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MotoGP-Stewards: Verfälschen sie die Meisterschaft?

Von Günther Wiesinger
Seit Monaten stehen die offensichtlich überforderten MotoGP-Stewards im Kreuzfeuer der Kritik. Alle Beteiligten werfen ihnen vor, sich nicht an ihre eigenen Vorgaben zu halten.

Spätestens seit dem Jerez-GP 2023 ist der «FIM MotoGP Stewards Panel» mit Freddie Spencer als prominentestem Mitglied ins Kreuzfeuer der Kritik gerückt. Denn dort wurde am Samstag Franco Morbidelli und am Sonntag Quartararo mit einem Long Lap-Penalty bestrafte. Sie waren in Zwischenfälle mit Marco Bezzecchi beziehungsweise Miguel Oliveira involviert, die von fast allen anderen Beobachtern als normale Rennunfälle eingestuft worden.

Am Sonntag wurde auch noch Weltmeister Pecco Bagnaia zu einer «Drop one position»-Strafe verdonnert, weil er Jack Miller beim Überholen nicht weiträumig umfahren hatte. «Wenn man nimmer überholen darf, müssen sie uns das sagen», wunderte sich sogar KTM-Berater Heinz Kinigadner.

Jenes Gremium, das beim Portugal-GP nicht fähig war, ein wasserdichtes Urteil für den «double long lap-»-Penalty nach der Hauruck-Aktion von Marc Márquez gegen Miguel Oliveira und Jorge Martin zu verfassen, weshalb die Strafe jetzt peinlicherweise und erwartungsgemäß annulliert werden musste, schrieb Yamaha-Werkspilot Morbidelli nach dem Einspruch des Teams am Samstag im Jerez ein ganz übles verhalten nach. Er sei «ambitioniert» ans Werk gegangen, beklagte Ex-Seitenwagen-GP-Sieger Ralph Bohnhorst, der den «Appeal» des Teams behandelte und ihn natürlich in die Tonne klopfte.

Warum sollte er seinem Kollegen Freddie Spencer in den Rücken fallen, mit dem er zwei Wochen vorher in Texas noch friedlich im FIM MotoGP Stewards Panel» gesessen war?

Wie glaubwürdig ist eine Rechtssprechung, bei der ein Funktionär an einem Wochenende Mitglied jenes Gremiums ist, dessen Urteil er bei nächstbester Gelegenheit annullieren soll, wenn es angefochten wird?

Und welche juristische Ausbildung haben die Mitglieder des glorreichen «FIM MotoGP Stewards Panel» genossen?
Offenbar keine nennenswerte, deshalb werfen die Betroffenen Spencer & Co. vor, es existiere keine erkennbare Konstanz bei den Urteilen, es herrsche Willkür.

In anderen Sportarten wie zum Beispiel im Fußball müssen sich die Referees langsam hocharbeiten. Jeder Schiri beginnt im Amateur-Fußball, wer sich bewährt und vorbildliche Entscheidungen trifft, wird der Schiedsrichter in die nächsthöhere Liga befördert. Die Qualität wird ausgewiesenen Experten in den Gremien in den Verbänden beurteilt, die dann die jeweiligen Referees für den Aufstieg und höhere Aufgaben empfehlen. Nur die besten werden dann FIFA-Schiedsrichter und pfeifen an der Weltmeisterschaft oder in der Champions League. Sie müssen auch dann noch regelmäßig Kurse und Weiterbildungs-Seminare besuchen und absolvieren.

Und in der angeblich so professionellen MotoGP-Weltmeisterschaft?

Da sucht offenbar irgendein Stegreif-Komödiant des Weltverbands FIM ein paar reiselustige und unterbeschäftigte Funktionäre oder Ex-Rennfahrer zusammen, die dann restlos überfordert sind und unter Zeitdruck über Heil und Unheil der Teams, Werke und Fahrer urteilen.

Vor ein paar Jahren nahm sich Race Director Mike Webb notfalls mehr Zeit, studierte die Aufnahmen in Ruhe und sprach das Urteil erst am Donnerstag vor dem nächsten Grand Prix aus. Damals wurden noch «penalty points» (Strafpunkte) verteilt.

