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MotoGP-Saison 2015: Niemand ist unschuldig

Kolumne von Michael Scott
Wie immer hatte Valentino Rossi nach der Scharade beim Saisonfinale in Valencia das letzte Wort. Das Rennen, sagte er, sei «beschämend» gewesen.

Rossis Aussage bedeutete mehr, als er beabsichtigt hatte. Er fasste zusammen, was er als spanische Verschwörung für Lorenzos Sieg hielt. Ein ‹vorgetäuschtes› Rennen von Márquez und ein abgekartertes Spiel für Rossi.

«Beschämend» beschreibt auch sehr passend das ganze Melodrama und auch Rossis Verhalten – unter anderem. Nach einer fantastischen Saison war das der schandvolle Höhepunkt. Es wurde noch schlimmer, als sich Fahrer, Offzielle und das HRC-Team einmischten.

Beschämend und unnötig.

Wenn nur eine sofortige Entscheidung während des Malaysia-Rennens getroffen worden wäre, dann hätte so viel verhindert werden können.

2011 in Le Mans buchsierte Marco Simonelli Dani Pedrosa aus dem Rennen. Er wurde sofort mit einer Durchfahrtsstrafe belegt.

Es war eher eine überlegte Entscheidung als ein überambitioniertes Vorpreschen, den später hätte die Strafe noch immer verschäft werden können. Doch die Sache war vorbei – genauso wie Pedrosas Titeljagd.

Im Fall von Rossi wurde die Bestrafung verzögert, da sie «so wichtig für die Weltmeisterschaft» war und, weil – nennen wir es beim Namen – Rossi eben Rossi ist, das wichtigste aller Individuen. Ein weiterer Grund war, dass die Race Direction so sehr mit der Leitung des Rennens beschäftigt war, dass sie keine Zeit hatten, sich die Aufnahmen in Zeitlupe anzusehen. Das würde für eine unabhängige Jury wie in der Formel 1 sprechen, die neben ihnen arbeitet.

Die grundlegenden Tatsachen waren klar: Rossi hatte einen Sturz verursacht. Er hätte für den Anfang eine Durchfahrtsstrafe verdient. Es hätte sicher einen Sturm und Streit gegeben, aber keinen Start aus der letzten Reihe. Und keinen anderen Unsinn. Und wahrscheinlich wäre das Endergebnis dasselbe gewesen.

Unsinn wie HCR’s on-off-Anschuldigung wegen eines Fußtritts. Es gibt einen kleinen Ausschlag auf einem abstrusen Graph irgendwo, der laut Honda einen Tritt auf Márquez’ Vorderbremse beweist. Doch da auch keine Spuren von Rossis Leder auf dem Bremshebel zu finden waren, beweist es nur, dass der Hebel einen Schlag bekam.
Fragen blieben unbeantwortet, da HRC den Rückwärtsgang einlegte. Zweimal. HRC hatte versprochen, die Daten der Presse zu zeigen. Im letzten Moment änderten sie zweimal ihre Meinung.

Der sture Sportdirektor Livio Suppo ruderte ebenfalls zurück. Die Anschuldigung in Sepang wäre «vielleicht ein Fehler» gewesen. Sicher Druck von oben. Die Honda Motor Company konnte die Tweets und Posts genauso lesen wie jeder andere auch. Einige besagten: «Ich werde nie wieder eine Honda kaufen.»

«Vielleicht war es ein Fehler», kam auch von Lorenzo, der eine Disqualifikation gefordert hatte und sich in Rossis Einspruch beim obersten Sportgerichtshof einmischen wollte.

Es gab viele Absurditäten. Yamaha hatte eine große «All Star»-Gala für den Samstag in Valencia geplant, um ihr 60-jähriges Jubiläum zu feiern. Hohe Tiere aus Japan und Weltmeister aus der ganzen Welt wurden eingeflogen. Dann wurde die Gala plötzlich abgesagt – zwei Tage vorher.

Die Dorna sagte zudem die offizielle Pressekonferenz am Donnerstag ab. Keiner weiß, wovor sie so große Angst hatten? Dass die Fahrer anfangen, sich gegenseitig auf die Wasserflaschen zu spucken?

Dann dieses letzte Rennen. Als Márquez Lorenzo über die gesamte Distanz wie ein Schatten folgte. Derselbe Fahrer, der in Sepang neunmal in einer Runde die Plätze mit Rossi tauschte? Fuhr er, wie es Rossi sagte, als Bodyguard? Verhinderte er sogar Pedrosas finale Attacke? Oder war es nur der übliche Lorenzo-Sieg – wie bei seinen anderen sechs Siegen in diesem Jahr, bei denen er von der ersten bis zur letzten Runde führte?

Wir werden es nie erfahren. Die beste Vermutung ist, dass niemand unschuldig ist. Doch wenn Márquez wirklich unfair gespielt hat, dann war es das perfekte Verbrechen. Der einzige Beweis ist Hörensagen. Alles führt zu Konflikten.

Eine Atmosphäre voller Verschwörungstheorien in Valencia warf ein neues Licht auf Rossis dubiose und absolut unerwartete verbale Attacke auf Márquez mit der alles began. Warum hatte er das getan? Damals konnte es niemand herausfinden. In der Rückschau könnte er den Boden für eine Erklärung im Fall eines Titelverlusts bereitet haben?

Wenn dem so ist, dann ist er viel durchrtriebener und kalkulierender als jede spansiche Verschwörung es je werden könnte. Das Resultat ist, dass immer ein Hauch von Verdächtigung über Lorenzos Titelgewinn 2015 schweben wird.

Solche Theorien haben aber nur wenig Wert. Evergreen Rossis märchenhafte Rückkehr zum Titel war verloren.

Ob es euch gefällt oder nicht: Der schnellere und nicht der beliebtere Fahrer hat gewonnen.

Die Würde des Rennsports hat jedoch gelitten, in Zusammenhang damit auch Rossi selbst. Wenn «Würde» nicht ein zu absurdes Wort für einen rücksichtslosen und von manischem Egoismus geprägten Sport ist.

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