon einmal mit dem Front Device gefahren ist.»

«Wir können Ducati überhaupt keinen Vorwurf machen, dass sie taten, was sie taten und mit dem FRHD kamen. Denn sie haben einfach das Reglement beim Wort genommen. Das Problem ist das Reglement, nicht Ducati. Es schützt den Sport nicht ausreichend», stellte Sebastian Risse im Gespräch mit SPEEDWEEK.com fest. «Das ist es ja auch, was der inzwischen verabschiedete Vorschlag der Grand Prix Commisson zum Verbot des FRHD zumindest teilweise gerade rücken sollte.»

Nach der Bedenkzeit wurde nun folgende Änderung im Technischen Regelwerk festgelegt, die mit der Saison 2023 in Kraft tritt: «Jedes Device, welches die Fahrhöhe der Front des Motorrads verändert oder anpasst, während sich das Motorrad bewegt, ist verboten.»

Die sogenannten Holeshot-Devices, die nur beim Startvorgang zum Einsatz kommen, bleiben hingegen nach 2022 weiter erlaubt.

Dieses umfasssende und heikle Thema mit den diversen mechanischen Vorrichtungen wird die Werke, Funktionäre und Fans noch länger beschäftigen.

Folgende Frage beschäftigt die Hersteller und Fans:

• Wie wird das neue technische Reglement ausgelegt, um einen Front Ride Height Device, der die Fahrhöhe während der Fahrt ändert von der «normalen» Suspension-Funktion zu unterscheiden?

Noch ein paar weiterführende Gedankenspiele dazu:

• Auch das Rear Ride Height Device (RRHD) ändert die effektive Front-Geometrie (z.B. die Höhe des Lenkers über dem Boden); einerseits durch eine Änderung der Gewichtsverteilung und einen sich dadurch ändernden Front Suspension Stroke, andererseits durch den Pitch des Fahrzeugs. Was ist also genau die Front Ride Height und was beeinflusst sie und was nicht?

• Mechanische Trigger an der Gabel werden die Federkraft der Gabel immer marginal beeinflussen. Einige RRHD-Technologien verwenden so einen mechanischen Trigger an der Gabel, so dass die Kraft und damit die Fahrhöhe (Ride Height) im Vorbau streng genommen vom Zustand des Fahrer-Wahlhebels und dem Zustand der hinteren Suspension/RRHD abhängt, auch wenn die Absicht keine FRHD-Funktion ist.

Beispiel: Der 2021 RRHD von Ducati. Ist so ein Trigger damit automatisch 2023 verboten? Wenn ja – wie soll das kontrolliert werden? Es gibt bei DORNA und IRTA kein technisches Personal, das dafür ausgebildet ist, solche Details herauszufinden oder zu beweisen.

• Warum wird es vorne verboten und hinten nicht? Der ursprüngliche Vorschlag, es vorne zu verbieten, kam von der Dorna. Wohl vor dem Hintergrund, dass es verboten werden sollte, bevor jemand diese weitere Gesetzeslücke ausnutzt.

Das Hersteller-Bündnis MSMA hat aber nur über die DORNA-Vorschläge abgestimmt, und da war es keine Option, das Rear RHD zu verbieten, ohne das zügige Verbot des FRHD zu gefährden. Der voraussichtliche Grund: Es ist immer kompliziert, schon bestehende Technologie zu verbieten und erzeugt politische Widerstände, welche die Dorna scheut, um möglichst Frieden unter den Herstellern zu haben.

• Dann geht es noch um den «Front Start Device» für das Wegfahren vom Grid. Warum bleibt es erlaubt?

• Die meisten Techniker sind sich einig: Gute Maschinen waren schon im 19. Jahrhundert extrem komplexe Geräte, im Vergleich zu den aktuellen. Sie denken dabei zum Beispiel an eine gut entwickelte Dampfmaschine, an ein frühes U-Boot, eine mechanische Schreibmaschine, den ersten Lochkarten-Speicher oder die Rotor-Schlüsselmaschine ENIGMA im Vergleich zum aktuellen Nachfolger.

«Aber das ist kein Indikator dafür, ob etwas zeitgemäß ist», entgegnete Ing. Sebastian Risse.

SPEEDWEEK.com wird zu dieser Thematik in den nächsten Wochen weiter recherchieren und die Schlüsselpersonen von Dorna, IRTA und MSMSA dazu befragen.

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