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Emerson Fittipaldi: Was die Rennlegende bereut

Kolumne von Mathias Brunner
​Der Brasilianer Emerson Fittipaldi ist am 12. Dezember 2018 quirlige 72 Jahre alt. Der Formel-1-Weltmeister von 1972 und 1974 hat eine grosse Karriere hinter sich. Aber die Rennlegende spürt auch Reue.

Egal, ob beim Heimrennen in Interlagos oder in Monza, in Mexiko-Stadt oder Abu Dhabi: Wo Emerson Fittipaldi auftaucht, bildet sich um die brasilianische Rennlegende sofort eine Menschentraube. Der frühere Star-Pilot von Lotus und McLaren ist einer der ganz Grossen: Formel-1-Champion von 1972 und 1974, missglücktes Abenteuer mit dem eigenen Grand-Prix-Team, Neuanfang in den USA, CART-Gesamtsieger 1989, Indy-500-Gewinner 1989 und 1993, aber immer wieder auch schwere Unfälle, auf und neben der Rennstrecke. Schliesslich hörte Emerson auf, als er nach einem weiteren Crash zur Einsicht kam: «Gott wollte mir ein Zeichen geben.» Zum Glück hat Fittipaldi darauf gehört, so kann er am 12. Dezember bei guter Gesundheit seinen 72. Geburtstag feiern.

Heute arbeitet der 14fache GP-Sieger als Rennkommissar der FIA, als Botschafter des Mexiko-GP und als Werbeträger in eigener Sache. Etwa, um für seinen Supersportwagen Werbung zu machen oder sich um die Karriere der nächsten Renngeneration der Familie Fittipaldi zu kümmern. Emersons Enkel Pietro Fittipaldi (22) ist für den Haas-GP-Rennstall bei den Abu-Dhabi-Tests gefahren und ist von den US-Amerikanern als Versuchsfahrer verpflichtet worden. Pietros Bruder Enzo (17) ist in der italienischen Formel 4 Meister geworden, in der deutschen Meisterschaft reichte es zum dritten Schlussrang.

Emerson Fittipaldi hat den Kontakt zur aktuellen Rennszene nie verloren, er ist kein ewig Gestriger, der nur von der guten alten Zeit faselt. Nicht alles an der alten Zeit war gut. Was sehr gut war: Es gab mehr Raum für Geschichten, die Fahrer mussten nicht auf «political correctness» Rücksicht nehmen oder auf den Verhaltenskodex von weltweit tätigen Konzernen. Wenn Fittipaldi in seinem Blog bei McLaren über den Rennsport der 70er Jahre schreibt, schwingt die ganze südamerikanische Begeisterung mit, eine klasse Epoche, aber in seine Sätze mischt sich auch leise Wehmut. Weil der Sport damals irre gefährlich gewesen ist, und Fittipaldi mindestens etwas bereut.

«Vor allen anderen wollte ich immer zwei Grands Prix gewinnen – mein Heimrennen in Brasilien und Monaco. In Brasilien konnte ich 1973 und 1974 siegen, aber Monte Carlo ist mir immer entgangen. Selbst heute trauere ich diesen entgangenen Siegen nach.»

«Monaco ist eine Nummer für sich. Du hast null Raum, du musst unglaublich präzise fahren, gleichsam aber aggressiv. Nun gehen aber Aggression und Präzision selten Hand in Hand. Und doch – schaffst du das nicht, bist du im Fürstentum einfach nicht schnell genug.»

«Du brauchst überdies gute Bremsen und eine gesunde Traktion, ferner eine gut fühlbare und ansprechende Lenkung, überhaupt muss die ganze Abstimmung so gestaltet sein, dass du knackig einlenken kannst. Sind all diese Faktoren gegeben, dann kannst du den Wagen in ein kontrolliertes Übersteuern beim Einlenken zwingen. Es geht in einem gemässigen Vierrad-Drift zum Scheitelpunkt, mit leichtem Gegenlenken und genug Gas-Modulation, um den Drift zu halten. Das belohnt dich mit einer perfekten Position ausgangs der Kurve zum Beschleunigen.»

«Aber das alles reicht noch nicht: Weil Monaco so eng ist, musst du die Leitschienen bewusst in die Linie mit einbeziehen, fast an jedem Kurvenausgang. Ich habe immer gesagt: „Du weisst, dass du eine gute Runde gefahren hast, wenn die Seitenwände deiner Reifen angeschliffen sind.“ Daran hat sich nicht viel geändert.»

