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Hat Ken Roczen bei Honda America noch Perspektiven?

Kolumne von Thoralf Abgarjan
Roczen traf in Anaheim den CEO von American Honda, Noriya Kaihara

Roczen traf in Anaheim den CEO von American Honda, Noriya Kaihara

Ende dieses Jahres endet das Engagement von Ken Roczen bei Honda America. In der Retrospektive haben sich die Erwartungen der Japaner nicht erfüllt. Eine Fortsetzung des Engagements scheint unwahrscheinlich.

Als Ken Roczen im Jahre 2017 von Suzuki zu Honda wechselte, war das Ziel klar definiert: Der Deutsche war engagiert worden, um für Honda die Supercrossmeisterschaften zu gewinnen, die damals noch WM-Status hatte. Ken befand sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Nichts schien ihn aufhalten zu können. 'German Wunderboy', wie er damals noch genannt wurde, gewann die ersten beiden Rennen der Saison 2017 in Anaheim und San Diego. Er und der spätere Champion Ryan Dungey fuhren in ihrer eigenen Liga und hängten den Rest des Feldes um mehr als 20 Sekunden ab. Das sind Welten in diesem Sport.

Doch der 3. Lauf in Anaheim-2 wurde zum Alptraum für Roczen und für HRC. Der WM-Führende muss nach schlechtem Start eine Aufholjagd aus dem Mittelfeld starten. Doch er ist so überlegen, dass er bereits nach 5 Runden P3 erreicht. Der Thüringer ist genervt, weil ihm sein damaliger Teamkollege Cole Seely keinen Platz zum Überholen lässt. Der Deutsche wird in Runde 9 von seiner Honda katapultiert und fliegt auf den harten Boden das Angel-Stadiums. Der Rest ist bekannt: 11 Operationen und der Einsatz eines Knorpel-Spender-Transplantats.

Als Roczen 2018 auf die Strecke zurückkehrt, wird sein Comeback zurecht als Jahrhundertereignis des Sports gewürdigt. Selbst alte Hasen wie Ricky Carmichael ziehen vor Roczen den Hut. Doch von seiner früheren Überlegenheit ist nicht mehr viel übrig geblieben. Roczen fährt zwar vorne mit und erreicht in 6 Rennen auch 3 Podien, aber er hat es deutlich schwerer und ist in viele Zweikämpfe verwickelt. Cooper Webb provoziert den Deutschen und dieser revanchiert sich mit Härte. Doch das Unterfangen geht nach hinten los: Roczen kollidiert mit Webb und gerät mit dem Arm zwischen Schwinge und Hinterrad seiner Yamaha. Wieder fällt Roczen nach 6 Rennen für den Rest der Saison verletzt aus.

2019 kehrt Roczen in die Supercross-WM zurück und kann zeitweise sogar die Tabellenführung übernehmen. Doch die Zeit der Siege ist vorbei. Er steht nur sechsmal auf dem Podium, aber nie ganz oben. Die Erinnerungen an Anaheim-2 2017 und San-Diego 2018 fahren mit. Sein Vertrag mit Honda wird Anfang Mai 2019 trotzdem um weitere 3 Jahre verlängert, bis einschließlich 2022.

2020 schien sich Roczen endlich von seinen traumatischen Erlebnissen lösen zu können. Zur Saisonmitte in Atlanta liegt er wieder vorn, wenn auch nicht mehr so überlegen wie 2017. Beim Rennen auf dem Daytona Speedway erteilt ihm Tomac eine Lektion. Es folgt die monatelange Coronapause. Die 7 restlichen Rennen in Salt Lake City machen Tomac und Webb unter sich aus, Roczen gewinnt zwar das Rennen von Salt Lake City 5, doch er verliert im letzten Rennen noch den zweiten Tabellenrang gegen Cooper Webb.

Roczen verzichtet im Sommer 2020 auf die Teilnahme an den US Nationals, weil er sich voll und ganz auf die Supercrossmeisterschaften 2021 konzentrieren will. Tatsächlich kommt er im Januar auch gestärkt zurück, aber nicht stark genug, um seinen Widersacher Cooper Webb aufzuhalten, dem der Wechsel von Yamaha zu KTM im Jahre 2019 einen wahren Schub verliehen hat. Roczen holt 4 Siege in 17 Rennen, Webb steht achtmal ganz oben und wird Champion.

