Formel 1: Günther Steiner rechnet ab

Feuer, Elefanten, Jumbo-Jets, Schlangenbisse

Von Rob La Salle
Rob White mit den Formel-1-Champions Alain Prost und Niki Lauda

Rob White mit den Formel-1-Champions Alain Prost und Niki Lauda

Formel-1-Technik mit Renault: Verblüffende Details über das Benzinsystem eines GP-Renners.

In der Abschiedssaison der V8-Motoren erklärt Rob White, stellvertretender Geschäftsführer von «Renault Sport F1» und Chef der Motorenentwicklung, in unregelmässigen Abständen Systeme und Komponenten der bewährten Achtzylinder aus Frankreich.

Dieses Mal geht es um die Kraftstoffversorgung des Aggregats Renault RS27 – ein ganz wichtiges System an der Schnittstelle zwischen den Motoren- und den Chassis-Ingenieuren. Die Konstruktion beziehungsweise Integration von Benzinbehälter, Kraftstoffsammler und Hebepumpe liegen in der Verantwortung der Rennställe; Renault als Motorenpartner steuert die eigentliche Kraftstoffpumpe, die Filter und das Einspritzsystem bei. Aber zunächst mal zum Grundsätzlichen.

Rob, welche Funktionen hat das Kraftstoffsystem eines Formel-1-Rennwagens?

Knapp zusammengefasst muss das Kraftstoffsystem das Benzin aus dem Tank holen und es zum Motor befördern, wo es in die Ansaugstutzen gespritzt wird. Auf dem Weg in die Zylinder vermischt es sich mit der Luft zu einem zündfähigen Gemisch; im Brennraum wird das Benzin-Luft-Gemisch dann gezündet, die folgende Ausdehnung des Zylinderinhalts erzeugt eine auf den Kolben wirkende Kraft – und mittels der Hebelwirkung der Pleuel auf die Kurbelwelle entsteht daraus Drehmoment. Der Kraftstoff sollte mit einem genau berechneten Druck an den Einspritzdüsen bereitstehen, damit die eingespritzte Menge so exakt abgestimmt werden kann, wie wir es benötigen. Das ganze System muss also auf dem Weg vom Tank bis zur Einspritzung den Benzindruck erhöhen und regeln. Das geschieht durch eine sehr komplizierte mechanische Pumpe.

Der Ausgangspunkt ist die Kraftstoffzelle, die im Monocoque direkt hinter dem Fahrer und vor dem Motor untergebracht ist. Die heutigen Tanks sind grosse, lecksichere Kunststoffbeutel aus einem sogar für militärische Zwecke freigegebenen Material. Sie nehmen die für ein Rennen nötige Kraftstoffmenge auf – das sind beim aktuellen Reglement rund 160 Kilogramm beziehungsweise 230 Liter. Die Kraftstoffleitungen zum Motor sind mit so genannten Dry Break-Kupplungen versehen. Das sind Sicherheitsverschlüsse mit Sollbruchstellen, die jeweils ein eigenes Sicherheitsventil besitzen. Werden zwei dieser Leitungsstücke verbunden, öffnen sich die integrierten Ventile. Werden sie abgezogen, schliessen sich die Ventile. Folglich kann selbst bei einem Unfall, wenn der Motor vom Chassis abgerissen würde, kein Benzin austreten. Denn die Leitungen würden exakt an den Kupplungsstellen reissen und sich selbst verschliessen. Die in den 70ern so gefürchteten Feuerunfälle sind deshalb seit Jahren sehr, sehr unwahrscheinlich.

Der Kraftstoff in der Tankblase wird durch die beim Bremsen, Beschleunigen und Kurvenfahren entstehenden g-Kräfte längs und quer durch den Tank geschleudert. Als Folge kann es manchmal schwierig werden, das Benzin zu fassen zu kriegen, ganz besonders bei niedriger Tankfüllung. Man muss sich nur vorstellen, wie es sich anfühlt, Wasser mit einem Strohhalm aus einem Glas auf einem schwankenden Tablett zu trinken statt aus einer stillstehenden Flasche.