«Du musst auch die Haftung der Reifen fühlen können und zwar an allen vier Ecken, denn Monaco ist so buckelig, rauf und runter, mit Dellen in der Bahn und nach aussen hängenden Kurven, dass selten alle vier Laufflächen sauber auf dem Asphalt liegen. Bei uns damals war alles ein wenig anders: Unsere Autos hatten erheblich weniger Abtrieb, also haben sich die Räder viel mehr bewegt. Wir haben die Stabis vorne ganz weich eingestellt und hinten bretthart, um dem etwas entgegen zu wirken. Graham Hill hat immer auf extrem steife hintere Stabis geschwört, und immerhin hat er Monaco fünf Mal gewonnen. Das war gewiss kein Zufall.»

«Wenn Sie die Möglichkeit haben, dann schauen Sie sich mal in Ruhe Formel-1-Aufnahmen von Monaco aus den 60er und 70er Jahren an. Ausgangs des Casino-Platzes streift das linke Hinterrad die Leitschiene und rechts vorne hängt das Rad in der Luft. Diese Kombination ist einzigartig.»

«Last but not least musst du Durchhaltevermögen haben. Wir haben noch mit einem herkömmlichen Schalthebel die Gänge gewechselt, also nicht mit den heutigen Schaltwippen hinterm Lenkrad. Wir haben im Schnitt alle zwei Sekunden geschaltet, 45 Mal pro Runde, also 3600 Mal in einem 80-Runden-Rennen und etwas vor meiner Zeit sind sie im Fürstentum sogar 100 Runden gefahren!»

«Mein erster Monaco-GP war 1971. Ich hatte mich auf Rang 17 qualifiziert, und am Start kollabierte die Kupplung. Ich trug den Wagen dennoch ins Ziel und wurde Fünfter. Als ich meinen rechten Handschuh auszog, sah ich nur noch Blut vor lauter offenen Blasen vom vielen Schalten.»

«1972 pflanzte ich den Lotus auf Pole. Vor dem Start begann es zu regnen. Mein Start war mässig, ich lag nach dem Tunnel hinter Clay Regazzoni, als er die Einfahrt in die Hafenschikane verhagelte und in den Notausgang fuhr. Ich konnte in der Gischt hinter ihm nichts sehen und tat es ihm gleich. Wir mussten warten, bis das ganze Feld vorbei war, ehe wir wieder ins Geschehen eingreifen konnten. Ich arbeitete mich durchs Feld, aber Jean-Pierre Beltoise und Jacky Ickx konnte ich nicht mehr schnappen.»

«1973 und 1975 wurde ich jeweils Zweiter: 1973 folgte ich Jackie Stewart im Tyrrell, mein Lotus war schneller, aber ich fand einfach keinen Weg an ihm vorbei. Ich habe damals immer gesagt: Wenn du Jackie folgst und auf einen Fehler wartest, dann richte dich auf eine lange Wartezeit ein, sagen wir einige Jahre oder so. Jackie machte einfach keine Fehler und basta. Ich kam 1,3 Sekunden hinter ihm ins Ziel.»

«1975 verlief es ähnlich – ich konnte zum Schluss des Rennens zum Leader aufschliessen, dieses Mal war es Niki Lauda im Ferrari. Aber leider machte auch Lauda selten Fehler, dieses Mal fehlten mir 2,8 Sekunden zum Sieg. Die restlichen Monaco-GP waren weniger erfreulich. Die Autos von Copersucar-Fittipaldi waren einfach nicht konkurrenzfähig genug, selbst wenn ich 1976 und 1980 jeweils Sechster werden konnte.»

«Ich bin deshalb traurig über die entgangenen Siege, weil ich Monaco immer geliebt habe. Aus Fahrersicht bleibt der Kurs eine einmalige Herausforderung – bis heute.»

Emerson Fittipaldi

144 Grands Prix
(von Grossbritannien 1970 bis USA 1980)
6 Pole-Positions
14 Siege
35 Podestplätze
6 beste Rennrunden
Weltmeister 1972 und 1974
CART-Champion 1989
Indy-500-Sieger 1989 und 1993

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