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Kimi Räikkönen: Lehrstunden vom Eismann

Von Peter Hesseler
Räikkönen trumpfte 2012 ganz gross auf

Räikkönen trumpfte 2012 ganz gross auf

Weltmeister-Serie 8: Wie der finnische Weltmeister von 2007 immer besser wurde – und in Abu Dhabi schliesslich der Beste von allen.

Dieses Uhrwerk nimmt zur Saisonmitte noch mal spürbar Fahrt auf, denn jetzt hat Räikkönen die Abläufe verinnerlicht und die Pirellireifen kennen gelernt. Ab dem Europa-GP in Valencia punktet er sechs Mal in Serie zweistellig. In Budapest ist er klar schnellster Mann des Rennens. Nur an der falschen Stelle. Hamilton nutzt seine Pole-position und die Führung sowie die motorische Überlegenheit des McLaren-Mercedes auf der Start- und Zielgeraden geschickt aus. «Die war zu kurz, um vorbei zu kommen», befindet der Finne knapp. Er hat aber wieder Mal ganz oben angeklopft.

Die Tür zum obersten Treppchen wird erst später aufgehen. Kimi braucht Geduld. Und wenn Finnen eines können, dann ist es warten.

Kimi Räikkönen feierte 2012 eine Rückkehr der Sensationen. Dabei glänzte er vor allem durch Beständigkeit – natürlich auf extrem hohen Niveau. Er strafte alle Skeptiker Lügen. Er kreierte absurde Momente, er polierte seine Marke auf neue Rekord-Werte. Er füllte seine Kasse. Und bereitete den Fans jede Menge Freude.

Welch ein Comeback! «Das beste aller Zeiten», erklärte aus Australien der ehemalige Weltmeister Alan Jones. Der hatte in den 80er Jahren weniger beeindruckt als Kimi, als er es im GP-Sport nach längerer Pause nochmals wissen wollte.

Waren Räikkönens Rennleistungen vor der Sommerpause schon mehr als beeindruckend, so wurd Kimi Räikkönen danach immer besser – und schneller. Vor allem in den Qualifikationen…

Kein Wunder: Er fand seine alte Sicherheit wieder. Seine Qualifikationsränge interessieren ihn aber nicht im Hinblick auf das teaminterne Duell mit Romain Grosjean, denn der Genfer verabschiedet sich trotz anfänglich besserer Qualifikationen im Rennen sowieso regelmässig auf den ersten Metern. Räikkönen interessiert nur der Wert seines Startplatzes als solcher. Und selbst der nicht immer. Als er in Montreal als Zwölfter den Sprung unter die ersten Zehn verpasst, meint er nur: «Davon geht die Welt nicht unter.»

Ein lapidarer Satz, der aber viel über das Erfolgsgeheimnis der Nordmanns aussagt. «Er hadert nicht», sagt der finnische Physiotherapeut Aki Hintsa, «niemals. Nicht mit sich, nicht mit anderen, nicht mit der Technik. Stattdessen konzentriert er sich immer nur darauf, was kommt. Und das ausschliesslich.» Dadurch spart Räikkönen wertvolle Energien.
Hintsa hat Recht: Als Kimi 2007 in Interlagos zum Finale antritt und von Reportern gefragt wird, ob er die rechnerischen Möglichkeiten kennt, die ihm zum Titelgewinn gereichen würden, sagt er: «Nein. Ich muss sowieso gewinnen, alles andere sagen mir die Ingenieure dann schon am Funk.»

Auch im Fahrerlager verschwendet Räikkönen freiwillig keine Kalorie. Wenn er etwa vom Motorhome an die Boxen rüber muss, schaut er immer zuerst durch ein Fenster auf den dazwischen liegenden Boulevard. Wenn keine Wegelagerer draussen warten, die ihm auf die Schulter klopfen oder ein Foto oder Autogramm wollen – und keine Journalisten, die ihn aufhalten könnten, hastet er schnell auf die andere Seite. Sonst wartet er ab…
In den Rennen beweist er phänomenale Übersicht. Er hält er sich konsequent aus jedem Schlamassel heraus. Und ist am Saisonende einer von acht Fahrern, die ohne Strafe über die 20 Rennen gekommen sind. In seiner gesamten Karriere (seit 2001) wurde er noch kein einziges Mal wegen eines Fouls bestraft wurde, aber zwei Mal, weil er zu spät zu Pressekonferenzen erschien…

«Warum soll ich andere mit Gewalt behindern, wenn die schneller sind?”, fragte er. «Das will ich doch auch nicht erleben.» Das ist, man glaubt es kaum: Renngeist vom alten Schlag. Erstaunlich, wie weit man damit heute noch kommen kann.