Dieses Jahr ist nun bereits Roczens 6. Jahr in Honda-Diensten. Es könnte Roczens letztes Jahr in rot werden. Der Meisterschaftszug ist längst abgefahren, obwohl die Supercrossmeisterschaften noch nicht einmal die Hälfte der Saison absolviert haben. Dass ein Rückstand von 44 Punkten bei der Stärke des Feldes aufholbar ist, glauben nicht einmal die größten Optimisten. Die Mission Supercrosstitel ist für Roczen und Honda für dieses Jahr abgehakt.

Und es knirscht im Gebälk: Sogar in den offiziellen Pressestatements klagt der Deutsche über anhaltende Setup-Probleme, die so weit gehen, dass man auf das Vorjahres-Setup zurückgekehrt ist.

Auf der anderen Seite des Honda-Zelts stehen schon die Nächsten bereit: Chase Sexton ist 22 Jahre und hat in dieser Saison in San Diego seinen ersten 450er Sieg geholt. In der 250er Klasse sorgt Jett Lawrence für Furore. Er ist erst 18 Jahre alt und erinnert stark an Roczens Anfangsjahre. Seine Gage, bestehend aus dem Honda-Deal und weiteren Sponsorenverträgen, hat in diesem Jahr die Millionen-Grenze überschritten, aber das dürfte nur ein Bruchteil von Roczens Erträgen sein. Deshalb macht schon aus kaufmännischer Sicht für Honda eine erneute Verlängerung des Deutschen kaum noch Sinn.

Kurzer Perspektivwechsel ins KTM-Werksteam: Cooper Webb hadert in dieser Saison mit ähnlichen Problemen wie Roczen, wenn auch nicht ganz so heftig wie er. Webbs Vertrag endet ebenfalls in diesem Jahr.

Roczen selbst erklärte kürzlich, er denke noch nicht ans Aufhören. Wohin könnte er also wechseln? Kawasaki und Yamaha scheiden schon aus mehreren Gründen aus: Erstens haben diese beiden Werksteams eine enge Verflechtung mit Hauptsponsor Monster Energy. Roczen ist ein Red Bull Athlet und wird das auch bleiben. Zweitens haben sich beide Teams in diesem Jahr komplett neu aufgestellt und sind damit erfolgreich, wie die Beispiele Tomac und Anderson zeigen.

Für Roczen könnte deshalb nur eine Rückkehr zu KTM in Frage kommen. Erstens: Die Verträge von Webb und Musquin enden 2022. Nur Aaron Plessinger hat einen Vertrag bis 2023. Zweitens: KTM und Roczens Hauptsponsor Red Bull passen ideal zusammen. Drittens: Wenn Roczen noch nicht aufhören und noch etwas erreichen will, braucht er dringend einen Tapetenwechsel. Seine Zeit bei Honda scheint abgelaufen zu sein.

Dass Roczen in einem B-Team anheuert, wie Rocky Mountain KTM oder Twisted Tea Suzuki, ist extrem unwahrscheinlich. Selbst wenn der Deutsche nur noch Bruchteile seiner aktuellen Gage erhielte, würde das alle Budgets kleinerer Teams sprengen.

Bliebe noch eine theoretische, rein spekulative Option: Triumph. Das britische Traditionsunternehmen hat seinen Einstieg in den Offroadbereich angekündigt. Am Rande der diesjährigen Supercross-Events waren die Briten bereits mit Ausstellungen präsent. Kens früherer Teamchef, Ricky Carmichael, ist in das Triumph-Offroad-Projekt voll involviert und von den Fortschritten begeistert. Wann Triumph aber wirklich mit einem fertigen Bike im Wettbewerb auftaucht, ist im Moment völlig unklar.

Die Zeit läuft derzeit gegen Roczen, denn die künftigen Stars bei Honda heißen Jett Lawrence und Chase Sexton. Falls Roczen bei Honda bliebe, wäre das weder für ihn noch für Honda von Vorteil, denn die Weichen für die Zukunft sind längst gestellt. Die nächsten Wochen werden mehr Klarheit schaffen.

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