Die Strafmaßnahmen sahen damals folgendermassen aus: Bei insgesamt vier Strafpunkten musste der Sünder einmal vom letzten Startplatz losfahren. Bei sieben Strafpunkten wurde ein Rennstart aus der Boxengasse hinter dem Feld fällig. Und wer saisonübergreifend innerhalb von 18 Rennen zehn Punkte einsammelte, bekam die rote Karte – und musste beim nächsten Rennen pausieren.

«Drei Jahre lang hat es nur die Moto3-WM betroffen, aber sie bekommt ja kein Gehör. Jetzt ist auch die MotoGP dran», ärgert sich Liqui-Moly-Husqvarna-Teambesitzer Peter Öttl. «Die Stewards haben uns mit ihren Fehlentscheidungen schon viele Wochenenden zerstört.»

Immer wieder ärgern sich betroffene «Sünder», Freddie Spencer sei anderen Argumenten gegenüber nicht aufgeschlossen, er sei uneinsichtig.

«Die Stewards lassen keine andere Meinung gelten», wettern die Teammanager.

Stewards in Jerez: «Absurde Entscheidungen»

Weil beim Jerez-GP mit Morbidelli und Quartararo gleich zwei Yamaha-Werkspiloten umstrittene Strafen bekamen, wurde im Media Centre sogar der Verdacht geäussert, der ehemalige Honda-Superstar Freddie Spencer haben mit Yamaha noch eine Rechnung offen.

Wie auch immer. Die Verantwortlichen von Yamaha Motor Racing sprachen in Jerez von «absurden Entscheidungen, die den Sport zerstören, wenn es so weitergeht». Offenbar hat Yamaha diese Meinung auch gegenüber der FIM zum Ausdruck gebracht.

Die Penaltys von Jerez haben das Fass zum Überlaufen gebracht.

Spencer & Co. sind dann am Freitag um 18.30 Uhr beim Le Mans-GP bei der «Safety Commission» erschienen. Dort wollten Quartararo, Morbidelli, Bagnaia, Miller & Co. hören, auf welchen Grundlagen die Strafen ausgesprochen werden. Jack Miller bezeichnete das Meeting als «Zeitverschwendung». Aleix Espargaró sagte danach, er werde sich nie mehr eine Silbe zu diesem Thema verlieren, denn es ändere sich sowieso nichts.  

Die Teammanager, Hersteller, Fahrer und Fans ärgern und wundern sich vor allem über die fehlende Konstanz bei den Strafen von Spencer & Co. Denn vergleichbare Delikte wurden bei unterschiedlichen Fahrern oft unterschiedlich gewichtet und bestraft oder gar nicht geahndet. Viele Fahrer und Teamchefs (auch in der Moto3- und Moto2-Klasse) beschweren sich, dass die Stewards keine andere Meinung zulassen und gar nicht zuhören.

«Meine persönliche Meinung, die bei Ducati auch von Davide Tardozzi und Gigi Dall’Igna geteilt wird, lässt sich kurz auf einen Nenner bringen», erklärte Ducati-Sportdirektor Paolo Ciabatti im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Wenn ein Verhalten wie bei Marc Márquez am Sonntag in Portimão 2023 vorliegt, muss es bestraft werden. Auch bei einem Vorfall wie bei Nakagami in Catalunya 2022, als er Bagnaia und Rins aus dem Rennen beförderte, muss ein Penalty verhängt werden. Alex Rins erlitt dabei einen Handgelenksbruch. Doch Nakagami bekam keine Strafe.»

Zur Erinnerung: Spencer wird manchmal vorgeworfen, als ehemaliger Honda-Werkspilot gegenüber den Honda-Piloten besonders oft Gnade vor Recht ergehen zu lassen.