Der Tank enthält deswegen mehrere elektrische Niedrigdruck-Pumpen, meist drei bis vier. Diese Hebepumpen haben die Aufgabe, den Sprit aus den Ecken des Tanks herauszusaugen. Filter vor den Pumpen verhindern das Eindringen von Fremdkörpern, die vielleicht in den Tank geraten sind. Die Hebepumpen befördern den Kraftstoff in einen kleinen Behälter innerhalb des Tanks, den Kraftstoffsammler. Dieser wie eine auf dem Kopf stehende Wasserflasche geformte «Collector» fasst etwa 2,5 bis 3 Kilogramm Benzin.

Die Hebepumpen sorgen dafür, dass der Kraftstoffsammler immer genügend Benzin enthält, damit die eigentliche Kraftstoffpumpe kontinuierlich daraus fördern kann. Und das eben auch dann, wenn die Hebepumpen wegen der Fliehkräfte mal kein Benzin zu fassen bekommen. Immerhin schluckt ein auf Höchstdrehzahl laufender Formel-1-Motor pro Minute bis zu 3,5 Liter Benzin. Ein Puffer wie der Kraftstoffsammler ist also wichtig, damit die Kraftstoffpumpe nicht trocken läuft.

Die mechanisch angetriebene Kraftstoffpumpe saugt den Sprit aus dem Collector und fördert ihn zu den Einspritzdüsen. Dabei erhöht sie den Druck – so ähnlich wie ein Hochdruckreiniger für zuhause: Hinten kommt Leitungswasser rein, vorne kommt auf Knopfdruck ein scharfer Sprühnebel aus der Düse. Und wenn der Knopf nicht gedrückt wird, kommt auch nichts heraus. Die Pumpe ist an der Saugseite mit einem sehr feinen Filter versehen und arbeitet wie gesagt rein mechanisch. Sie wird vom Motor angetrieben und liefert auf diese Weise eine Benzinmenge, die prinzipiell etwa proportional zur Motordrehzahl ist. Die Menge des vom Motor verbrannten Sprits ist bei voll geöffneten Drosselklappen ebenfalls ungefähr proportional zur Drehzahl. Bei geschlossenen Drosselklappen erhält der Motor dagegen kein Benzin, unabhängig von der Drehzahl. Bezogen auf unseren Hochdruckreiniger hieße das: Der Knopf an der Sprühlanze wird nicht gedrückt. Damit nun die geförderte immer zu der benötigten Spritmenge passt, verfügt die Benzinpumpe über einen Mechanismus, der ihr Fördervolumen variabel ändern kann. Er wird durch eine ausgeklügelte Druckregelung betätigt.

Die Pumpe fördert den Kraftstoff nun in das Hochdruckrohr vor den Einspitzdüsen und durch den dort angebrachten letzten Filter. In diesem Rohr – es handelt sich um nichts anderes als die aus den Serien-Dieseltriebwerken bekannte Common Rail-Technik – herrscht ein Druck von 95 bar. Das Technische Reglement erlaubt maximal 100 bar. Vorteil der Common Rail: An jedem der angeschlossenen Injektoren liegt derselbe hohe Druck an.

Bei den Injektoren handelt es sich technisch korrekt gesagt um elektromechanische Präzisions-Magnetventile, die vom einheitlichen Zentralrechner, der SECU (Standard Electronic Control Unit) gesteuert werden. Die Hardware und Software der SECU ist für alle Formel 1-Triebwerke identisch. Sie darf jedoch innerhalb eines vom Automobil-Weltverband FIA vorgegebenen Fensters frei kalibriert werden. Wenn das Magnetventil Strom erhält, öffnet es sich und spritzt Kraftstoff mit hohem Druck in die angesaugte Luft – und zwar in exakt jenem Moment im Arbeitstakt des Zylinders, der eine optimale Brennraumfüllung und Verwirbelung gewährleistet. Denn diese Parameter sind entscheidend für eine effiziente Verbrennung und damit für die Motorleistung.

