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Kimi Räikkönen: Comeback der Superlative

Von Peter Hesseler
Räikkönen trumpfte 2012 ganz gross auf

Räikkönen trumpfte 2012 ganz gross auf

Weltmeister-Serie Teil 7: Wie der Eismann in die Formel 1 zurückkehrte – und einschlug wie eine Bombe.

Mehr als Kimi Räikkönen kann ein als Rückkehrer in den Grand-Prix-Sport nach zwei Jahren Abwesenheit eigentlich nicht richtig machen.

Da wäre zunächst der Zeitpunkt. Der Finne verlustierte sich zwei Jahre in der Rallye-WM, bevor er sich im Herbst 2011 zum Formel-1-Comeback entschied. Bevor er in der Rallye-WM Wurzeln schlagen konnte, wechselte der Formel-1-Weltmeister von 2007 zurück in seine sportliche Heimat. Das war klug, denn das Fahren liegt Räikkönen zwar in scheinbar allen Fortbewegungsmitteln auf Rädern, aber im 750-PS-Monoposto ganz besonders. Schiesslich hatte er zuvor neun Jahre erfolgreich darin verbracht. Und eine Rückkehr zu einem späteren Zeitpunkt wäre – altersbedingt – schwieriger geworden. Kimi ist dieses Jahr 33. Er hätte bei späterer Rückbesinnung noch mehr Zweifler auf den Plan gerufen.

Denn in deren Köpfen war noch die Saison 2009 präsent, mit der er sich bei Ferrari eher lustlos aus der Formel 1 verabschiedet hatte. Kimi sieht das anders: «Es war fahrerisch eines meiner besten Jahre.» Immerhin hatte er damals noch ein Rennen in den Ardennen gewonnen. Und war WM-Sechster geworden.

Aber gewinnen? Ein Rückkehrer? Im Lotus? Und ist Kimi überhaupt fit genug? Hat er noch die richtige Einstellung? War er nicht schon damals zu faul? Im Umgang mit Sponsoren ist er doch auch eine Katastrophe. Und die Pirellireifen kennt er auch nicht. So raschelte es aus dem Blätterwald, als der Schweiger aus Espoo den Wiedereintritt in die Atmosphäre des GP-Sports wagt.

Heute wissen wir: alles Humbug. Räikkönen legte sensationelle Leistungen in Serie hin, bis hin zu seinem – ja – Sieg in Abu Dhabi im drittletzten Saison-GP.

Lotus bewies mit der Verpflichtung des Finnen eine gute Nase. Allerdings eher gezwungenermassen. Dem Team war Anfang 2011 mit dem verletzten Robert Kubica ein echter Racer abhanden gekommen. Die Kubica-Nachfolger Nick Heidfeld und Bruno Senna sowie Vitaly Petrov im zweiten Auto hatten nicht das gebracht hatten, was man sich im ehemaligen Benetton-Team erhofft hatte. Mit Räikkönen schien das richtige Kaliber gefunden zu sein: wie Kubica mit einer extremen Neigung für die Querfahrt im Rallye-Auto ausgestattet. Wie Kubica mit enormer Grundgeschwindigkeit. Wie Kubica ein mürrischer, eher ruppiger Zeitgenosse. Wie Kubica einer, der für zweite Plätze nur deshalb das Treppchen besteigt, weil das Standard-Procedere im Motorsport es so vorschreibt.

Nur: Der Teamchef, Eric Boullier, wollte diesen Kimi gar nicht. Er musste erst – von oben – überzeugt werden.

Soweit die charakteristischen Eckaten. Doch die grosse Frage lautet Ende 2011, Anfang 2012: Stimmt Kimis Tempo noch?

Das Gemurmel verstummt abrupt, als der damals 18-fache GP-Sieger am ersten Testtag in Jerez Anfang Februar Bestzeit vorlegt. «Ich habe ein gutes Gefühl zum Auto», sagt der Mann, den Lotus aus der Versenkung geholt hat, danach. Und: «Ich hatte bei ersten Tests früher schon einige schlechtere Autos.»

Der Vorjahres-Fünfte der WM-Konstrukteurswertung hat mit Räikkönen wieder ein Ass im Ärmel. Das zeigt sich ab Stunde null seiner zweiten F1-Karriere auch ausserhalb des Cockpits. Der Eismann ist sofort Mittelpunkt des Teams, als hafte ihm eine natürliche Autorität an. Er bringt sich sachlich ein, zieht keine Show ab, macht seinen Job und verschwindet wieder.