«Wenn keine folgenschweren Manöver wie bei Márquez in Portugal oder bei Nakagami in Barcelona 2022 passieren, betrachten wir solche Vorkommnisse als Rennunfälle», fasst Ciabatti zusammen. «Sonst wird man bald keine Überholmanöver mehr sehen.»

«Niemand bestreitet, dass ein Penalty fällig ist, wenn ein Fahrer einen anderen mit Absicht rammt», betont Paolo Ciabatti, der mit 65 Jahren über ausreichend Berufserfahrung im Rennsport verfügt.

«Was uns ärgert: Die Stewards haben Bagnaia im April in Jerez den ‘drop one position’-Penalty völlig unbegründet aufgebrummt. Doch als Jack Miller dort in der letzten Kurve ein deutlich aggressiveres Überholmanöver gegen Jorge Martin gemacht hat, ist er straffrei geblieben. Da ist gar nichts passiert. Null! Im selben Rennen. Martin hat dadurch zwei Plätze verloren.»

Paolo Ciabatti hat sich in Le Mans auch über die misslungene Aussprache zwischen den Fahrern und den FIM-Stewards geärgert, die von Fahrern wir Jack Miller als «Zeitverschwendung» bezeichnet wurde.

«Die Fahrer legten also ihre Fragen auf den Tisch und bekamen Antworten», fasst Ciabatti zusammen. «Unsere Fahrer haben berichtet: Wenn du im Rennen bei einem Überholmanöver einen Gegner berührst, musst du dich einen Platz zurückfallen lassen. Wenn du bei einem Überholmanöver einen Gegner zu Sturz bringst, musst du eine Long-Lap-Runde fahren. Doch einen Tag danach hatten diese Maßnahmen anscheinend schon keine Gültigkeit mehr. Denn Marc Márquez hat Spuren am Leder von Bagnaia hinterlassen, er hatte ihn berührt. Eine Strafe gab es nicht. Dann gab es den Vorfall zwischen Binder und Marini. Luca war anderer Ansicht als Brad und sagte, er sei von ihm berührt und von der Fahrbahn gedrängt worden. Es gab keine Strafe. Marini hat mir gesagt, er sei gerammt worden. Ich glaube ihm. Was Binder betrifft: Manchmal merkt ein Fahrer in der Hitze des Gefechts nicht, was genau passiert ist. Jedenfalls gab es im Sprint in Le Mans keine Strafen; es fehlt also weiter die Konstanz. Am Freitag wurden den Fahrern die Vorschriften erklärt. Am nächsten Tag wurden sie jedoch nicht angewendet.»

Johann Zarco ärgerte sich ebenfalls. «Die Stewards haben zu viel Respekt vor den Topfahrern», beschwerte sich der Franzose – und meinte damit Marc Márquez, der viel zu oft straffrei bleibt. Der Honda-Star nahm in Le Mans im Qualifying 2 sogar absichtlich einen Sturz und eine gelbe Flagge in Kauf, um in der ersten Startreihe zu bleiben. Und er verheimlichte dieses hinterlistige Vorgehen nicht einmal vor den Medien...

Ciabatti weiß, dass nicht jeder Zwischenfall klipp und klar beurteilt werden kann. «Wenn wir auf Luca Marini im Sprint Race in Portugal schauen… Er kam in die Kurve und rutschte übers Vorderrad weg. Leider war Bastianini dort auf der Außenspur. Luca hat ihn zu Fall gebracht, das führte bei Enea zum Bruch des Schulterblatts. Aber da war keine Absicht dahinter, also kann man diese Fahrweise nicht als unverantwortlich bezeichnen. Für mich gehören solche Vorkommnisse zum Motorradrennsport. Doch Marc Márquez ist in Portimão am Sonntag unverantwortlich gefahren, Nakagami letztes Jahr in Catalunya auch.»

Selbst Marc Márquez stellte in Le Mans klar: «Der einzige Vorfall 2023, der eine Strafe verdient hat, war meine Kollision mit Miguel Oliveira beim Saisonstart in Portimão.»

«Wir bei Ducati stimmen dieser Meinung in jeder Hinsicht zu», ergänzte Paolo Ciabatti.

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