Wie hat sich das Kraftstoffsystem während der V8-Ära entwickelt?

Abgesehen von routinemässigen Modifikationen von Jahr zu Jahr hat sich das generelle Layout des Kraftstoffsystems kaum verändert. Einzige Ausnahme war 2010 das Verbot des Nachtankens im Rennen, was natürlich einen grösseren Tank erforderlich machte. Vorher begnügten sich die Teams mit Kraftstoffzellen von vielleicht 70 Kilo Fassungsvermögen, weil der Sprit ja nur bis zum nächsten Boxenstopp reichen musste.

Die anschließend nötigen 230-Liter-Tanks verschärften natürlich die beschriebenen Herausforderungen: In einem Tank mit grösserer Grundfläche ist viel früher ein niedriger Stand erreicht und der verbleibende Kraftstoff hat mehr Platz zum Schwappen. Das erschwert natürlich die Aufgabe der Hebepumpen. Auch die Benzintemperatur ist zu beachten. Die Leitungen des Kühlsystems und die Abwärme von Motor, Auspuff und so fort heizen den Sprit auf. Höhere Kraftstofftemperaturen verringern aber die Motorleistung. Ausserdem ist warmes Benzin für die Hebepumpen schwieriger zu fördern.

Um diesen Anforderungen zu begegnen, gab es die eine oder andere Änderung. So wurde bei der Konstruktion der Autos darauf geachtet, dass der Tank weniger Hitze ausgesetzt ist. Hinzu kamen Änderungen in der Zusammensetzung des Benzins und Modifikationen an Kraftstoffzelle und Hebepumpen.

Wie hätte sich das Kraftstoffsystem ohne den vom Reglement verordneten Entwicklungsstopp verändert?

In diesem Fall hat uns weniger der Entwicklungsstopp bei den Triebwerken gebremst, sondern das Technische Reglement. Es beschränkt nämlich den maximalen Druck im System auf 100 bar, das bedeutet das 100-Fache des normalen Luftdrucks auf Meereshöhe. Ausserdem ist exakt ein Injektor pro Zylinder erlaubt, der zwingend im Ansaugtrakt untergebracht sein muss. Zwei nahe liegende Entwicklungsrichtungen konnten wir also nicht verfolgen: eine Ultrahochdruck-Einspritzung und die Direkteinspritzung von Benzin in den Brennraum.

Mit grösseren technischen Freiheiten wären sicherlich komplexere Einspritzsysteme aufgetaucht. Mehrere Injektoren pro Zylinder, vielleicht Drücke von 500 bar. Das würde dem Druck fünf Kilometer unter der Meeresoberfläche entsprechen oder dem Gewicht eines Elefanten auf der Fläche einer Briefmarke oder der Masse von 50 Jumbo-Jets auf einem einzelnen Menschen. Der Nutzen solcher Entwicklungen wäre mehr Leistung, bessere Fahrbarkeit und geringerer Verbrauch gewesen.

Welche Zahlen kannst du uns sonst noch rund um das Kraftstoffsystem nennen?

Bei 18000/min, kurz vor dem Einsetzen des Drehzahlbegrenzers, wird jede Einspritzdüse alle 6,6 Millisekunden geöffnet und bleibt bei Vollgas exakt 2,7 Millisekunden offen. Dabei werden jedes Mal genau 0,049 Kubikzentimeter Benzin eingespritzt, etwa dieselbe Flüssigkeitsmenge wie Gift bei einem Schlangenbiss. Wenn der Motor auf Volllast läuft, verbraucht er zwischen 3,5 und 4,0 Liter pro Minute – halb so viel, wie beim morgendlichen Duschen durch den Duschkopf läuft.

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