Kimi ist aus dem Stand die Nummer 1 im Team. Lotus hat zwar das grosse Los gezogen, weiss es aber noch nicht. Denn der ebenso in  die F1 zurückgekehrte Romain Grosjean ist vom absoluten Tempo her genauso schnell, wenn nicht schneller als Kimi.

Der Finne beginnt sein zweites F1-Leben gewohnt entspannt. «Es sind Autos, die ich kenne. Daran hat sich nicht viel geändert.  Neu sind die Reifen. Na und? Reifen sind Reifen.»

Den einzigen Haken sieht er in der Vielzahl der Bedienungselemente auf dem Lenkrad. «Es könnte ein paar Tage dauern, die Knöpfe zu lernen. Aber dafür hat man doch Testfahrten», sagt er.

Und beginnt sein zweites Formel-1-Leben wie er sein erstes gestaltet hat: mit Eskapaden abseits der Strecke. Die Tinte unter seinem Vertrag ist kaum getrocknet, stürzt er in Österreich vom Ski-Bob. Er muss am rechten Handgelenk operiert werden. Ihm wird ein Stück Metall zur Stabilisierung eingesetzt. Er verliert kein Wort darüber, reibt sich aber immer wieder die lädierte Stelle, wenn er sich unbeobachtet fühlt. Heute sieht man dort noch eine stattliche Narbe von etwa sechs Zentimetern Länge.

Die Testphase verläuft dennoch ruhig, viel ruhiger als seine ausgelassenen Winterwochen in den Alpen, ausser, dass am Lotus die Anbindung der Vorderradaufhängung geändert werden muss – und ein Test komplett flach fällt.

Kimi sagt, lakonisch wie eh und je: «Das ist nicht optimal, aber nicht zu ändern.» Dabei bräuchte er dringend Fahrpraxis. Die holt er sich dann auf seine Art. Räikkönen wird 2012 mehr Runden drehen als jeder andere Fahrer im Feld: 1191 an der Zahl. Er fährt immer ins Ziel. Nur ein einziges Mal schafft er es dabei nicht in die Punkteränge, nämlich in China, wo er bis kurz vor Schluss auf Platz 2 liegt. Dann bauen seine Walzen dramatisch ab – und er wird nach hinten durchgereicht.

Was vom ersten Meter an auffällt: Räikkönen ist ein reinrassiges Renntier geblieben. Er qualifiziert sich in Melbourne nur auf Rang 17, fährt dann vor auf Position 7. Schon da zeigt sich der Unterschied zum grünen Lotus-Spross Grosjean: Qualifikation auf Rang 3, dann Unfall.

Räikkönen gibt also nicht nur statistisch den Gegenentwurf zu Grosjean (zehn Unfälle), im Rennen wird er auch mit jedem Wochenende schneller. Er fühlt sich wohl im Team, gewinnt zusehends seine alte Sicherheit zurück. Und überzeugt mit gewaltigem Vorwärtsdrang. «Er hat nichts von seinen Fähigkeiten verloren», urteilt Nick Heidfeld, sein ehemaliger Sauber-Teamkollege, aus der Ferne, «besonders im Rennen ist Kimi unheimlich stark. Das war schon immer so.»

Fehler? Fehlanzeige. Mal ein folgenloser Dreher, mehr lässt er nicht zu.

«Kimi ist ein preiswerter Fahrer», frohlockt Team-Vorstand Patrick Louis in Abu Dhabi. Da hat er aber noch nicht errechnet, was der Eismann als WM-Dritter an Punkten zusammen fährt. Am Ende werden es satte 207 sein. «Viel mehr, als wir erwartet hatten», gesteht Teameigner Gérard Lopez. Und muss seinem Topfahrer bei 50000 Dollar Punktprämie mehr als zehn Millionen Dollar extra überweisen – zusätzlich zu 7,5 Millionen Basisgehalt. Allein für seinen Abu-Dhabi-Triumph streicht der Eismann 1,25 Millionen ein.