Nach der Sommerpause scheint es für Lotus so weiter zu gehen wie davor, doch der Schein trügt. Platz 3 in Spa-Francorchamps ist schon mehr dem Fahrer zuzuschreiben als dem Auto. Lotus werkelt seit vier Rennen an einem Heckflügelmodell, das auf den Geraden Strömungsabrisse produziert und dadurch kurzfristig für Topspeed-Überschüsse sorgt. Die Gegner haben diesen Trick längst umgesetzt. Und als Lotus schließlich beginnt, auch seine Auspuffgase mehr in das aerodynamische Gesamtkonzept zu integrieren, sind die Gegner auch damit längst fertig. «Das Thema haben wir unterschätzt», gibt ein Ingenieur rundheraus zu.
Trotzdem bleibt Räikkönen lange das «Dark Horse» im Titelkampf, denn er punktet weiter in jedem Rennen, schöpft beständig das Maximum ab. Lotus liefert immer noch beständig neue Auspuff-Varianten. Bis zum Finale…

Kimi startet in Abu Dhabi von Startplatz 4 aus. Das Lay-Out der Strecke wirkt aus Lotus-Sicht symphatisch. Warm ist es sowieso. Das mag der E20. Der Eismann liebt die Hitze zwar nicht, hat aber kein Problem damit. Kimi hat sein erstes Rennen schliesslich in Malaysia gewonnen – 2003.

Er sprintet auf den ersten Metern auf Platz 2. «Ich wusste, dass ich super starten würde, ich hatte es kurz zuvor noch einmal ausprobiert.»
Dann hetzt er den führenden Hamilton sofort in einen Fehler. Der Brite gerät neben die Bahn, rettet sich und seine Führung aber um Haaresbreite und stabilisiert sich dann wieder. Räikkönen folgt ihm wie ein Schatten. Es ist sieht aus wie Ungarn-GP, Teil 2.
Mit anderem Ausgang. Nachdem Hamilton mit streikender Benzinzufuhr ausrollt, liegt Kimi vorne. Und legt sofort mächtig zu. Eine späte aber beherzte Offensive von Alonso kontert er dann souverän, ohne jede Schwierigkeit. Er variiert das Tempo, enn er kann. Und puscht, wenn er muss.

Alonso stöhnt nacher: «Nichts zu machen. Bei dem kannst du auf einen Fehler warten, bis zu alt bist.»

Es wird Sieg Nummer 19 einer Räikkönens F1-Karriere, die mit den Testfahrten im Sauber im Herbst 2000 begann. Kimi hatte damals gerade 21 Autorennen auf dem Buckel. Und Peter Sauber erinnert sich: «Wir waren alle gespannt aud das, was kommt. Und dann hat er mich mit seiner Ruhe im Cockpit schier umgehauen. Wenn andere Fahrer an die Box kamen, hast du die am Funk schnaufen gehört. Bei Kimi hörte man nichts, gar nichts.»
Das hat sich geändert. Während er in Abu Dhabi nach Hamiltons Ausfall vorne weg pfeilt, als gebe es kein Morgen, mahnt ihn das Lotus-Team hörbar zum Reifensparen. «Ja, ja, ja«, mault er genervt zurück, «ich passe auf die Reifen auf, auf alle vier.» Dann kommt Alonso mit Macht von hinten, und der Kommandostand sieht sich nochmals genötigt, dem Fahrer Tipps zu geben. Doch der kontert barsch: «Leave me alone, I know what I’m doing!» Übersetzt: «Lasst mich zufrieden, ich weiss, was ich tue.» Der Pressesaal tobt vor Lachen.

Aber Kimi behält Recht. Er überquert mit einem Lidschlag Vorsprung die Ziellinie, krönt ein denkwürdiges Comeback. Und wird mit seinen Sprüchen zur Kultfigur. Youtube verzeichnet Rekord-Klicks. Und das Team lässt T-Shirts drucken: «Leave me alone…» Die ersten 600 Exemplare sind im Nu vergriffen.

Abu Dhabi ist Räikkönens siebtes und letztes Podest dieser Saison. Zum elften Mal hat er sich unter den ersten Fünf platziert. Doch sein Humor ist noch nicht am Ende. Als er in Brasilien auf nasser Fahrbahn vom Weg abkommt, biegt er in einen toten Seitenarm ab und wird von einer geschlossenen Schranke gestoppt. Er dreht elegant auf der Stelle und nimmt den Rückweg dahin, wo er hergekommen ist. Später sagt er cool: «Das ist mir vor zehn Jahren schon Mal passiert. Da habe ich den gleichen Weg genommen. Damals war das Tor auf. Nächstes Mal werde ich dafür sorgen, dass es wieder offen ist.»

Kurz vor Ende der Saison hat Räikkönen nochmals bei Lotus einen Jahresvertrag unterschrieben. Ein Glück. Er wird uns mit seiner sparsamen Art noch ein Jahr unterhalten. Aber lange sollten wir nicht mehr mit ihm rechnen, denn Kimi meint es so, wenn er sagt. «Ich werde nicht ewig fahren, ich bin ja nicht mehr der Jüngste.»

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