Räikkönens Rückkehr war also nicht nur sportlich eine Spitzenleistung. Wir erinnern uns: Auch beim Abschied hatte er schon richtig Kasse gemacht. Ferrari überwies ihm 2011 eigens 35 Millionen Dollar dafür, dass er seinen Vertrag vorzeitig auslaufen liess und nicht mehr Formel 1 fuhr. Man darf also vermuten, dass sich Kimi nicht aus existenziellen oder monetären Gründen den F1-Kick zurückholte. Und liegt richtig: «Ich wollte nicht mehr nur gegen die Uhr fahren, sondern gegen Konkurrenten. Die Rad-an-Rad-Duelle habe ich in der Rallye am meisten vermisst.»

Sein  Lotus ist zu Jahresbeginn eine Macht, denn der E20 geht pfleglich mit den Reifen um. Das zahlt sich gerade bei Hitze aus, wie in Bahrain. Es ist Kimis viertes Rennen. Und sein erstes Podest der Neuzeit. Allerdings kann er sich nicht recht freuen: «Sicher ist ein Podest gut, gut für mich, gut für das Team, aber es ist eben kein Sieg.» Sondern  «nur» Rang 2.

Bemerkenswert daran ist besonders: Räikkönen hat im letzten Renndrittel den langsameren Vettel im Grossformat vor sich, kommt aber nicht an seinem acht Jahre jüngeren Squash-Kumpel vorbei. Einmal setzt er mit geöffnetem Heckflügel in der DRS-Zone zum Überholen an, aber just als Kimi aus dem Windschatten zieht, zackt Vettel ihm vor die Nase und vereitelt das Manöver. Dadurch rettet Vettel seinen ersten Saisonsieg. Räikkönen nimmt den (erlaubten) Spurwechsel des Weltmeisters kommentarlos hin. Begeistert ist er nicht.

Das Bahrain-Podest wird auf Platz 3 übrigens von Kimis Teampartner vervollständigt, Romain Grosjean. Womit klar ist: Der E20 ist keine Lotus-Blüte.

Das einzige, worüber Räikkönen klagt, ist die Spitzengeschwindigkeit des E20. Und  dessen Lenkung. Hier fehlt es etwas an der Präzision und Leichtgängigkeit. Die Lotus-Ingenieure stöhnen, denn Kimi ist in dieser Hinsicht von drei Jahren bei Ferrari noch verwöhnt.

Fünf verschiedene Ausführungen der Lenkung werden bis zum Monaco-GP produziert. Und was macht Räikkönen? Stellt nach wenigen Runden im freien Training das Auto einfach ab. Die Steuermöglichkeiten passen ihm immer noch nicht. Und Monaco ist wohl der Kurs, auf dem ein Fahrer am wenigsten auf eine perfekte Lenkung verzichten kann.

Kimi wird beim Jahres-Höhepunkt nur Neunter. Und Lotus tritt öffentlich nach: «Wer in Monaco nicht die gesamte Trainingszeit ausnutzt, darf sich nicht wundern, wenn es schief geht», sagt Technikchef James Allison. Nach aussen heisst es: «Mehr Lenkungen bauen wir jetzt nicht mehr, Kimi muss damit leben, was er hat.»

Der Vorfall zwischen dem Team und dem Star wirkt wie eine erste Kleinkrise, verpufft aber wirkungslos. Denn Räikkönen ignoriert die Kommentare der Verantwortlichen. Und Lotus macht sich aber schliesslich klar: Räikkönen ist nicht bekannt dafür, technisch Unmögliches zu fordern. Im Gegenteil: Er gilt als genügsam. Das bedeutet: Wenn er mal etwas fordert, dann hat es einen Grund. Deshalb arbeitet man im Hintergrund leise weiter an der Lenkung.

Lotus  ist damit bereits zum zweiten Mal in einer internen Auseinandersetzung mit seiner Nummer 1 der Verlierer. Schon im Januar hatte der Pilot den Wunsch geäussert, mit einem anderen Overall als dem des offiziellen Teampartners (OMP) zu fahren.

«Kommt gar nicht in Frage», lautet die Antwort von oben. Und verhallt ungehört. Kimi zieht an, was ihm passt. Und Lotus nimmt es hin, solange er fährt wie ein Uhrwerk.

Dafür verbietet ihm der Boss jegliche Ausflüge in den Rallyesport. Ds ist mit Kuibica schliesslich schon einmal schief gegangen. Lotus braucht Räikkönen. Und wie sehr , das wird sich erst noch zeigen.

Lesen Sie morgen, 30. Dezember, den achten Teil unserer Weltmeister-Serie: Wie Räikkönen ganz gross auftrumpfte.

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